„Lasst uns ankämpfen gegen Apathie: Gegen die philisterhafte Gleichgültigkeit, gegen diese dummen Straußenköpfe, die sich vor der heranstürmenden Gefahr verstecken, gegen die Trägheit mit einem Worte“
Bertha von Suttner, Mitteilungen, 1892, S. 17Weiterlesen:
† 21.06.1914 in Wien
Staatsangehörigkeit bei Geburt: Kaisertum Österreich (Prag/Böhmen)
Staatsangehörigkeit bei Tod: Österreichisch-Ungarische Monarchie (Österreich)
Sophie Wilhelmine Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau , geborene von Körner
* 11 Jänner 1815 in Prag† 26. März 1884
Franz Michael Joseph Graf Kinsky von Wchinitz und Tettau
* 12. Oktober 1769† 1843
Arthur Franz Graf Kinsky von Wehnitz und Tettau
* 17. April 1837, Prag† 29. Mai 1906, in Split
Arthur Gundaccar Freiherr von Suttner
* 21. Februar 1850† 10. Dezember 1902 in Harmannsdorf
Ort des Kampfes für Menschenrechte: Wien, Berlin, Bern, weitere europäische Städte, Städte in Georgien, USA
Bereich | Art | Von | Bis | Ort |
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Privatunterricht | Gesang- und Musikunterricht, sowie Sprachunterricht | Beruf: Gouvernante, Lehrerin / Journalistin, Schriftstellerin, Rednerin | unbekannt | Brünn |
Privatunterricht | Philosophie und Literatur | Selbststudium in der stiefväterlichen Bibliothek | unbekannt | Brünn |
Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde
Ort: Wien (1891)Eintrittsgrund: Friedensengagement
Funktion / Tätigkeit: Gründerin und Präsidentin der Gesellschaft
Verein zur Abwehr des Antisemitismus
Ort: Wien (1891)Eintrittsgrund: Zeichen und Taten gegen Antisemitischen Strömungen in Wien
Funktion / Tätigkeit: Gründungsmitglied
Deutsche Friedensgesellschaft (DFG)
Ort: Berlin (1892)Eintrittsgrund: Unterstützung und Aufbau der Friedensbewegung in Deutschland
Funktion / Tätigkeit: Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied
Internationales Friedensbüros Bern/Schweiz
Ort: Bern (1892)Eintrittsgrund: Aufbau und Durchführung der Internationalen Friedenskongresse
Funktion / Tätigkeit: Präsidentin
Bund Österreichischer Frauenvereine
Ort: Wien (1902)Eintrittsgrund: Politisches Engagement für Frauenfragen
Funktion / Tätigkeit: Teil des Vorstandes
Erste Haagener Friedenskonferenz
Ort: Den Haag (1899, 1904, 1907, 1912)Eintrittsgrund: Engagement für Schiedsgerichte und Abrüstung
Funktion / Tätigkeit: Rednerin, Journalistin
Dritter Weltfriedenskongress
Ort: Rom (1891)Eintrittsgrund: Engagement für Schiedsgerichte und Abrüstung
Funktion / Tätigkeit: Rednerin, Journalistin
Leitmotiv
Die Waffen nieder!
Mit diesen drei prägenden Worten wurde Bertha von Suttner vor dem ersten Weltkrieg international bekannt. Der einprägsame Titel ihres Romas von 1889 „Die Waffen nieder“ appelliert daran, dass Kriege von Menschen gemacht sind. Kriege brechen nicht einfach wie Naturkatastrophen über Regionen herein. Kriege sind von Menschen gemacht und können verhindert werden.
Wie wurde die Geschichte bekannt?
Ihr berühmter Roman “Die Waffen nieder” wurde seit seiner Erstveröffentlichung 1889 in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde und erschien in deutscher Sprache in mehr als 40 Auflagen. Der Welterfolg des Buches sollte die Autorin und die bereits bestehende internationale Friedensbewegung propagieren und weltweit bekannt machen. Gemeinsam mit Alfred Hermann Fried gründet sie in Berlin die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) und gab zwischen 1892 bis 1899 die Monatsschrift ”Die Waffen nieder” heraus, die später von Alfred Fried als ”Die Friedens-Warte weitergeführt wurde.
Wann wurde die Geschichte bekannt?
„An der Jahrhundertwende hielt sie Abrechnung mit ihrem Zeitalter. Auf das eine Konto dieser Buchführung schrieb sie alles, was dem Kriegsgeiste angehörte: Autorität, Militarismus, Antisemitismus, Nationalismus, Konfessionalismus, Gewalt, Lüge und Härte. Auf das andere Konto schrieb sie alles, was dem Friedensgeiste angehört: Freie Forschung, Demokratismus, Gleiches Recht für alle, Weltbürgertum, religiöse Toleranz, Recht, Wahrheit, Ehrlichkeit und Güte.“ (zitiert. nach Ellen Key, 1919)
Anstatt Kriege zu führen, könnte der Mensch einen zivilisierten Weg gehen, argumentiert Bertha von Suttner, nämlich den Weg der Abrüstung. Ein „Bund der zivilisierten Staaten Europas“ sollte gegründet werden. Wenn Gerichtshöfe erfolgreich Differenzen zwischen Individuen oder Unternehmen beilegen konnten, warum sollten sie nicht auch zwischen Staaten und Nationen vermitteln können?
Suttners politisches Engagement richtet sich:
– Gegen militärischen Wettlauf,
– Gegen Eroberungen und gewaltsame Interessensdurchsetzung bei Konflikten,
– Für Solidarität und Frieden zwischen allen Menschen.
