Claus-Peter Reisch, Kapitän des Seenotrettungsschiffes, über die Mission “Lifeline“

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01.09.2018

„Es geht ums nackte Überleben”
Claus-Peter Reisch, Kapitän des Seenotrettungsschiffes, über die Mission Lifeline“

Claus-Peter Reisch im Interview mit Dr. Irmtrud Wojak in Landsberg am Lech, Herbst 2018

„Da würde jeder, auch Sie und auch ich, die Koffer packen“

CPR: Ob jetzt jemand aus dem Grund flieht, weil er politisch verfolgt wird oder aus religiösen Gründen verfolgt wird, oder auch aus anderen Gründen, oder aus wirtschaftlichen Gründen letztlich auch verfolgt wird. Es geht ums nackte Überleben. Und da ist dann die Fluchtursache letztlich egal. Es geht ums Überleben. Da würde jeder, auch Sie und auch ich, natürlich die Koffer packen und schauen, dass ich hier wegkomme. Ist doch ganz klar.

Ganz furchtbar, wenn man dann die unbegleiteten Minderjährigen sieht, wie wir sie ja auf dem Schiff auch hatten. Wir hatten bei diesen 235 Menschen, die wir auf dem Schiff hatten, 77 unbegleitete Minderjährige. Einen Fall fand ich ganz besonders krass, das war ein 12-jähriger, mit zwei 13-jährigen unterwegs. Das hab’ ich zuerst mal nicht wirklich geglaubt und hab mir das dann noch mal bestätigen lassen. Ich fand war völlig fassungslos.

„Wir sind eine Art Notarzt“

CPR: Wir sind eine Art Notarzt. Wir sind besser ausgestattet als ein Notarztwagen, wir haben sechs medizinische Fachkräfte auf dem Schiff mit dabei. Einen Arzt, vier Rettungssanitäter, eine Intensivkrankenschwester, einen Medizinstudenten im zehnten Semester. Wir sind wirklich gut aufgestellt. Und wir sind eigentlich nicht darauf ausgelegt und wollen es eigentlich auch gerne vermeiden, dass wir die Menschen auf unser Schiff nehmen und dass wir dann die Menschen irgendwo hinbringen. Wir machen das natürlich im Notfall, wenn wir dazu gezwungen sind, das haben wir ja jetzt auch gezeigt, dass wir das können, aber eigentlich sind wir so eine Art first responder, wir fahren hin, sichern die Leute, wir sichern, dass sie nicht ertrinken, und dann würden wir eigentlich gerne ein Schiff der europäischen Marine oder ein italienisches Küstenwachschiff oder ein Handelsschiff dazuholen, das die Menschen dann letztlich aufnimmt und an einen sicheren Ort bringt. Damit wir möglichst lange im Einsatzgebiet bleiben können. Wenn wir mit den Menschen wegfahren müssen, dann sind die, die am Tag danach kommen, ja alleine.

Wir sind nicht primär dazu da, dass wir die Menschen in einen sicheren Hafen bringen. Wenn wir das tun müssen, dann tun wir das natürlich. Aber wir sind vom Prinzip her keine Fähre. Das ist ein 32-Meter-Schiff, 32 Meter lang, sieben Meter breit, aber halt nur an der breitesten Stelle sieben Meter breit, der Bug läuft bekanntermaßen spitz zu, und wir waren dann mit 252 Personen auf diesem Schiff.

Unsere Crew-Managerin, die Hermine, die verwaltet sozusagen unseren Personalpool, wenn ich das mal so nennen darf, und daraus werden dann für die Mission ganz zielgerichtet nach Qualifikation die Besetzungen der einzelnen Positionen ausgesucht. Man muss ja auch immer Leute finden, die gerade zu dem Zeitpunkt, an dem die Mission stattfindet, auch Zeit haben. Wir versuchen möglichst viele Crewmitglieder zu haben, die bereits einen Hintergrund haben aus einer Mission. Also mehr wie ein Mal gefahren sind. Das ist ganz, ganz wichtig. Wir kriegen jede Menge Bewerbungen, wir können nicht alle Menschen, die sich bewerben, berücksichtigen, wir müssen nach den Qualifikationen auswählen. Das ist halt einfach mal so. Was wir immer suchen sind Leute, die sich mit Schiffsmaschinen auskennen, Schiffsbetriebstechniker, Schiffsingenieure, das ist so ein etwas heikler Punkt, da gibt’s nicht allzu viele, das ist eher so ein Mangelberuf, dann die Nautiker und Ärzte sind auch noch ein Problem. Es gibt auch viele Leute die sagen: „Ich bin schon mal Schlauchboot gefahren, ich könnte Euer Schlauchboot fahren.“ Aber ein Schlauchboot auf dem Ammersee oder auf der Donau fahren, das ist was völlig anderes, als ein 120 PS-Einsatzboot bei zwei Meter fünfzig Seegang zu bewegen. Da greifen wir dann gerne auf Leute zurück, die das schon mal gemacht haben.

„Helper, helper, I kill you, I kill you!“

Da wir sehr stark auf Sicherheit achten, ich bin da fast ein Fetischist was das betrifft, bei mir gibt es keine abgelaufenen Feuerlöscher oder sowas, die Rettungsmittel müssen immer aktuell gewartet sein.

Dass wir nicht zu einem Kindergeburtstag fahren, muss jedem von vorne herein klar sein, aber es gab jetzt auch auf dieser Mission genauso wie bei allen anderen Missionen, die ich bis jetzt gefahren bin, keine gravierenden Dinge, was die Gesundheit betrifft. Also solange die Libyer nicht schießen und wir nicht auf irgendwas drauffahren, das im Wasser schwimmt und wir nicht sehen, ein Container oder sowas, halte ich das vom Prinzip her nicht für wahnsinnig gefährlich. Der Kontakt mit den libyschen Behörden ist dann eine andere Nummer, sie haben uns ja, als wir sie noch nicht mal sehen konnten, also nur auf dem Radar identifiziert hatten, über Funk durchgesagt: „Helper, helper, I kill you, I kill you!“. Diesen Funkspruch der Libyer haben wir dann auch aufzeichnen können, wir zeichnen Gespräche auf der Brücke zum Großteil mit, das hat uns schon sehr gewundert. Die Libyer schießen ja auch schon mal auf ein deutsches Kriegsschiff, das haben sie auch schon gemacht, auf die „Mecklenburg Vorpommern“. Oder auf ein italienisches Küstenwachschiff oder auch auf die „Lifeline“. Auf mein Schiff ist ja vor Libyen auch schon geschossen worden. Sie schießen halt immer daneben, Gott sei Dank, aber man weiß halt nicht, wo das tatsächlich enden kann.

IW: Also es sollen Warnschüsse sein, oder?

