* 16. Juli 1891 in Neuburg an der Donau, Deutschland
† 22. Januar 1955 in München, Deutschland

Partner

Franz Xaver Baier

† 22. Mai 1937 München
Kind

Traudl Baier

* München
† München
Kind

Karl Baier

* 12. März 1923 München
† 23. Februar 2004 Garmisch-Partenkirchen
Land des Kampfes für die Menschenrechte: Deutschland
Ort des Kampfes für Menschenrechte: München
Bereich Art Von Bis Ort
Beruf Hausfrau

Leitmotiv

Anna Beier leistete Hilfe für von den Nazis Verfolgte

Sie gab während des Nazi-Regimes für mehrere Tage als Juden verfolgten Bürgerinnen und Bürgern Unterschlupf in München. In dieser Zeit begann sie, neu über ihre nationalistische Einstellung nachzudenken.

Wie wurde die Geschichte bekannt?

Durch das Tagebuch des Sohnes Karl Baier wurde die Geschichte dokumentiert und bekannt. Sie wird hier in der interaktiven Fritz Bauer Bibliothek erstmals erzählt.

Wann wurde die Geschichte bekannt?

2019

Literatur (Literatur, Filme, Webseiten etc.)

Karl Baier, Tagebuch (des Sohnes von Anna Baier), Privatbesitz.

Eidesstattliche Versicherung, 1. März 1950, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA 33681.

Susanna Schrafstetter, Flucht und Versteck. Untergetauchte Juden in München – Verfolgungserfahrung und Nachkriegsalltag. Göttingen: Wallstein, 2015.

  • Persönlichkeit
  • Religiöse Einstellung

EINLEITUNG

Anna Theresa Baier leistete Hilfe für von den Nazis Verfolgte. Sie gab während des Nazi-Regimes für mehrere Tage als Juden verfolgten Bürgerinnen und Bürgern Unterschlupf in München. In dieser Zeit begann sie, neu über ihre nationalistische Einstellung nachzudenken.

DIE GESCHICHTE

Meine Großmutter

Anna Geiger wird in der Kleinstadt Neuburg an der Donau geboren. Sie wächst im Haus an der Donaubrücke auf. An der Brücke kassiert sie als Kind noch den Brückenzoll.

Über die Brücke ziehen am Samstag die Bauern mit Pferdefuhrwerken in die Stadt und bringen das Sattelzeug zur Reparatur zu ihrem Vater, der von Beruf Sattlermeister ist und hauptsächlich von den Militärpferden lebt. Am Sonntag nach dem Kirchgang gibt es wöchentlich eine Militärpromenade auf dem Karlsplatz mit Militärmusik.

 

Mit grünen Girlanden wird 1918 das Haus geschmückt zum Empfang der heimkehrenden Truppe. Später sichert von einem Fenster des obersten Stockwerkes aus ein Maschinengewehr die Brücke vor eventuellen Novemberrevolutionären, aber sie kommen nicht.

Die Militärmusik liefert das musikalische Repertoire für Anna, sie singt fröhlich Operettenlieder, auch im Erwachsenenalter.

1919 heiratet sie Franz Xaver Baier und zieht nach München in die Schlotthauerstraße, in den Stadtteil Au.

Anna Baier bringt zwei Kinder zur Welt, zunächst ihre Tochter Traudel und dann im Jahr 1923 ihren Sohn Karl.

Anna Baier lebt das Leben einer traditionellen Hausfrau. Sie hält die Wohnung sauber, bereitet das Essen zu, und zwar jedem einzelnen gesondert zum Zeitpunkt seiner Heimkehr. Ihre Außenkontakte beschränken sich auf den wöchentlichen Gang zum Viktualienmarkt, den Besuch der Kirche und den Gang zur Schwester, die in der nahen Frauenhoferstraße wohnt. Abende mit Kollegen ihres Mannes bringen viel Fröhlichkeit und Gelächter. Sie ist der eindeutige Mittelpunkt der Familie.

Anna ist durch das Militär in Neuburg an der Donau sehr nationalistisch geprägt, sie hasst die Franzosen, die Nationalhymne treibt ihr Tränen in die Augen.