Suttners dringendes und vorrangiges Ziel war der Weltfriede:
– Änderung der Diskussion über Kriege: von genereller Akzeptanz hin zu Prävention;
– Dabei spielt Jugendbildung eine wichtige Rolle;
– Versuch, durch Bewusstseinsbildung und Engagement jene zu erreichen, die der Friedensidee ablehnend oder gleichgültig gegenüberstehen.
Suttner gründet 1891 die “Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde”, die „keine politische“, sondern eine „rein humanitäre“ Vereinigung darstelle (von Suttner, B. 1891c, S. 1ff.). Die Friedensgesellschaft hatte pragmatische Ziele: sie strebte nach einem kulturellen und humanitären, nicht aber nach einem politischen Wandel im Sinne einer neuen Partei, weil in dieser Zeit Vereinen eine offene Einmischung in die Innenpolitik, und zum Beispiel der Aufruf zu einer Verweigerung eines Militäreinberufungsbefehles in das habsburgische Heer, bei Bestrafung verboten war. Daher betonte sie stets übernationalen Ziele, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, anti-national zu agieren.
Ab 1889 legt von Suttners Wirken den Grundstein für zahlreiche friedenspolitische Organisationen:
1891 Gründung der ”Österreichische Friedensgesellschaft” in Wien, der sie als Präsidentin vorsteht.
1891 Gründung des “Verein zur Abwehr des Antisemitismus” (gemeinsam mit ihrem Mann Arthur Gundaccar von Suttner)
1892 gründet sie gemeinsam mit Alfred Hermann Fried in Berlin die “Deutsche Friedensgesellschaft” (DFG).
1892 Im selben Jahr gründet sie in Wien gemeinsam mit ihrem Mann Arthur Gundaccar von Suttner den “Verein zur Abwehr des Antisemitismus”.
Wo wurde die Geschichte bekannt?
1891 Dritter Weltfriedenskongress in Rom: Bertha von Suttner hält ihre erste öffentliche Rede als Präsidentin der Österreichischen Friedensgesellschaft;
1892 Vierter Weltfriedenskongress in Bern;
1894 Friedenskongress in Antwerpen und Interparlamentarische Konferenz in Den Haag;
1899 Teilnahme an der ersten Haager Friedenskonferenz als Vertreterin/Präsidentin des Internationalen Friedensbüros;
1902 Friedenskongress in Monaco;
1904 Erste Vortragsreise in die USA
1906 Friedensnobelpreis, Vortragsreise nach Norwegen, Schweden und Dänemark
1907 Zweite Haager Friedenskonferenz
1912 Zweite Vortragsreise in die USA
1913 Vortragsreise nach Deutschland, Holland und Frankreich
1914 Vorbereitungen zum Weltfriedenskongress in Wien
Durch wen wurde die Geschichte bekannt?
Bertha von Suttner hat neue Organisationen aufgebaut, um ihre Ideen umzusetzen: sie veröffentlichte ihre Ansichten in Zeitungen, sie gründete neue Friedensvereine und Friedensgesellschaften, sie knüpfte Netzwerke, sie hielt Vorträge vor politischen Gremien und Frauenvereinen. Sie verbreitete ihre Ideen als Journalistin, Schriftstellerin und Rednerin. Sie hatte Zugang zu diversen europäischen Salons und sie sprach mit vielen Persönlichkeiten aus Kunst und Politik über ihre Ideen.
Preise, Auszeichnungen
Friedens-Nobelpreis, 1905
In zahlreichen Städten in Österreichs und Deutschlands sind Schulen, Plätze und Straßen nach ihr benannt.
Auf der österreichischen 1000-Schilling Banknote von 1966 (Außerkurssetzung: 1985) und der österreichischen 2-Euro Münze befindet sich ein Portrait von Bertha von Suttner.
Literatur (Literatur, Filme, Webseiten etc.)
Sekundärliteratur (Auswahl)
Brinker-Gabler, Gisela (1982). „Einleitung“. In: Kämpferin für den Frieden. Bertha von Suttner: Lebenserinnerungen, Briefe und Schriften. Eine Auswahl. Herausgegeben und eingeleitet von G. B.-G. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verlag (Die Frau in der Gesellschaft. Texte und Lebensgeschichten), S. 11–36.
Biedermann, Edellgard (1999). Nicht nur Die Waffen nieder!: Bertha von Suttner. In: Karin Tebben (Hrsg.): Deutschsprachige Schriftstellerinnen des Fin de Siècle, 1999, Wissenschaftliche Buchgemeinschaft Darmstadt.
Biedermann, Edellgard (2001). “Chère Baronne et Amie, Cher monsieur et ami”. Der Briefwechsel zwischen Alfred Nobel und Bertha von Suttner. Hildesheim: Georg Olms Verlag.
Cohen, Laurie (2005). Einleitung (S. 1-14). In: Cohen, Laurie (Hrsg.): “Gerade weil sie eine Frau sind…”. Erkundungen über Bertha von Suttner, 2005. Braumüller Verlag, Wien.
Enichlmair, Maria (2005). Abenteurerin Bertha von Suttner. Die unbekannten Georgien-Jahre 1876 bis 1885. Maria Enzersdorf bei Wien: Roesner Verlag.
Götz, Christian (1996). Die Rebellin Bertha von Suttner. Botschaften für unsere Zeit. Dortmund.
Hamann, Brigitte (2015). Bertha von Suttner. Kämpferin für den Frieden. München und Zürich: Piper (Orig. 1986).
Kempf, Beatrix (1964). Bertha von Suttner. Das Lebensbild einer Großen Frau. Schriftstellerin. Politikerin. Journalistin. Österreichischer Bundesverlag Wien.