CPR: Ja. In internationalen Gewässern übrigens. Wir fahren ja nicht in die Zwölf-Meilen-Zone ein, das halten wir für nicht zielführend, außer wir haben Deckung durch europäisches Militär, wenn wir eine Rettungsaktion innerhalb der zwölf Meilen fahren müssen, auf Anweisung der Seenotstelle in Rom, würden wir das natürlich tun, allerdings dann wirklich nur mit Militärschutz. Mit den Libyern möchte ich mich nicht anlegen.

Es ist grundsätzlich so, dass das Schiff und somit auch der Kapitän die Geschicke des Schiffes auf See in eigener Verantwortung bestimmt. Wir finden die Menschen in Not, die Schlauchboote und Holzboote zum Teil durch Sichtungen, die durch Suchflugzeuge ausgelöst sind. Da gibt es insgesamt drei Flugzeuge. Eines schaut aus wie eine „Transall“, das kennt man ja, die Bundeswehr hat die auch. Die fliegt von Mallorca aus los in der Nacht, und über die tunesische Grenze dann in das Suchgebiet westlich von Tripolis und dann über die östliche Seite wieder zurück. Die suchen gezielt mit Wärmebildkameras und Ferngläsern. Das ist ein Seeaufklärer auf der Suche nach Booten in Not. Ganz klar. Das ist mal das eine.

Dann gibt´s privat finanzierte Suchflugzeuge, wie zum Beispiel die „Moonbird“, das steht auf Malta und darf derzeit nicht starten, weil es einfach keine Starterlaubnis bekommt. Die fliegen dann, sobald sie Personal und Geld haben, ebenfalls in diesen zwei SAR-Zonen.

Und dann sind wir natürlich auch mit eigenen Sichtungen unterwegs. Tagsüber sind immer vier bis fünf Personen mit Ferngläsern im Ausguck, die suchen das Meer ab. Das können wir deutlich schlechter als die Suchflugzeuge. Wir können zehn Quadratkilometer in einer Stunde absuchen, ein Flugzeug ungefähr tausend. Das ist eine ganz andere Hausnummer. Nachts haben wir unser Hochleistungsradar laufen und da wir vom Prinzip her wissen, aus welchen Städten die Boote ablegen, das kriegen wir raus, indem wir die Menschen, die wir retten, fragen: „Von welchem Ort sind Sie losgefahren?“ Dann heißt es: Sabratha, Zuwara, und so weiter. Somit wissen wir, wo die Aktivitäten der Schleuser momentan stattfinden. Wir überlegen uns dann anhand des Wetterberichtes, anhand der Windrichtung, anhand der Strömung, die gerade herrscht, wo diese Boote vermutlich unterwegs sein werden. Das ist alles reine Spekulation und Intuition. Dann positionieren wir uns in der Nacht an einer Stelle, von der aus wir in unsere Suchgebiete losfahren. Wir scannen dieses Gebiet mit dem Radar ab, und wenn wir Glück haben und die See ist flach, dann haben wir mit unserem Radargerät eine Chance, diese Boote zu finden. Wie wir eben auch in dieser Nacht, in der wir diese 235 Menschen an Bord genommen haben, drei Boote gefunden haben. Eines haben wir ja verloren, durch den Einsatz der Libyer, die uns ja in internationalen Gewässern letztlich gestoppt hatten. Sie sind dann auch bei uns an Bord gewesen und wollten die Menschen zurückhaben. Während dieser Geschichte hat man zwar auf der Brücke das Radargerät gut beobachtet, aber irgendwann war dieses dritte Schlauchboot sozusagen vom Radar verschwunden. Wir haben dann später gehört, dass es von Libyern – nicht von denen, die bei uns auf dem Boot waren, sondern von anderen – gefunden worden ist, und bei dieser Rettung hatte es eben leider fünf Menschenleben zu beklagen gegeben. Fünf Personen haben diese sogenannte Rettung nicht überlebt. Bei uns kommt sowas nicht vor.

Sie hatten in der Nacht drei Ziele auf dem Radar und sind dann systematisch das erste Ziel angefahren, haben festgestellt, das ist ein Schlauchboot mit circa 120 Personen, man kann das von der Größe des Schlauchboots her ungefähr abschätzen, wieviele Personen da circa drinsitzen. Das Schlauchboot machte einen sehr, sehr instabilen Eindruck, nachdem wir es evakuiert hatten, wussten wir auch warum. Dieses Schlauchboot hatte eine bisher noch nicht gesehene billige Bodenkonstruktion. Das kann man sich vorstellen wie eine halb aufgeblasene Luftmatratze, die sich auf einem Badesee in der Welle ganz leicht bewegt. Und diese Luftmatratze hat ja in sich so Eigenbewegungen. Jetzt sitzen da aber 120 Menschen drin, und wir hatten den Eindruck, dass dieses Schlauchboot kurz davor ist, dass da was passiert und sozusagen auseinanderfällt. Diese Schlauchboote kann man sich nicht so vorstellen, wie die Schlacuhboote, die wir aus Mitteleuropa kennen. Diese Schlauchboote sind eine bessere LKW-Plane. Die sind ja auch nicht dafür gebaut, überhaupt jemals irgendwo anzukommen. Das ist qualitativ eine Katastrophe und diese Schlauchboote versagen auch von jetzt auf gleich. Also wir erleben da viel Momentatnversagen, da reißt eine schlecht geklebte Naht auf und diese Schlauchboote haben keinerlei Sicherheit. Mein eigenes Schlauchboot, auf meinem eigenen Segelboot, ist 2,70 Meter lang und hat fünf Kammern. Diese Schlauchboote sind zwölf Meter lang und haben auch fünf Kammern. Den Rest kann man sich ja dann so ungefähr vorstellen. Wenn eine Kammer versagt, ist dieses Schlauchboot mit seinen Menschen verloren.

Wir haben uns angesichts des Eindrucks, wie sich dieses Schlauchboot verhält, dann entschieden, wir nehmen die Menschen jetzt sofort auf, zerstören dieses Schlauchboot, wir sprühen SAR „search and rescue“ drauf, die Fallnummer, die wir von der Seenotleitzentrale in Rom bekommen, und den Namen „Lifeline“, unseren Schiffsnamen und das Datum. Und dann schlitzen wir dieses Schlauchboot auf, von hinten angefangen nach vorne zum Bug und wieder zurück auf der anderen Seite, dann dauert es circa zwei Tage, bis dieses Schlauchboot untergeht. Und dann ist das erstmal weg.

IW: Warum haben Sie das dann da draufgeschrieben?

CPR: Damit, wenn innerhalb dieser zwei Tage ein anders Rettungsschiff dieses Schlauchboot findet, die nicht anfangen, zu suchen. Wenn wir ein Schlauchboot finden, und das tun wir des Öfteren, das nicht markiert ist, fangen wir sofort an nach den Menschen zu suchen. Vielleicht schwimmt da ja noch jemand. Es gibt genug gekenterte Schlauchboote, deren Anzahl Toter niemals in irgendeiner Statistik erscheint. Das ist auch die Lüge, an diesen Statistiken.