Im Jahr 1933 zieht die Familie in die Auenstraße 13. Die Nazis sind an die Macht gekommen.

Drei jüdische Familien im Haus verschwinden fast unbemerkt, niemand im Haus spricht darüber. Anna hellhörig und von unruhigem Schlaf, forscht dem Verschwinden nach, sie kann es rekonstruieren. Die Herren betreten die Treppe kurz vor sechs Uhr, Anna hört die Schritte, klemmt sich ans Guckloch der Wohnungstüre, wartet, bis die Herren zurückkommen, nun vermehrt um einen jüdischen Hausbewohner und Nachbarn, den sie gestern noch gegrüßt hat. Neue Leute ziehen ein. Annas Nationalgefühl gerät nun ins Wanken.

Annas Urteil über Juden ist einerseits das ständig präsente Vorurteil geschäftlich lädierter Kleinbürger. Das reicht aber nicht aus zur Ablehnung oder Hass, sondern provoziert nur Staunen über fremde Erscheinungen, deren Nähe sie meidet. „Schau hin, das ist bestimmt ein Jude!“ wird ängstlich, ehrfürchtig vor ihr gesprochen. Andererseits gibt es persönliche Begegnungen und Erfahrungen. So sind alle Juden, die Anna kennt, gut, besonders die, die sich mit Trachtenjanker kostümieren und bayerisch sprechen.

Bewundert werden von Anna die großen jüdischen Geschäftsleute Münchens, Bamberger und Hertz, Konrad Track und Uhlfelder, die ihrer Meinung nach mit den Angestellten menschlicher umgehen als Christen.

Jahre später ist dieser Widerspruch zwischen abstrakten Vorurteilen und persönlicher Erfahrung beseitigt. Die Judenverfolgung stellt Anna eindeutig auf die Seite der Verfolgten. Den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Schülein, ein Freund ihres Mannes, nimmt sie im April 1943 auf seiner Flucht in die Wohnung auf und hält ihn vierzehn Tage dort versteckt.

Annas Kirchennähe verpflichtet sie auf Bitten des Stadtpfarrers von Sankt Max zur Aufnahme eines Untermieters. Er ist katholisch und habe eine christliche Einstellung. Nach einer Woche des Zusammenlebens mit dem als Juden verfolgten Dr. Schülein verliert der Untermieter die Nerven. Er sagt zu seiner Vermieterin Anna: “Wenn Sie nicht sofort den Juden aus dem Haus schaffen, zeige ich Sie an.” Anna läuft sofort zum Stadtpfarrer, der prompt erscheint und und die Wogen glättet.

Sie hilft nicht nur Dr. Schülein, sondern sie gibt immer wieder für mehrere Tage als Juden Verfolgten Unterschlupf. Auch einen französischen Kriegsflüchtling nimmt sie für einige Zeit auf bis seine Flucht organisiert ist. Namen der versteckten Personen sind leider nicht bekannt.

1937 stirbt ihr Mann an Zungen- und Mundkrebs. Auch ihre Tochter Traudl stirbt früh, weil sie sich als Krankenschwester mit TBC (Tuberkulose) angesteckt hat.

Im Kriegswinter 1944 gelingt es Anna, den Genesungsurlaub ihres Sohnes Karl über Weihnachten dadurch um eine Woche zu verlängern, dass sie in die Kaserne nach Füssen fährt, zum Kompaniechef Spindler vordringt und sich weigert, ohne positives Ergebnis den Raum zu verlassen. Ihr Sohn wird im Jahr 1945 gefangen genommen und bleibt vier Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft.

Wer wagt selbst zu denken, der wird selber auch handeln.
(Bettina von Arnim)

 

 

 

 

 

 

 

 

Autorin: Sybille Baier

Abbildungen

Abb. 1: Anna Theresas Kommunion
Abb. 2: Anna mit ihrer Schwester
Abb. 3: Das Haus an der Donaubrücke
Abb. 4: Anna in jüngeren Jahren
Abb. 5: Anna mit ihrem Ehemann Franz Xaver Baier
Abb. 6 : Anna in älteren Jahren

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