Rath, Brigitte und Heller-Schuh, Barbara (2016). “In Fühlung treten” – Netzwerke in der Frauen- und Friedenspolitik. Böhlau Verlag, Wien – Köln
Stalfort, Anne (2000). Das Maschinenzeitalter und Der Menschheit Hochgedanken. Bertha von Suttners literarische Utopien. In: Bei Gefahr des Untergangs. Phantasien des Aufbrechens. Festschrift für Irmgard Roebling. Hrsg. von Ina Brueckel, Dörte Fuchs, Rita Morien und Margarete Sander. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 197–217.
Van den Dungen, Peter (2007). The political Engagement of Bertha von Suttner. Friede – Fortschritt – Frauen. Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner auf Schloss Harmannsdorf. In: Friede-Fortschritt, LIT Verlag.
Van den Dungen, Peter (2021). Bertha von Suttner’s anti-war novel in French – A Bas les Armes! (1899). The late and troublesome birth of a non-bestseller. French Historical Studies, Duke University, USA (submitted).
Thalmann, Eveline (2017). Bertha von Suttner als Soziologin. In: Zeitschrift für Literatur und Theatersoziologie, Jg. 10. Sonderband 4, Lithes.
Wintersteiner, Werner (2007). Die Waffen nieder! – ein friedenspolitisches Programm? Friedenserziehung in Österreich-Ungarn und im Deutschen Reich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. In: Friede-Fortschritt, LIT Verlag.
Eigene Werke
Auswahl der Romane und Kurzgeschichten Bertha von Suttners
1883 Inventarium einer Seele
1886 High Life (unter dem Pseudonym B. Oulot)
1888 Schriftstellerroman
1889 Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte
1889 Das Maschinenzeitalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit
1892-1899 Die Waffen nieder! Monatszeitschrift (Hrsg.)
1902 Marthas Kinder
1902 “Die Waffen nieder!“-Teil II
1902 High Life (unter ihrem richtigen Namen, siehe 1886)
1892-1900 und 1907-1914 Randglossen zur Zeitgeschichte
1909 Rüstung und Überrüstung
1909 Bertha von Suttner. Memoiren
1911 Der Menschheit Hochgedanken
1912 Die Barbarisierung der Luft
Zeugenschaft vor / bei
Leitmotiv: Die Waffen nieder!
Der einprägsame Titel „Die Waffen nieder!“ appelliert an das Verständnis, dass Kriege von Menschen gemacht sind. Kriege brechen nicht einfach wie Naturkatastrophen über Regionen herein. Kriege sind von Menschen gemacht und können verhindert werden.
Bertha von Suttners Kritik richtet sich:
– gegen das Wettrüsten, gegen Rüstung und Militarismus,
– gegen den Einsatz von Waffen im Krieg,
– kriegerischer Gewalt als Mittel, politische Konflikte zu lösen.
Dagegen stellt sie die Losung: Die Waffen nieder! Diese Losung bedeutet die Verurteilung kriegerischer Gewalt als Mittel, politische Konflikte zu lösen.
Stattdessen fordert sie:
– internationalen Schiedsgerichte;
– den Zusammenschluss der Staaten;
– Rüstungsstopp und Abrüstung, um die Gefahr einzudämmen, dass Krieg als politisches Mittel eingesetzt wird;
– den Kampf gegen die Kultur des Militarismus (vor allem in Schulen und der Jugendbildung);
– das Ende jedweder Rechtfertigung von Aufrüstung im Namen nationaler Sicherheit (gegen nationalen Chauvinismus);
– das Ende des „Kriegssystems“, bestehend aus militärischen Kreisen, Kriegsmittelfabrikanten und Heereslieferanten
Geltung der Rechte für alle Menschen in allen Ländern und Gebieten unabhängig von ihrer internationalen Stellung
Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit
Verbot von Sklaverei oder Leibeigenschaft
Verbot von Folter oder grausamer, unmenschlicher Behandlung
Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson
Gleichheit vor dem Gesetz
Anspruch auf Rechtsschutz
Anspruch auf öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen Rechtsverfahren
Schutz der Privatsphäre
Recht auf Eheschließung, Schutz der Familie
Recht auf Eigentum
Religionsfreiheit
Recht auf freie Meinungsäußerung
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Recht an der Gestaltung der öffentlichen Ordnung mitzuwirken
Recht auf soziale Sicherheit
Nahrung
Recht auf bezahlte Arbeit, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit
Anspruch auf ausreichende Lebenshaltung, auf Sicherheit bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung und Alter, Schutz für Mütter und Kinder
Recht auf Bildung und Ausbildung
Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben, Freiheit von Wissenschaft und Bildung
Recht auf Gesundheit
Recht auf Wahrheit
Recht auf Wahrheit
Recht auf Wahrheit
EINLEITUNG
Bertha von Suttner lebte in einer gesellschaftlichen Umbruchssituation des Wiener Fin-de-Siècle. Die alten, von Kirche und Kaisertum definierten Verhältnisse waren in Bewegung gekommen. Es fand eine Neubewertung gesellschaftlicher Werte und Normen statt, neue Weltbilder entstanden, die dann als Moderne definiert wurden. Um die Jahrhundertwende geraten Geschlechterklischees in Bewegung, die Frauenfrage wird neu diskutiert. Bertha von Suttner nutzte die neuen kulturellen Vorgaben der Zeit und wurde zur Sprecherin der Friedensbewegung. Neben ihrem Kampf für den globalen Frieden war sie überzeugte Weltbürgerin, die Nationalismus und Fremdenhass entschieden ablehnte. Zudem engagierte sie sich für die Frauenfrage, was keineswegs dem üblichen Image und den Interessen adeliger Frauen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entsprach. Auf all diesen Gebieten rebellierte Suttner gegen den konservativen Zeitgeist, dessen zahlreiche Anhänger in Staat, Parteien und Militär sie mit ihren Äußerungen permanent herausforderte. Ihre Schriften zeigen eine Autorin, die couragiert gegen Nationalismus, Chauvinismus und Militarismus auftrat. Ihre Texte lesen sich als Gegenliteratur zu den Männerromanen der Zeit, in welchen Kriegsbegeisterung und Heldentum bejubelt wurden.