IW: Sie zurückzubringen? Nach Libyen?

„Ich kann sie nicht nach Libyen zurückbringen, das geht nicht aus humanitären Gründen“

CPR: Ja, ich meine der libysche Kapitän wollte außerhalb der Hoheitsgewässer, als er bei uns an Bord war, das waren 32 Meilen vor der Küste, wollte er die Menschen mitnehmen, das hab ich dann abgewendet. Aber wir müssen trotzdem vom Prinzip her, wenn es denn eine Seenotleitzentrale in Libyen geben würde – wir sagen es gibt keine, man kann da drei Telefonnummern anrufen, da hebt aber leider nie jemand ab, wenn Sie ein Mail schicken, bekommen Sie auch keine Antwort – also mit den Leuten kann man sich nicht unterhalten. Das heißt für mich immer noch: Rom ist zuständig. Zu dieser Zeit war das so. Das ist dann so wie die Katze, die ihrem eigenen Schwanz hinterher rennt. Ich schreibe an Rom, Rom sagt mir, ich soll mich mit den Libyern auseinandersetzen, aus Libyen bekomm’ ich keine Antwort. Dann hab ich natürlich auch über das deutsche Außenministerium, das Krisenreaktionszentrum, im Verteiler mit drin und auch das RCC, „Rescue Coordination Center“, in Malta. Aber Sie bekommen dann keine Antwort.

Ja. So ein Schiff hat natürlich auch irgendwo endliche Ressourcen und man kann sich überlegen, wie lange dass alles so gut geht. Wir haben uns dann aufgrund der Wetterlage auch einfach aufgemacht, auf den Weg Richtung Norden. Wohin auch sonst? Ich mein, ich kann sie nicht nach Libyen zurückbringen, das geht einfach nicht, aus humanitären Gründen.

IW: Man kann sich das auch nicht so vorstellen, dass dort andere Schiffe, Containerschiffe, in der Nähe sind, die man anfunken kann und fragen kann, „helft uns, wir müssen hier unsere Mission fortführen!“, das darf man  nicht?

CPR: Ich könnte das natürlich tun, aber niemand wird mir diese Menschen abnehmen. Weil damit natürlich seine Fahrt unterbrochen ist. Es ist mein Rettungsfall und nicht seiner. Er hat keine Anweisung von MRCC Rom die Menschen zu übernehmen, sonst müsste er das tun, und rein aus Gefälligkeit wird das niemand machen, weil: in dem Moment, wo er die Menschen auf dem Schiff hat, hat er das Problem und ich bin es los.

Das hat ja auch letztes Jahr und 2016 vom Prinzip her ganz gut funktioniert. Man hat uns dann aus Rom ein Schiff geschickt. Die Seenotzentrale hat eines der nächstgelegenen Handelsschiffe oder Militärschiffe angewiesen, unsere Personen zu übernehmen. Und die haben im Gegenzug dann einen Port of Safety, einen Hafen, Lampedusa zum Beispiel, kennt man ja, Catania, angewiesen bekommen, und da haben sie dann die Gäste hingebracht. Das hat man ja komplett eingestellt, weil Salvini will das ja nicht mehr, und die anderen europäischen Regierungen brauchen immer sehr, sehr lange für irgendwelche Entscheidungen, in unserem Fall vom 21. bis einschließlich 27. Juni. Also das ist sehr lange. Wir hatten sehr viel Glück mit dem Wetter. Aber ein Schiff wird Personen, die nicht mehr in Seenot sind, – und wenn sie bei uns an Bord sind, dann sind sie ja nicht mehr in Seenot – nicht freiwillig übernehmen. Das ist auch gar nicht so vorgesehen.

Es gibt verschiedene Seefahrts-Gesetze, zum Beispiel Solas, Safety of Life at Seas, und da steht ganz genau drin, dass jedes Schiff zur Rettung gesetzlich verpflichtet ist. Der kann nicht einfach vorbeifahren und sagen: „Oh, hab ich nicht gesehen,“ oder so.

Ich möchte nicht in der Haut des Kapitäns stecken, wenn man eben zum einen draufkommt, dass er wissentlich an einem Seenotfall vorbeigefahren ist, und zum anderen gibt es ja immer auch eine Gewissensentscheidung. Es gibt sicherlich wie in jedem Berufszweig skrupellose Menschen und es gibt Menschen, die, ich möchte das jetzt einfach mal so bezeichnen, normal denken.

Ich meine, jeder Seemann weiß, was es heißt, auf See allein zu sein, einen Unfall zu haben, Hilfe zu brauchen, und man kann ja schlecht mal rechts an den Straßenrand fahren und verschnaufen und zu Fuß nach Hause laufen. Es funktioniert leider nicht, übers Wasser zu laufen. Sondern die Leute gehen einfach unter und ertrinken. Und deswegen ist in so einem Fall die Hilfeleistung einfach bedingungslos, zwingend notwendig und durchzuführen.

IW: Und wessen Gewissen hat nicht geschlagen bei Ihrer Mission? Nachdem Sie im Juni die Menschen an Bord hatten, hat ja offenbar an verschiedenen Stellen das Gewissen nicht geschlagen.

CPR: Das hat zum einen in Rom nicht geschlagen, bei Herrn Salvini. Er hat ja behauptet, wir würden Menschenfleisch befördern. Eine Aussage, da dachte ich, das wäre so vor siebzig Jahren ungefähr endgültig erledigt gewesen, solche Aussprüche. Und zum anderen der deutsche Innenminister, der erfolgreich verhindert hat, dass verschiedene Bundesländer die Menschen, die wir auf dem Schiff hatten, abnehmen wollten.

IW: Es gab ja Zusagen?!

„Nur die Unterschrift des deutschen Innenministers Seehofer hat gefehlt“

CPR: Es gab ja Zusagen. Es hat eigentlich nur die Unterschrift des deutschen Innenministers Seehofer gefehlt, und die hat er verweigert. Und somit ist Herr Seehofer primär daran Schuld, dass wir zusätzlich fünf Tage auf See verbringen mussten. Und vor allem der letzte Tag und die letzte Nacht waren für die Menschen auf dem Schiff nicht sehr lustig. Da hatten wir wirklich schlechte Wetterbedingungen, und wir hatten über 150 schwer seekranke Menschen auf dem Schiff. Davon waren drei im Krankenhaus, die in komatöse Zustände gefallen sind. Seekrankheit verursacht letztlich keine Nahrungsaufnahme, die Leute trinken nichts mehr und dann fallen sie in so ein Art Unterzuckerkoma, und wenn man das nicht rechtzeitig in den Griff bekommt, dann wachen sie aus diesem Unterzuckerkoma nicht mehr wieder auf. Wie mir mein Arzt erklärt hat.

Not kennt kein Gebot, heißt es. Es hätte natürlich eine Möglichkeit gegeben, eigentlich gibt´s zwei Möglichkeiten, in einen Hafen letztlich einzufahren, auch notfalls gegen den Willen einer Regierung. Das eine ist, ich klage mich ein, man kann sich nach dem Seerecht in einen Hafen einklagen, wielange es dauert, weiß ich nicht, ich habe dieses Prozedere noch nie durchgemacht. Und das andere ist, ich drücke den sogenannten roten Knopf, das heißt, ich mache mein eigenes Schiff zu einem Seenotfall. Das muss ich natürlich irgendwo begründen. Mir geht das Wasser aus, mir wird nichts mehr geliefert, ich habe ein technisches Problem, oder auch auf Grund der vielen Krankheitsfälle. Ich habe natürlich auf die Möglichkeit, dass ich einzelne Personen abbergen lassen kann, das haben wir ja auch gemacht, mit einem jungen Somalier, der schwer misshandelt worden war, der hatte einen Leistenbruch und in diesem Leistenbruch war der Darm eingeklemmt. Den mussten wir schnell ins Krankenhaus bringen, sonst hätte der Mann das nicht überlebt. Aber ich kann natürlich nicht fünfzig oder hundert auf einmal holen lassen, das würde dann natürlich auch die Möglichkeiten der Retter, die dann mich retten letztlich oder vielmehr die Menschen retten, übersteigen. Also löse ich einen mayday call aus, einen Mayday-Fall sozusagen. Und dann wird sich ganz schnell was tun.

Das Problem an der Geschichte ist einfach nur das, wir sind ja gezielt und taktisch richtig, sage ich, vor der maltesischen Küste auf- und abgefahren. Man wollte immer, dass wir in den italienischen Sektor fahren, aber das hätte ich nie gemacht, dann hätte ich mich mit dem Herrn Salvini beschäftigen müssen und das wollte ich auf gar keinen Fall. Und so hab ich großen Druck auf die maltesische Regierung, auf Herrn Muskat ausgeübt, und der  wiederum Druck auf seine europäischen Präsidenten-Kollegen machte. So kam es dann, dass verschiedene Staaten, Portugal, Irland, Frankreich unter anderem, sich bereit erklärt haben, ein Kontingent von unseren Gästen abzunehmen.

Wenn ich einen Mayday-Fall auslöse, dann ist das ein Mayday-Fall, der nur ausschließlich Malta betrifft. Das heißt der Herr Muskat, der Präsident, hat dann die 235 Flüchtlinge im Land und seine europäischen Kollegen lehnen sich zurück und sagen: „Gott sei Dank hat der Kapitän den roten Knopf gedrückt. Ich bin die Sache los.“ Aber Herrn Muskat fällt das auf die Füße. Jetzt ist das aber nicht nur der Herr Muskat, den das trifft, sondern eben auch die Flüchtlinge. Nach dem Dublin-Abkommen haben sie keine Chance, jemals Malta wieder zu verlassen. Das war´s dann. Malta ist klein, Malta ist überbevölkert. Die Insel ist nicht sehr groß, die ist vielleicht zwanzig mal fünfzig Kilometer, wenn überhaupt, und da leben fast eine halbe Million Menschen drauf. Das ist komplett überbevölkert. Das kann man dem Land nicht zumuten, tatsächlich nicht zumuten, und er hätte ein großes Problem. Und die Flüchtlinge ein noch viel größeres Problem. Aber da der Druck auf die europäischen Länder eben so, in dieser Art und Weise aufrechterhalten worden ist, sind 30 Menschen nach Portugal, etwa über 50 nach Frankreich, 30 nach Irland gekommen, den Rest weiß ich jetzt ganz aktuell nicht. Das ist für alle Beteiligten und vor allem für die Flüchtlinge deutlich besser.

„Das erinnert sehr stark an Zustände bei der Befreiung von Konzentrationslagern“

Ja in unserm Fall war das dann so, dass wir mit unserem Schiff „Lifeline“ in einen abgesperrten Teil des Hafens geleitet wurden. Dort war dann schon alles vorbereitet, nicht nur die große Tribüne für die Presse, sondern auch vom Roten Kreuz Zelte, es sind Krankenwagen da gestanden, es sind Busse da gestanden, die die Menschen dann befördert haben, es stand jede Menge medizinisches Personal da, es gab eine wunderbare, perfekt organisierte Übergabe der Kranken und Verletzten.

IW: Und dann kam die Polizei um Sie abzuholen?

CPR: Und dann kam die Polizei und hat mich abgeholt, ja genau. Ja, das war tatsächlich so. Alle immer sehr freundlich. Ich natürlich auch. Aber wo das endet, kann man ja jetzt in der Presse nachlesen.

Die Menschen wurden dann größtenteils in ein, ich sag jetzt mal Auffanglager gebracht, in der Nähe des Hafens. Ich hab dann zwei Tage später einen Besuch dort gemacht, ich wurde nicht reingelassen, ich durfte die Menschen nicht wirklich besuchen. Aber da ist so ein kleiner Bach dazwischen, auf der einen Seite des Bachs war ich und auf der anderen Seite des Bachs hinter einer Mauer und einem Zaun waren die Flüchtlinge, und sie haben dann erkannt, wer da auf der andern Seite stand, und haben „Lifeline, Lifeline“ und „Captain, Captain“ gerufen. Das war eine sehr ergreifende Szene, die ich auch so schnell nicht vergessen werde.

Es ist gut zu sehen, dass es allen, zumindestens körperlich, ganz gut ging. Wir haben viele jämmerliche Gestalten auf dem Schiff gehabt, Männer mit einer Körpergröße von 1,70, 1,75 mit 45 Kilogramm Körpergewicht. Das erinnert sehr stark an Zustände bei der Befreiung von Konzentrationslagern. Da hat man ja, wenn man im Geschichtsunterricht aufgepasst hat und den einen oder anderen Film darüber gesehen hat, solche Menschen auch gesehen. Es unterscheidet sich zumindest von den körperlichen Gegebenheiten her nicht wirklich. Die Leute kommen in Libyen aus einer Art KZ. Sie werden dort auch entsprechend behandelt. Man dachte ja, dass so etwas nie mehr wieder vorkommen würde, aber auch hier haben verschiedene Leute aus der Geschichte leider gar nichts gelernt.