DIE GESCHICHTE
Bertha von Suttner (1843-1914)
„Lasst uns Ankämpfen gegen Apathie: Gegen die philisterhafte Gleichgültigkeit“
Bertha von Suttners (geborene Gräfin Kinsky von Chinic und Tettau) Name gilt als Synonym für Pazifismus und bedingungslosen Friedenseinsatz. Sie war die erste Frau, die den Friedensnobelpreis verliehen bekam (1905) – und sie hat ihn überhaupt erst erfunden. Dank ihrer Bekanntschaft mit dem schwedischen Dynamitfabrikanten Alfred Nobel (1833-1896), mit dem sie seit 1875 in kontinuierlichem Kontakt stand, gelang es ihr, Nobel zur Stiftung des Friedensnobelpreises zu inspirieren.
Familiärer Hintergrund
Bertha Sophia Felicita Gräfin Kinsky von Chinic und Tettau (Pseudonyme B. Oulot und von Jemand) wurde am 9. Juni 1843 in Prag geboren. Sie stammte väterlicherseits aus der Familie Kinsky, mütterlicherseits aus der Familie des Freiheitsdichters Theodor Körner.
Bertha von Suttner wurde als Tochter des Reichsgrafen Franz Josef Michael Kinsky von Wchinitz und Tettau (1769-1843), pensionierter k. k. Feldmarschallleutnant und wirklicher Kämmerer, geboren. Dieser verstarb kurz vor ihrer Geburt im Alter von 73 Jahren. Berthas Vater und seine vier Brüder standen in der militärischen Familientradition des Hauses Kinsky und waren Generäle.
Berthas Mutter Sophia Wilhelmine Gräfin Kinsky (1843-1914), eine geborene Körner und Tochter eines k.u.k. Rittmeisters, heiratete als 18jährige den Grafen Kinsky. Suttners Großvater mütterlicherseits, Theodor Körner, war bekannt als Freiheitsdichter, Autor von Unterhaltungsstücken, und wirkte als Hoftheaterdichter. Die Mutter Bertha von Suttners gab auf den Wunsch der Familie Kinsky hin ihre Karriere als Opernsängerin auf.
Ein Bruder Berthas, Arthur Kinsky, quittierte frühzeitig als Leutnant wegen eines Lungenleidens den Militärdienst, und zog sich dank einer väterlichen Apanche frühzeitig nach Spalato (Dalmatien) zurück (Quelle: [1909]).
Bertha von Kinsky wuchs bei ihrer Mutter Sophia auf. Die mütterliche Linie von Körner war erst jüngst geadelt worden, galt daher als nicht ebenbürtig, dadurch gehörte auch Bertha nicht zum Hochadel und war nicht hoffähig, denn sie hatte nicht die in Österreich erforderlichen sechzehn adeligen Vorfahren – acht auf jeder Elternseite. Sie wurde von der aristokratischen Verwandtschaft isoliert. Die Mutter zog mit der Tochter zu Berthas Vormund, Landgraf Friedrich Fürstenberg, nach Brünn, wo Bertha Kinsky von Privatlehrern erzogen wurde. Sie lernte Französisch, Englisch und Italienisch und sprach diese Sprachen fließend, was ihr bei ihrer späteren Arbeit von großem Vorteil sein sollte. Außer mit Sprachen beschäftigte sie sich mit Klavier- und Gesangsunterricht und zeigte ein für junge Frauen damals ungewöhnliches Interesse an klassischer Literatur, Naturwissenschaften und Philosophie. Beatrix Kempf (1965:9 ff) schreibt über Suttner: „(…) durch intensives Studium und profundes Wissen waren ihr wichtige wissenschaftliche Strömungen und Literatur der Zeit bekannt. Bis zuletzt vermerkt Suttner in ihren Aufzeichnungen jene Titel, die sie für ihre Lektüre ausgewählt hatte, darunter wissenschaftliche Werke, Belletristik, viele österreichische Tageszeitungen.“
Gouvernante und Erzieherin / Alfred Nobel
Auch in ihrem Privatleben verstieß Bertha Kinsky gegen viele der damals gültigen Konventionen. Die junge Komtesse lehnte einige Heiratsanträge ab. Sie war als Gouvernante und Erzieherin im Hause Karl von Suttner tätig. Als sich zwischen dem 23jährigen Sohn des Hauses, Arthur Gundaccar von Suttner (1850-1902) und der dreißigjährigen Gräfin Kinsky eine Liebesbeziehung anbahnte, die von den Eltern nicht gebilligt wurde, musste Bertha das Haus verlassen.
Daraufhin bewarb sich die 32jährige Komtesse Bertha Kinsky auf eine Annonce in der Wiener Zeitung des Jahres 1895, die in den Memoiren wiedergegeben wird: „Ein sehr reicher, hochgebildeter, älterer Herr, der in Paris lebt, sucht eine sprachkundige Dame, gleichfalls gesetzten Alters, als Sekretärin und Oberaufsicht des Haushalts.“ (Memoiren 1909: 131).
Dieser ältere Herr war Alfred Nobel. Bertha wurde angestellt und reiste 1875 nach Paris. Was sich wirklich zwischen den beiden abgespielt hat, lässt sich nur aus ihren Memoiren erschließen: als Alfred Nobel Bertha Kinsky fragte, ob sie freien Herzens sei, verneinte sie das wahrheitsgemäß. Die beiden blieben ein Leben lang gute Freunde. Sie haben sich nach der kurzen Begegnung in Paris nur noch zwei, möglicherweise dreimal getroffen, aber sie standen in ständigem Briefwechsel miteinander (Biedermann, Engelgard, 2001).