Es gibt Leute, die können Französisch und Englisch. Wenn wir die Zeit haben, dass wir uns mit den Menschen unterhalten, dann machen wir das auch. Wir möchten natürlich gerne wissen, woher sie kommen und was sie erlebt haben. Wir hatten da den Somali, den wir vom Schiff holen lassen mussten, wegen seinem großen medizinischen Problem, den haben interviewt, zwei Tage vorher noch. Der Mann wurde dreimal gefoltert, jeweils mit dem Telefon am Ohr, er ist verprügelt worden, das hat man dem Mann auch angesehen, man hat die schlecht verheilten Wunden  gesehen, und er hat dann, unter Tränen zum Teil, erzählt, wie es ihm da ging, wie sie ihn verprügelt haben, mit dem Telefon am Ohr, das er einfach zuhause anruft, und bettelt, dass seine Verwandtschaft, seine Bekannten Geld sammeln und das auf irgendein Konto mit Western Union oder irgendwelchen Transfermethoden überweist, damit sie ihn nicht umbringen. Der Mann, das war einer von denen, die nur noch 45 Kilogramm gewogen haben. Also unser Arzt, ein erfahrener Herzchirurg, der war schwer erschüttert, also jedes zweite oder dritte Wort, das er im Munde hatte, war: „völlige Unterernährung“. Und das, was die Menschen aus diesen Lagern erzählen… Die werden zum Teil am Boden fest gebunden, das Telefon ans Ohr, und dann schüttet man ihnen eine brennende Flüssigkeit über den Rücken. Also das sind Foltermethoden, die sind so barbarisch, man kann sich das eigentlich nicht wirklich vorstellen. Wenn man die Menschen dann sieht und auch die Verletzungen sieht, dann glaubt man den Menschen das auch. Es gibt Männer, die können keine Wasserflasche mehr halten. Die haben zwei schief zusammengewachsene Handgelenke. Da denkt man im ersten Moment, das hab ich im Fernsehen schon mal gesehen, das schaut aus wie Contergan. Wie kommt das? Denen werden mit Kabelbindern die Hände zusammengefesselt, und wenn sie nicht schnell genug vom LKW absteigen, dann gibt’s einen Tritt von hinten. Dann fliegen sie vom LKW runter und jeder hat das Bestreben, nicht aufs Gesicht fallen, sondern bewegt seine Hände nach vorne. Dann fallen die auf die zusammengebunden Hände und brechen sich beide Handgelenke. Da es aber keine medizinische Versorgung gibt, wächst das halt dann einfach zusammen, wie es zusammenwächst. Das ist zum Beispiel etwas, das sehen wir häufiger. Neben den vielfältigen Verletzungen durch die Prügel mit abgeschnittenen Elektrokabeln, durch die die auf dem Rücken schwer verletzt sind, und diese Wunden dann halt auch irgendwie verheilen, mehr schlecht als recht. Von den Dingen, die die Frauen erzählen, kann ich jetzt nicht so aus erster Quelle berichten, da die Frauen meher mit unserer Krankenschwester sprechen. Ich kenne da auch ein paar Geschichten, die man eigentlich kaum wiedergeben kann. Ich möchte nicht wissen, was die Frauen speziell in diesen Lagern durchmachen.

Die Politik schafft es momentan erfolgreich, einen Vorhang vor dieses Drama zu ziehen. Wir dürfen mit unseren Schiffen nicht fahren und die Flugzeuge, die privaten Flugzeuge, die das dokumentieren könnten, die dürfen einfach nicht fliegen. Somit wird der Vorhang vor diesem Drama zugezogen und die Weltöffentlichkeit hat keinen Einblick mehr. Und man versucht, auf diese Art und Weise, die Geschehnisse aus der Presse zu bringen.

„Man will verhindern, dass die Such- und Rettungsschiffe aus dem Hafen fahren und ein Exempel statuieren“

Es ist so, dass man behauptet, dass unsere Zertifizierungspapiere, sozusagen unser Kraftfahrzeugschein, wenn ich das mal so übersetzen darf, unser Kraftfahrzeugschein nicht gültig wäre. Unser Schiff ist in Holland registriert, jetzt wird sich natürlich jeder fragen, warum ist eine Dresdner Hilfsorganisation, die überwiegend mit Deutschen auf dem Schiff fährt, in Holland registriert? Das ist ganz einfach: Wenn man in Deutschland ein Sportboot registrieren lassen möchte, wir sind als Sportboot, als “Pleasure Craft”, registriert, dann kann man das nur bis 25 Meter Länge und 100 Tonnen Gewicht machen. „Lifeline“ ist 32 Meter und hat ein Nettogewicht von 231 Tonnen, also geht das in Deutschland nicht. Wir müssten als Berufsschiff fahren, und dieses Schiff als Berufsschiff laufen zu lassen, kostet dreimal soviel wie als ein sogenanntes „Pleasure Craft“. Da es in Holland einfach andere Bestimmungen gibt, in die wir reinpassen mit unserem Schiff und dem was wir tun, ist es einfach in Holland angemeldet. Das ist der ganze Grund dafür.

Jetzt behauptet man, das uns dieses Zertifikat, dieses internationale Zertifikat des königlich holländischen Wassersportverbands, nicht dazu berechtigen würde, die holländische Flagge zu führen. In diesem Zertifikat steht aber klipp und klar drin, „Flag Dutch“, Flagge holländisch, „Homeport Amsterdam“, Heimathafen Amsterdam.

Ich behaupte nach wie vor, dieses Zertifikat hat Gültigkeit, dieses Zertifikat muss gültig sein, es ist nämlich nicht gefälscht, das hat die Behörde ja mittlerweile auch zugeben müssen. Dieses Zertifikat ist ein Original. Mit so einem Zertifikat fahren über 25.000 Boote und Schiffe, weltweit. Und dieses Zertifikat eben dieses königlich holländischen Wassersport Verbandes verwenden auch alle NGOs, die ab Malta oder von sonstwo fahren seit 2015.

Ich bin drei verschiedene Schiffe gefahren, in sechs Missionen, ich hatte jeweils genau solche Papiere. Und es ist ja nicht so, dass wir nie unsere Papiere vorlegen müssen. Wir müssen Minimum bei jeder Mission dreimal die Papiere vorlegen. Einmal beim Auslaufen, einmal beim Tanken, wenn wir zollfrei Treibstoff kaufen wollen, müssen wir die Papiere vorlegen, und auch beim Einlaufen, wenn wir zurückkommen von einer Mission, müssen wir die Papiere vorlegen. Und jetzt, nach drei Jahren, kommt man plötzlich auf die Idee, dass ausgerechnet an unserem Schiff dieses Zertifikat nicht gelten sollte. „It´s not valid.“ Es gilt nicht.

Wie kann ein Zertifikat, was nicht abgelaufen ist, es hat den Gültigkeitsbereich bis 19.9.2019, es gilt immer zwei Jahre lang, in dem „Homeport Amsterdam” und “Flag Dutch” drinsteht und das nicht gefälscht ist, wie kann das ungültig sein?

Es ist letztlich eine Verzögerungstaktik, man will verhindern, dass die Such- und Rettungsschiffe aus dem Hafen fahren, und man will jetzt einfach an mir als Kapitän, der letztendlich für alles was auf’m Schiff passiert verantwortlich ist, ein Exempel statuieren.

Natürlich wird sich aufgrund dieser Situation so mancher überlegen, ob er die Verantwortung als Kapitän auf so einem Schiff wahrnehmen will. Es soll, vermute ich mal, natürlich auch ‘ne gewisse abschreckende Wirkung haben. Das kann gut sein, ja.

Also im Maximalfall zwölf Monate Haft, und oder 11.600 Euro Geldstrafe. Ich werd’ sehen, was dabei rauskommt.

IW: Eine Verhandlung hat schon stattgefunden, oder?

CPR: Ja, mehrere Termine haben schon stattgefunden, der letzte war besonders Interessant, weil die maltesischen Anklagebehörden die Beweise vorlegen sollten, diese Beweise nicht vorlegen konnten, weil die holländische Seite, die sie befragt haben, einfach keine Antworten geliefert haben. Angeblich wegen eines Formfehlers in der Anfrage. Also nicht in den Fragen, sondern in der Form, wie sie diese Fragen an die holländischen Behörden übermittelt haben.

Für meine Begriffe ist das so eine Art Verzögerungstaktik. Ich meine, man kann jetzt diesen Prozess gegen mich bis zum Sankt Nimmerleinstag mit irgendwelchen Tricks, so nenne ich das jetzt mal, vertagen.

Und so lange können wir mit dem Schiff den Liegeplatz, an dem wir jetzt festgemacht haben, nicht verlassen. Wir müssen allerdings immer eine Crew auf dem Schiff haben, weil man dieses Schiff nicht einfach wie ein Fahrrad in die Garage stellen kann, und sagen, ich sehe dich im Frühjahr dann wieder. Das funktioniert bei so einem Schiff nicht. So ein Schiff ist eine riesige Maschine, wir haben eine eigene Stromerzeugung, da wir keinen Landstromanschluss haben an diesem Liegeplatz, das heißt es läuft immer einer unserer drei Generatoren, wir müssen ja die Kühlschränke am Laufen halten, wir brauchen Licht, die Pumpen müssen laufen, und um das zu gewährleisten, brauchen wir immer permanent drei Personen Brandwache auf’m Schiff, und damit die auch mal runter gehen können, natürlich entsprechend mehr Personal, damit nicht drei Leute ans Schiff gefesselt sind. Also wir haben permanent sechs bis acht Personen auf dem Schiff.

Mission Lifeline hat eineinhalb Jahre gesammelt, um überhaupt dieses Schiff kaufen zu können. Und dann muss man ja auch wissen, dass die Mission sechs, über die wir uns jetzt alle unterhalten, meine Mission, nicht die Mission sechs in diesem Jahr war, sondern eins bis fünf konnten nicht stattfinden, weil wir dafür einfach kein Geld hatten. Wir hatten das Geld, dieses Schiff zu unterhalten, die Versicherung zu bezahlen, die Winterwerft zu bezahlen, die Instandhaltungen, aber wir hatten kein Geld, auf Mission zu gehen. Dafür hätten wir einfach 20.000 Euro für jede Mission zusätzlich gebraucht. Wir müssen 17.000 Liter Treibstoff tanken, wir müssen für 4000 Euro Lebensmittel einkaufen, die Satellitenanlage aktivieren, das kostet 2000 Euro pro Mission. So läppern sich diese Kosten zusammen, und dieses Geld für die Mission selbst hatten wir nicht.

Wir wären auch vorher die fünf Missionen gefahren, wir hatten die Crews, aber wir hatten kein Geld.

Also die Zeit, die wir auf See sind, sind in der Regel zwei Wochen. Die Crews reisen drei Tage vorher an und drei Tage danach ab. Es muss eine Übergabe stattfinden, von der einen Crew zur anderen Crew, nicht alle fahren zwei Missionen hintereinander, so wie ich das in der Regel mache. So dass da ein Austausch innerhalb des Personals sozusagen stattfindet, und da ist es natürlich gut, wenn man die einzelnen Stationen so von einem zum anderen direkt übergeben kann.

Das Schiff wird sozusagen von Tag zu Tag besser. Ja, die Menschen, die jetzt auf dem Schiff sind, die haben natürlich viel Zeit, weil wir das Schiff nicht in Betrieb haben, nicht fahren. Aber an so einem Schiff gibt es immer was zu tun, so dass jetzt mal Entrostungs- und Konservierungsmaßnahmen gemacht werden, es wird ein Generator überholt, der demnächst irgendwann mal sowieso fällig gewesen wäre, und so machen wir Stück für Stück an unserer Technik, an den Wartungen weiter, und halten das Schiff einsatzfähig. Das heißt, wenn wir heute von der Kette gelassen werden, und das Schiff sozusagen aus der Beschlagnahmung zurückbekommen, dann könnten wir innerhalb weniger Tage, maximal einer Woche, auf Mission gehen. Wir müssten tanken, wir müssten die Satellitenanlage in Gang bringen, Proviant und die Crew einfliegen. Die Crew ist das größte Problem, weil die meisten Leute auch einem ganz normalen Job nachgehen und erst mal Urlaub haben müssen. Aber wir würden, das wissen wir, innerhalb von einer Woche das Schiff auf See kriegen.

Es ist tatsächlich so, dass auch ich als Kapitän meinen Flug zum Einsatz und meinen Heimflug selber bezahle. Ich bring auch noch ganz andere Sachen mit, weil ich einfach auch nicht jede Rechnung für irgendwas, was ich einkaufe für das Schiff, dann abrechne. Ich kann mir das ein Stück weit leisten, dass ich den Verein da auch unterstütze, ich bin ja auch ein Spender im Verein. Und, klar ist das ein Problem. Die Leute fliegen runter, arbeiten jetzt am Schiff, schleifen Rost ab und streichen und bezahlen dann auch noch den Flug zu diesem Arbeitseinsatz auch noch selber. Kost und Logis auf dem Schiff ist frei, das müssen sie also nicht bezahlen, außer es will einer ein Bier trinken, da gibt’s eine Bierkasse dafür. Ansonsten sind die nicht alkoholischen Getränke frei. Und das ist natürlich eine finanzielle Belastung. Ich hab das große Glück gehabt, dass für meine persönlichen Rechtskosten der Künstler Jan Böhmermann eine Spendenaktion ins Leben gerufen hat, die innerhalb von zehn Tagen 200.000 Euro eingesammelt hat, so das meine Rechtskosten aller Wahrscheinlichkeit nach abgedeckt sind, aber ansonsten würde ich auch dafür aus meinen privaten Mitteln letztlich zur Rechenschaft gezogen werden. Wobei, über Herrn Böhmermann hinaus, viele Leute angeboten haben, sie würden sich mit einer Spende explizit für die Rechtskosten an meinen Aufwendungen beteiligen. Dafür bin ich auch sehr, sehr dankbar, nicht nur wegen dem Geld, sondern auch wegen der Solidarität, die mann da erfährt. Das ist ja auch ganz wichtig, die moralische Unterstützung, das man eben sieht, aha, es gibt unglaublich viele Leute, die sagen: „Ich finde es richtig was Ihr da tut und wir unterstützen Euch dabei.“

„Ich glaube, dass durch den derzeitigen Populismus viel auf die falsche Bahn kommt“

Also, ich hab natürlich auch dumme Anrufe, es sind meistens sehr mutige Leute die mit unterdrückter Nummer anrufen, da steht dann auf dem Display „unbekannt“, die man auch nicht zurückverfolgen kann, und dann werden einem zwei, drei unflätige Wörter entgegen geschmissen, und bevor man dann vielleicht eine Diskussion beginnen kann, ist das Telefon auch schon wieder tot.