Heimliche Heirat und Flucht nach Georgien
Der Aufenthalt Bertha von Suttners in Paris sollte nur zehn Tage dauern. Nachdem Bertha Kinsky sich gegen eine Verbindung mit Alfred Nobel entschieden hatte, reiste sie zurück nach Wien und heiratete gegen den Willen der Eltern, heimlich, den sieben Jahre jüngeren Arthur Gundaccar von Suttner, mit dem sie von 1876 bis zu dessen Tod 1902 verheiratet war. Nach dieser von Seiten der Eltern unerwünschten Heirat flüchtete das Paar vor deren Zorn nach Georgien, wo sich die Suttners fast ein Jahrzehnt (während der Jahre 1876 bis 1885) aufhielten.
Der Aufenthalt in Georgien war geprägt von intellektueller Auseinandersetzung, materieller Bescheidenheit und einer teilweisen Emanzipation von ihrer ursprünglichen Gesellschaftsschicht. Sie verdienten ihr Geld mit Artikeln, Essays, Reiseberichten und Romanen. Ihre frühen Schriften und Romane wurden in Tiflis geschrieben und erschienen unter dem Pseudonym B. Oulot.
Während ihres Aufenthaltes im Kaukasus (dem heutigen Georgien) war Bertha von Suttner noch nicht in ihre Rolle als Pazifistin und Aktivistin geschlüpft. Ihr eigentlicher Politisierungsprozess und die Auseinandersetzung mit der Krieg und Friedens-Thematik sollten erst nach ihrer Rückkehr aus dem Kaukasus im Jahr 1885 erfolgen. Allerdings begann dort die wissenschaftliche Annäherung an das Thema Frieden, wobei sie besonders den britischen Evolutionstheorien des ausgehenden 19. Jahrhunderts ihre Aufmerksamkeit schenkte (Enichlmair 2005, Thallmann 2017).
Friedenserziehung und Bildungsverständnis und die „Frauenfrage“ Bertha von Suttners
Bertha von Suttner unterstreicht in ihren politischen Schriften programmatisch die große Bedeutung von Bildung und Erziehung. Suttner erkennt die Schule als eine der mächtigen Instanzen der Sozialisation für eine Kultur der Gewalt. Daher war die Jugendbildung eines der erklärten Mittel, wie die neu gegründeten deutschen und österreichischen Friedensgesellschaften zur Bewusstseinsveränderung beitragen konnten. Suttners friedenspädagogische Alternativen setzen an bei:
– einer grundlegenden Kritik am Bildungssystem und
– bei konkreten friedenspädagogischen Aktivitäten.
Besonders in zwei Werken lässt sich Bertha von Suttners Bildungsverständnis erschließen: Der Essay „Das Maschinenzeitalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit“ (1889, 1899 3. Auflage) steht für eine radikale Kritik des Schulwesens. Und der Roman Die Waffen nieder! (1889) stellt ein Instrument für friedenspolitische Erziehung dar.
Kritik am Bildungssystem
Suttner diskutiert einen deutlichen Zusammenhang zwischen Militarismus und der Geschlechterproblematik: unterschiedliche Erziehung der Geschlechter bringe eine Kultur des Krieges und der Gewalt hervor. Die jungen Männer sollen zu Helden erzogen werden, den Mädchen hingegen wird die Aufgabe zugeschrieben, diese Helden anzufeuern, zu belohnen und zu trösten. Einen Ausweg sieht Bertha von Suttner in einer freien Bildung, darin läge der Schlüssel zu einem eigenverantwortlichen Menschen: „Bildung ist Macht, Bildung ist Freiheit, (…)“. Mit „freier Bildung“ meint sie vor allem „Schulprogramme, deren Inhalte den aktuellen Kenntnisstand der zeitgenössischen Wissenschaften entsprechen sollten und von konfessionellem Geist“ befreit sein sollten (vgl. Roman High Life 1886, 1902, p. 112). Die Autorin selbst stand den behördlich an Kirche und Militär gebundenen Bildungseinrichtungen ihrer Zeit kritisch gegenüber und beklagte die Kluft zwischen dem Stand der Wissenschaft und dem in der Schule vorgetragenen Wissen:
„Unfreiheit hängt überall mit Unbildung so eng zusammen, dass das beste Mittel zum Festhalten der Bildungseinrichtungen an den Gefesselten stets darin bestand, sie so viel als möglich in Unwissenheit zu belassen. Daher der instinktive Widerwille gegen weibliches Wissen von Seiten der Männer; gegen Bildung der niederen Klassen von Seiten der hohen; gegen Aufklärung überhaupt von Seiten der Priester, dieser Gefängniswärter der Vernunft“ (Das Maschinenzeitalter. Die Frauen, S. 91 -137, zitiert in Thalmann 2017, S. 21 und S. 113).
Kritik übte Bertha von Suttner auch an der vielfach üblichen Mädchenerziehung im Deutschen Kaiserreich und in der Habsburger Monarchie, welche in erster Linie darauf abzielte, aus den Mädchen gute Ehefrauen zu machen. Explizit stößt sie sich an Bildungsprogrammen, deren Ziel die Festlegung auf Geschlechtercharaktere und die Erfüllung von (Geschlechter-)Stereotypen sind. Häuslichkeit und Mütterlichkeit hieß es bei den Mädchen zu fördern, Mathematik und Leistungsstreben bei den Burschen. Die Ausbildung der Mädchen wurde als Familienangelegenheit betrachtet – als angemessene Ausbildungsstätte galt die Seite der Mutter, während die Ausbildung der Bürgersöhne intensiviert und gemäß den Erfordernissen des Militärs und der Berufswelt differenziert wurde.
Der Roman Die Waffen nieder! – Ein Instrument friedenspolitscher Bewusstseinsbildung
„Die Waffen nieder!“ – Mit diesen drei prägenden Worten wurde Bertha von Suttner vor dem Ersten Weltkrieg international bekannt. Ihr Roman, erstveröffentlicht 1889, enthält ein friedenspolitisches Programm, für das Bertha von Suttner 1905 den Friedensnobelpreis verliehen bekam. Bis heute steht der Name Bertha von Suttner als Synonym für Pazifismus und bedingungslosen Friedenseinsatz.
Was ist das Besondere an Bertha von Suttners Roman? Worum geht es in dieser Geschichte, die die Leserschaft rühren und zugleich provozieren sollte und die Autorin zur berühmtesten Frau ihrer Zeit machte? Warum ist sie überhaupt auf die Idee gekommen, den Roman zu schreiben und eine Friedensgesellschaft zu gründen?
Der sehr emotionale Roman dramatisiert das Leben einer Frau, deren Leben durch Kriege zerstört wird und sie zweimal zur Kriegswitwe werden lässt. Das Buch beschreibt, wie Familie und Freunde unter den Zerstörungen während und nach Kriegen leiden. Bertha von Suttner wollte, dass ihr Roman den Leserinnen und Lesern zu Herzen ginge. Deshalb verbindet sie ihre Friedensgedanken mit der innigen Liebesgeschichte zwischen Martha und ihrem zweiten Mann, dem Baron von Tilling – der ihrem Ehemann Arthur Gundaccar von Suttner (1850-1902) sehr ähnelt.
Bertha von Suttner hatte 1887, nach ihrer Rückkehr aus dem Kaukasus, in Paris im Hause des Schriftstellers Alphonse Daudet von der Existenz nationaler Friedensgesellschaften erfahren und von Plänen des Engländers Hodgson Pratt, ein internationales Schiedsgericht zu gründen, um Konflikte zwischen einzelnen Staaten friedlich zu lösen. Sie fand, dass es dringend nötig sei, den Friedensgedanken zu propagieren, und die breite Masse zu informieren. Und so begann sie 1888 mit den Vorbereitungen für einen Roman, der besonders auch Frauen ansprechen sollte, da sie überzeugt war, dass Friedensthemen nicht nur von Männern propagiert werden sollten. Sie wählte die Gattung eines Romans und die Form einer fiktiven Autobiographie. „Ich wollte nicht nur, was ich dachte, sondern was ich fühlte, leidenschaftlich fühlte, in mein Buch legen können. Dem Schmerz wollte ich Ausdruck geben, den die Vorstellung des Krieges in meine Seele brannte“, kommentierte sie später in ihren Memoiren (1909, S. 215). Für das Buch recherchierte sie umfassend. Sie studiert „dickbändige Geschichtswerke, alte Zeitungen, Archivunterlagen. Berichte von Kriegskorrespondenten und Militärärzten und lässt sich von Kriegsteilnehmern erzählen“ (Hamann, 2015, S. 87ff.).
Obwohl Suttner betonte, dass ihr Engagement nicht auf persönliche Kriegserlebnisse zurückging, wie sie in ihren Memoiren schreibt (1909, S. 10), motivierte ein Wunsch diesen Roman besonders: Das Rad des Krieges aufzuhalten! (vgl. Birkhan, 2007). Die literarische Form des Romans erlaubt, fiktive autobiographische Notizen, historische Briefe und Fragmente von Dokumenten zu einer historischen Erzählung zusammenzuführen. Die Rahmenhandlung des Buches spielt zwischen 1857 und 1889. Die Hauptorte des Romans sind Wien, Grumitz in Niederösterreich, die Festung Olmütz an der Front in Böhmen, und die Stadt Paris. Der Roman Die Waffen nieder! zeichnet den Weg von Baronin Martha Tilling nach, die sich von einer unbedachten Ehefrau zu einer überzeugten Kriegsgegnerin wandelt.
Wer hatte je im 19. Jahrhundert so vom Krieg gesprochen oder geschrieben? In fünfundzwanzig Jahren friedenspolitischer Arbeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges legte Bertha von Suttners Wirken den Grundstein für zahlreiche friedenspolitische Organisationen. Sie organisierte zahlreiche Friedenskongresse, arbeitete aktiv an der Ersten Haagener Friedenskonferenz in Den Haag (1899) mit. Außerdem engagierte sie sich im Vorstand des 1902 gegründeten Bundes österreichischer Frauenvereine. Sie bereiste ganz Europa und unternahm zwei Vortragsreisen in die USA, um die Friedensidee zu verbreiten.
Bertha von Suttner starb am 21. Juni 1914 in Wien. Eine Woche nach ihrem Tod fielen die tödlichen Schüsse auf das österreichische Thronfolger-Paar in Sarajewo (28. Juni 1914). Ein Monat später erklärt Österreichs Kaiser Franz-Joseph Serbien den Krieg (28. Juli 1914). Der Erste Weltkrieg forderte über zehn Millionen Tote und sollte vier Jahre dauern.
Während des Ersten Weltkrieges wurden die Aktivitäten der Österreichischen Friedensgesellschaft untersagt, die Herausgabe der Zeitschrift Friedenswarte wurde eingestellt. Erst 1919 wurde die Haagener Friedenskonferenz einberufen und der Völkerbund gegründet. In fünfundzwanzig Jahren friedenspolitischer Arbeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges legte Suttners Wirken jedoch den Grundstein für zahlreiche friedenspolitische Organisationen: Völkerbund, UN-Sicherheitsrat, Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag – und für zivilgesellschaftliche Friedensarbeit weltweit.