Es gibt auch Leute, die schreiben mir einen lächerlichen Brief, aber die Briefe, die ich bekomme und auch Emails oder auch über Facebook, die Resonanz ist überwiegend positiv. Auch wenn ich jetzt hier in Landsberg in der Stadt unterwegs bin, ich meine grad in meiner Heimatstadt – es ist ja keine sehr große Stadt mit 30.000 Einwohnern – werde ich manchmal auf der Straße einfach angesprochen, da schüttelt mir jemand die Hand und sagt: „Das haben Sie gut gemacht.“, „Wir stehen hinter Ihnen.“, „Machen Sie weiter so.“, „Man kann die Menschen nicht ertrinken lassen, das geht gar nicht.“. Es gibt dann schon auch mal einen, der hat sich in der Eisdiele in’s Gespräch eingemischt, der mir dann erklärt hat, sein Bruder würde ein Containerschiff fahren und fährt auch manchmal über so Schlauchboote drüber, dann hab ich gesagt: „Ja, ja, ich glaub viel, aber das nicht.“ Dann hat er gesagt, ja, wenn er da unterwegs wäre, dann würde er die “alle in der Bugwelle unterpflügen.“ Dann hab ich gesagt: „Naja, dann sind Sie ja praktisch ein potenzieller Mörder.“ Dann hat der gemeint: „Ja.“

IW: Das ist ja unfassbar.

CPR: Ich war ein Stück auch schwer erschüttert, muss ich sagen. Ich hab ihn dann digital gefragt: „Sind Sie dafür, dass man die Menschen ersaufen lässt, ja oder nein?“. Dann sagt der glatt: „Ja!“

IW: Das ist wie in Dresden auf der Bühne, oder? Da gab es Rufe: „Absaufen lassen!“

CPR: Das ist schon ein Stück weit schrecklich. Mich würd aber auch mal interessieren, warum sind diese Menschen so? Was bewegt die dazu, dass die sowas sagen? Ich mein dieser Mann, der da in der nicht ganz billigen Eisdiele, eigentlich verkaufen die handgemachte Schokolade, das ist jetzt nicht die unterste Preisschiene, ganz im Gegenteil, Qualität kostet halt was, ich esse da gerne Eis, weil das Eis einfach wirklich sehr gut ist. Also, der hat sich da einen Kaffee gekauft und der ist sicherlich nicht der Ärmste, der in Landsberg rumrennt, der wird auch keinen Kaffee weniger trinken und kein Schnitzel weniger essen und auch nicht weniger oft in Urlaub fahren oder Ähnliches, aber wenn man mit solchen Leuten diskutieren könnte, dann würd’s mich eigentlich schon mal interessieren: „Wie kommt ihr auf die Idee, dass man einfach Menschen in einer Bugwelle eines Schiffes unterpflügt?“

Ich hab allerdings auch schon mal mit jemand am Telefon, der mich angerufen hat, ich hab abgehoben – es gibt nur eine einzige Telefonnummer, die ich privat kenne, die unterdrückt ist – und die Anrufe mit der unterdrückten Nummer waren halt eine Weile lang häufiger, da hab’ ich dann abgehoben und ich meld mich dann ganz normal mit meinem vollen Namen, und der hat mich dann gefragt, ob ich der „Schlepperkönig“ bin. Und dann hab ich gesagt: „Ja, der bin ich. Um was geht´s denn? Möchten sie mitschleppen?“ „Nee!“ und das, was ich mache, wäre’ eine Schweinerei und überhaupt. Und ich hab dann tatsächlich mit dem ein Gespräch über eine Stunde lang geführt, hinterher hat er mir dann das „Du“ angeboten, fand ich sehr interessant, der war aus dem Grenzgebiet Baden-Württemberg – Bayern, ich hab ihn dann gefragt, er hat mir den Ort gesat, aber ich weiß es mittlerweile nicht mehr. Ich hab ihn dann auch gefragt, ob es ihm wirtschaftlich schlecht geht. Ob er irgendein Problem hat, was denn seine Ängste eigentlich sind? Und das war dann so diffus, dass er mir das eigentlich nicht wirklich erklären konnte. Und wieso wir die nicht wieder zurückbringen? Dann hab ich ihm was über die Genfer Flüchtlingskonvention erzählt, und über SOLAS, und ihm dann auch gesagt, wo er das nachlesen kann. Also, wenn man mit so manchen dann mal Eins zu Eins sprechen kann, ändern sich auch Ansichten. Ich glaub’, dass da einfach viel durch den derzeitigen Populismus, durch den die Politik leider, leider, leider geprägt ist, auf die falsche Bahn kommt. Und wenn man die Leute mal über die Tatsachen aufklärt, dass es bei dem einen oder anderen, bei manchen sicherlich nicht, schon mal Klick macht. So wie bei diesem Menschen, der dann sagt: „Aha, so ist das.“

„Ich muss schauen, dass möglichst viele überleben“

Da könnte man natürlich an einen Punkt kommen, wo man sagt: “Ich kann diesen Horror nicht mehr sehen.” Aber es gibt soviel positive Momente, dass man sagen muss: Dafür mach ich das.

Ich meine, die Bilder der Wasserleichen, die blende ich, die blende ich einfach aus. Ich kann den toten Körpern nichts Gutes mehr tun. Ich kann ihn nicht an Land bringen, um ihn zu beerdigen, die Möglichkeiten haben wir auf dem Schiff nicht. Wir haben keine Kühlmöglichkeiten, wir können nicht in Leichensäcken die Leichen tagelang durch die Gegend fahren, das geht nicht. Ich muss mich darauf konzentrieren, dass ich denen, die überlebt haben, das weitere Fortkommen ermögliche. Ich muss schauen, dass möglichst viele überleben. Und dass ist der Punkt, an dem ich mich selber fest mache, an denen, die überlebt haben. Wenn ich dann zum Beispiel in unser Krankenhaus reinschaue, da hatten wir in der Nacht einmal drei ganz junge Muttis mit ihren Säuglingen reingeholt, weil das Wetter schlecht war, und die schliefen da auf diesen Behandlungsliegen. Und ein kleines Mädchen mit so drei Jahren, mit einem Stofftier, das es von uns bekommen hatte, sicherlich das erste Spielzeug, das das Kind in seinem Leben gesehen hat. Sie hatte das Stofftier im Arm und lag einfach auf dem blanken Boden im Krankenhaus und hat da geschlafen. Das war eine so total friedliche Situation in diesem,ja,  ich will jetzt nicht sagen „Horrorveranstaltung“ aber, in diesem…

IW: In diesem Schrecken…

CPR: Ja, in diesem Schrecken. Da bin ich dann rausgegangen aus dem Krankenhaus und bin wieder hoch auf die Brücke, und hatte da schon feuchte Augen und hab mir gedacht, genau das ist es, wofür ich das mache.