Der Roman als Instrument für friedenspolitische Bildung
Nach Erscheinen des Romans Die Waffen nieder! setzte sich Bertha von Suttner unermüdlich und gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen ein für:
– ein sofortiges Ende des Wettrüstens,
– die Minimierung von staatlichen Militärausgaben und für
– die Einsetzung von internationalen Schiedsgerichten zur friedlichen Lösung von bilateralen Konflikten.
Der Roman Die Waffen nieder! stellt ein Instrument für friedenspolitische Bildung dar. Dies kommt besonders im Lebensweg der Protagonistin Martha zum Ausdruck. Der Roman kann als friedenspädagogisches Programm betrachtet werden (vgl. Wintersteiner, 2007):
– weil der Roman als Bildungsroman Kritik am Militarismus übt,
– in seiner Sprache und Struktur ein Modell impliziter „Friedensdidaktik“ verfolgt,
– und durch seine Popularität zur Friedensidee beiträgt.
Beispiele dieser Friedens-Didaktik im Roman Die Waffen nieder! sind:
– Martha, die weibliche Protagonistin, argumentiert in Streitgesprächen mit Familienmitgliedern gegen den Krieg.
– In diesen Streitgesprächen werden verschiedene Argumente für und gegen den Krieg diskutiert, die Argumentation durch eine Polyphonie an Meinungen und Redevielfalt ausgeführt.
– Die Leser_innen können dabei eigene Auffassungen überprüfen und revidieren. (zit. nach Biedermann 1999, S. 239).
Insgesamt trug der Erfolg des Buches zur Verbreitung der Friedensidee und Friedensbewegung bei. Im Jahr 1896 erscheint eine broschierte Volksausgabe zum Preis von einer Deutschen Mark („Groschenroman“). Hedwig Pötting bearbeitete das Buch für die Jugend, welches 1897 erstmals unter dem Titel Marthas Tagebuch aufgelegt wurde.
Bertha von Suttner und die Frauenbewegung
Die „Frauenfrage” ist bei Bertha von Suttner eng verknüpft mit der gesamten Entwicklung der Frauenbewegung. Punkt für Punkt setzte sie sich mit den tief verwurzelten Vorurteilen gegenüber Frauen auseinander, die zumindest unterschwellig bis heute nachwirken: Bildung und Erziehung waren für sie die wichtigsten Komponenten für die Befreiung der Frauen. Denn nur dann wären die Frauen in der Lage, auch einen Beruf auszuüben, am öffentlichen Leben teilzunehmen und überdies finanziell autonom zu werden.
Jedoch gingen die Forderungen Bertha von Suttners, und die der unabhängigen Frauenbewegungen, weit über die materielle Basis hinaus. Die Frauen wollten die Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte für Frauen, die Selbstverwirklichung, die Emanzipation des Individuums, sowie die Überwindung der traditionellen Rollenbilder. Bertha von Suttner nahm die Frauenfrage als notwendige Voraussetzung und Teil des gesellschaftlichen Fortschrittes wahr.
Sie forderte die Öffnung der Bildungswege, eigene berufliche Tätigkeit und eigenes Vermögen für Mädchen und Frauen. Sie forderte das Wahlrecht für Frauen (das in Österreich und in Deutschland erst 1918 eingeführt wurde). Sie setzte sich für das Scheidungsrecht ein.
Bertha von Suttners Widerstand gegen die Ungleichbehandlung von Frauen in der Bildung und der Arbeitswelt begann bereits lange vor dem Welterfolg des Romans Die Waffen nieder!. Die Schriftstellerin nutzte ihre Romane und Erzählungen, um soziale Geschlechterdifferenz und die damit einhergehende Benachteiligung von Frauen und Mädchen zu thematisieren. Sie nahm Fragestellungen auf, die den Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft thematisierten und die, wie es aktueller formuliert genannt wird, „gläserne Decke“ für Frauenkarrieren anprangerten. Sie setzte sich positioniert mit geschlechterspezifischen Ungleichheiten und mit feministischer Bündnispolitik auseinander.
Die politischen Forderungen Bertha von Suttners knüpften an die ab Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Frauen- und Friedensvereine an. Frauenorganisationen existierten im deutschsprachigen Teil der Habsburger Monarchie seit der Revolution 1848/1849 und fokussierten vor allem auf eine Verbesserung der Bildungs- und Arbeitschancen für Frauen sowie auf Arbeiterinnenrechte.
Bildung und Wissensvermittlung hatten für Bertha von Suttner immer eine politische Dimension. Gemeinsam mit vielen Mitstreiterinnen ihrer Zeit forderte sie die Aufhebung der Geschlechtergrenzen im Bildungssystem. Zu ihren Weggefährtinnen zählten zum Beispiel Marianne Hainisch (Direktorin des ersten Gymnasiums für Mädchen) und Rosa Mayreder sowie Auguste Fickert. Neben der Zulassung zum Universitätsstudium für Frauen wurde andere ihrer Forderungen erst nach dem Ersten Weltkrieg allgemein umgesetzt.
Zusammenfassung: Wichtige Meilensteine
1893 – Kontakte mit Auguste Fickert (1855–1910), Gründerin des bürgerlich radikalen „Allgemeinen Österreichischen Frauenverein“ (AÖF)
1902 – Vorstandsmitglied des 1893 gegründeten „Bundes österreichischer Frauenvereine” in Kooperation mit Marianne Hainisch. Dieser Verein, der vor allem auf Wien konzentriert war, vertrat ein breites politisches Programm, das sowohl Fragen der Bildung, Ehereform, Reform des Wahlrechtes und der Veränderung und Verbesserung von Arbeitsbedingungen für Frauen enthielt. Der Verein bot auch Rechtsberatung für Frauen an (vgl. Rath, 2016).
1904 – Teilnahme an der Internationalen Frauenkonferenz in Berlin, Teilnahme an Friedensdemonstration vor der Philharmonie. Vortrag „Nein, es schweigt nicht mehr!” (vgl. Hamann 2015, S. 279-282, Fußnote 35)
1904 – Erste Vortragsreise in die USA: Bertha von Suttner spricht vor lokalen Frauenorganisationen (vgl. Cohen, 2005).
1911 – Enge Zusammenarbeit mit Marianne Hainisch, Gründerin der Mädchengymnasien und des Österreichischen Frauenerwerbsvereins
1912 – Zweite Vortragsreise in die USA: wieder spricht Suttner vor Friedens- und Frauenorganisationen in amerikanischen Städten
Literatur
Birkhan, Ingvild (2007). Das entscheidende Werk: die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte. S.71-79: In: Friede-Fortschritt-Frauen. Jubiläum für die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. LIT Verlag. Wien.
Biedermann, Edelgard (1999). Nicht nur Die Waffen nieder!: Bertha von Suttner. In: Karin Tebben (Hrsg.): Deutschsprachige Schriftstellerinnen des Fin de Siècle. Wissenschaftliche Buchgemeinschaft. Darmstadt.
Biedermann, Edelgard (2001). “Chère Baronne et Amie, Cher monsieur et ami”. Der Briefwechsel zwischen Alfred Nobel und Bertha von Suttner. Georg Olms Verlag. Hildesheim.
Cohen, Laurie (2005). Einleitung (S. 1-14). In: Cohen, Laurie (Hrsg.): “Gerade weil sie eine Frau sind…”. Erkundungen über Bertha von Suttner, 2005. Braumüller Verlag. Wien.
Enichlmair, Maria (2005). Abenteurerin Bertha von Suttner. Die unbekannten Georgien-Jahre 1876 bis 1885. Roesner Verlag. Maria Enzersdorf bei Wien.
Götz, Christian (1996). Die Rebellin Bertha von Suttner. Botschaften für unsere Zeit. Klein & Blechinger. Dortmund.
Hamann, Brigitte (2015). Bertha von Suttner. Kämpferin für den Frieden. Piper. München und Zürich.
Kempf, Beatrix (1964). Bertha von Suttner. Das Lebensbild einer Großen Frau. Schriftstellerin. Politikerin. Journalistin. Österreichischer Bundesverlag. Wien.
Stalfort, Anne (2000). Das Maschinenzeitalter und Der Menschheit Hochgedanken. Bertha von Suttners literarische Utopien. In: Bei Gefahr des Untergangs. Phantasien des Aufbrechens. Festschrift für Irmgard Roebling. Hrsg. von Ina Brueckel, Dörte Fuchs, Rita Morien und Margarete Sander. Königshausen & Neumann. Würzburg.
Steffahn, Harald (1998). Bertha von Suttner. Reinbek bei Hamburg.
Van den Dungen, Peter (2007). The political Engagement of Bertha von Suttner. Friede – Fortschritt – Frauen. Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner auf Schloss Harmannsdorf. In: Friede-Fortschritt-Frauen. Jubiläum für die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. LIT Verlag. Wien.
Van den Dungen, Peter (2021). Bertha von Suttner’s anti-war novel in French – A Bas les Armes! (1899). The late and troublesome birth of a non-bestseller. French Historical Studies, Duke University, USA (submitted).
Thalmann, Eveline (2017). Bertha von Suttner als Soziologin. In: Zeitschrift für Literatur und Theatersoziologie, Jg. 10. Sonderband 4, Lithes.
Wintersteiner, Werner (2007). Die Waffen nieder! – ein friedenspolitisches Programm? Friedenserziehung in Österreich-Ungarn und im Deutschen Reich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. In: Friede-Fortschritt-Frauen. Jubiläum für die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. LIT Verlag. Wien.
Zweig, Stefan ([1944]1982). Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. Fischer Verlag. Frankfurt am Main.
Werke von Bertha von Suttner
1886 High Life (Erstveröffentlichung unter dem Pseudonym B. Oulot).
1889 Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte. Ohne Jahreszahl. Jazzybee Verlag Jürgen Beck.
1889 Das Maschinenzeitalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit. Die Frauen. Nachdruck der 3. Auflage. Von 1899. Düsseldorf: Zwiebelzwerg 1983, S. 91-137.
1892-1899 “Die Waffen nieder!” Monatszeitschrift (Hrsg.). Mitteilungen, S. 17.
1902 Marthas Kinder
1902 “Die Waffen nieder!“- Teil II.
1902 High Life. [1886 als B. Oulot], Pierson, Dresden (3.Aufl.).
1909 Rüstung und Überrüstung. in: Bertha von Suttner: Der Kampf um die Vermeidung des Weltkrieges 1917. Band 1. Berlin.
1909 Bertha von Suttner. Memoiren. [1909] 2015. Europäischer Literaturverlag; 1. Edition.
1912 Die Barbarisierung der Luft. Berlin.
Online Quellen/ Links
https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Vermischtes/ letzter Zugriff: 20.04.2020
https://www.dfg-vk.de/unsere-geschichte/geschichte letzter Zugriff: 05.06.2020
Zitat im Header nach: Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt am Main: Fischer, 1982, S. 243.
Autorin: Mag. Dr. Adelheid Pichler, Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten GmbH
Kontakt: adelheid.pichler@suttneruni.at
www.suttneruni.at