Ich find’ die Toten natürlich schrecklich, das ist gar keine Frage, aber daran kann ich letztlich nichts mehr ändern. Da kann ich nicht mehr wirken. Aber ich kann wirken mit meiner Crew zusammen, die Menschen, die es überlebt haben, an einen sicheren Ort zu bringen, wo sie eine Perspektive und ein Fortkommen hoffentlich haben. Also muss ich nach vorne schauen und nicht zurück. Das ist jetzt vielleicht, vielleicht ist es eine schräge Philosophie, ich weiß es nicht, aber das ist halt einfach mein Umgang damit. Nicht, dass ich die Toten vergesse oder so, aber ich versuche, die auch nicht zu zählen, ich versuche auch nicht, die Überlebenden zu zählen, ich mach mich nicht an irgendwelchen Zahlen fest, das ist nicht so mein Ding. Zumindest nicht an Zahlen, die jetzt eigene Rettungen betreffen. Manche zählen das, wie viele Menschen sie gerettet haben, das ist für mich jetzt, also die Zahl ist für mich nicht wichtig.

„Man muss uns helfen, damit wir helfen können“

Also im Moment ist es ja so, dass unser Schiff beschlagnahmt ist. Wir haben eine Kaufoption für ein neues Schiff unterschrieben, das heißt, wir müssen das Schiff finanzieren, wir müssen das Schiff umbauen, das Schiff kostet circa 400.000 Euro und der Umbau für unsere Zwecke, also der Einbau eines Krankenhauses, dann die ganzen Rettungsmittel, die wir brachen, die Kommunikationstechnik ecetera, ecetera, wird nochmal mit ungefähr 100.000 Euro zu Buche schlagen, so dass dieses neue Rettungsschiff circa eine halbe Million kostet. Dafür brauchen wir Geld, und dafür sind wir natürlich auf die Spenderinnen und Spender angewiesen, die uns ermöglichen, dieses Schiff zum Laufen zu bringen, damit wir weiter die Menschen im Mittelmeer retten können. Eigentlich, das muss man sagen, ist es völlig unnötig, wir haben ein Schiff, auch die Gewerkschaft der Seeleute, der Generalsekretär der Schifffahrtsgewerkschaft in Deutschland, der Herr Geitmann, war bei uns auf dem Schiff, der hat mich zu dem letzten Prozesstag begleitet, ebenso wie ein Stadtrat hier aus Landsberg am Lech, der mit dabei war. Und der Herr Geitmann, der selber über zwanzig Jahre zu See gefahren ist, und auch Bücher über dieses Thema geschrieben hat, der hat sich unser Schiff ganz genau angeguckt, und der hat uns großen Respekt gezollt, dass wir dieses Schiff so toll in Ordnung haben, und war von den Möglichkeiten, die wir mit diesem Schiff haben, von unseren Rettungsmöglichkeiten, wirklich komplett überzeugt. Er hat gesagt: „Ihr habt einfach ein wunderbares Schiff, Ihr könnt das tun, was Ihr damit vor habt, Ihr seid top ausgerüstet.”

Und dieses Schiff können wir jetzt momentan nicht mehr benützen wegen eines, ich nenn’ es jetzt mal ganz salopp, wegen eines blauen Zettels, wegen dem wir nicht auslaufen dürfen, muss ein komplett ausgerüstetes Rettungsschiff im Hafen bleiben. Ob wir es jemals wieder zurückbekommen, wir wissen es eigentlich nicht. Aus dem Grund wollen wir aber jetzt nicht klein beigeben, sondern auch hier, im wahrsten Sinne des Wortes, Flagge zeigen, was natürlich nur mit der Unterstützung von außen geht, also sprich von  Spenderinnen und Spendern, dass wir sagen, wir geben jetzt hier an dieser Stelle nicht auf, sondern wir lassen uns das nicht gefallen, wenn man uns unser Rettungsschiff beschlagnahmt, dann bringen wir halt einfach ein neues zum Laufen.

Das ist völlig absurd, wie Sie auch selber sagen, weil wir ja eins haben. Ich würd’ sofort mit diesem Schiff losfahren, es ist top geeignet, es hat sich bewährt, dieses Schiff hat – es ja ja vor einer anderen Organisation gehört – dieses Schiff hat insgesamt in seinem, ja, zweieinhalbjährigen Leben als – das Schiff ist insgesamt fünfzig Jahre alt – in seinem zweieinhalbjährigen Leben als Search and Rescue Schiff über 20.000 Menschen das Leben gerettet. Dieses Schiff ist für diesen Einsatzzweck hervorragend geeignet. Und wir werden jetzt letztlich gezwungen, ein anderes Schiff zu kaufen. Ich kann das irgendwo nicht wirklich einsehen, aber uns bleibt ja faktisch nichts anderes übrig.

Nee, so kann der Staat mit Euch nicht umgehen, oder die Staaten oder Europa, nicht mit euch umgehen. Und vor allem auch nicht mit diesen Menschen. Es geht ja nicht darum, dass wir jetzt ein Spaßverein sind und wir jetzt gern ein großes Motorboot fahren würden. Ich bin eigentlich ein Segler. Motorboote sind jetzt nicht so meine  Präferenz, wenn ich ehrlich sein soll. Aber es geht halt nur mit einem Motorschiff, und deswegen sag ich okay, dann ist es halt ein Motorschiff, aber wir sind ja kein Hobbyverein, der zum Selbstzweck jetzt dieses Schiff betreibt, weil wir lustig auf See fahren wollen. Sondern wir sind ein Verein, der sich einfach der Humanität verschrieben hat, der sagt: „Wir retten Menschenleben.“

Und man muss uns einfach helfen, damit wir helfen können. Wir können nur mit der Hilfe von Außen diesen menschen helfen. Und deswegen find ich es super, dass Sie sich für uns interessieren, natürlich auch mit dem Hintergrund der Stiftung, find ich ganz klasse, ja.

IW: Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

CPR: Ich danke Ihnen herzlich, dass Sie mir die Möglichkeit geben.

Das Interview fand im September 2018 in Landsberg am Lech statt.

Interview: Dr. Irmtrud Wojak
Kamera: Jakob Gatzka
Fotos: Hermine Poschmann
Transkiption: Antonia Samm

Kontakt: info@fritz-bauer-blog.de

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