"Ich habe keine Feinde, ich kenne keinen Hass."

Liu Xiaobo

"Die Meinungsfreiheit ist die Grundlage der Menschenrechte, die Quelle der Menschheit und die Mutter der Wahrheit. Die Redefreiheit zu erwürgen, bedeuten die Menschenrechte, die Menschheit zu ersticken und die Wahrheit zu unterdrücken."

Liu Xiaobo
* 28.12.1955 in Changchun, Provinz Jilin, Volksrepublik China
† 13.07.2017 in The First Hospital of China Medical University,Shenyang, Volksrepublik China
Staatsangehörigkeit bei Geburt: Chinesischer Staatsbürger
Staatsangehörigkeit bei Tod: Chinesischer Staatsbürger
Vater

Liu Ling

* 1931 in Huaide County, Jilin
† September 2011 (Lebererkrankrung)
Mutter

Su Qin Zhang

† 1999
ältester Bruder

Liu Xiaoguang

Bruder

Liu Xiaohui

Bruder

Liu Xiaoxuan

* 1957
jüngster Bruder

Liu Xiaodong

1. Ehefrau

Tao Li

2. Ehefrau

Liu Xia

* 01. April 1961 in Peking, Volksrepublik China
Sohn

Liu Tao

* 1985
Land des Kampfes für die Menschenrechte: China
Ort des Kampfes für Menschenrechte: Peking
Bereich Art Von Bis Ort
Jilin University Department of Chinese Literature 1977 1982 Changchun, China
Beijing Normal University Master in Literatur, Arbeit als Dozent folgte 1982 1984 Peking, China
Chinesisch-Institut der Beijing Normal University Doktorandenstudium, Abschluss als Doctor artium 1986 1988 Peking, China
Universität Oslo Gastwissenschaftler 1988 1988 (dreimonatiger Aufenthalt) Oslo, Norwegen
Universität Hawaiʻi at Mānoa Gastwissenschaftler 1989 1989 Honolulu, Hawaii, Vereinigte Staaten
Columbia Universität Gastwissenschaftler 1989 1989 New York City, New York, Vereinigte Staaten
Verhaftung Anklage wegen Aufwiegelung zur Konterrevolution 6. Juni 1989 Januar 1991 Inhaftierung im Gefängnis von Qincheng
verschiedene bekannte Universitäten Gastwissenschaftler Januar 1993 Mai 1993 Australien und Amerika
Hochzeit mit Liu Xia, seiner zweiten Frau November 1996 Lager für Umerziehung durch Arbeit in Dalian, China
Vorsitz des unabhängigen chinesischen PEN-Clubs 2003 2007
offizielle Verhaftung Anklage wegen Aufwiegelung zum Umsturz der Staatsgewalt 23. Juni 2009
Verurteilung zu elf Jahren Haft Aberkennung der politischen Rechte für zwei Jahre, Ablehnung der Berufung, Umsetzung des ursprünglichen Strafmaßes 25. Dezember 2009
Strafantritt Mai 2010 Gefängnis von Jinzhou, Provinz Liaoning

Demokratiebewegung von 1989

Ort: China
Eintrittsgrund:
Funktion / Tätigkeit:

Demokratiebewegung Mai 1993 - Mai 1995

Ort: Peking
Eintrittsgrund:
Funktion / Tätigkeit:

Niederschrift von Empfehlungen gegen die Korruption - für die dritte Vollversammlung des achten Volkskongresses

Ort:
Eintrittsgrund:
Funktion / Tätigkeit:

Entwurf des Aufrufs zum sechsten Jahrestag des 4. Juni - Lehren aus dem Blutbad: Ausbau von Demokratie und Rechtsstaat

Ort:
Eintrittsgrund:
Funktion / Tätigkeit:

Demokratiebewegung von 1999

Ort: Peking
Eintrittsgrund:
Funktion / Tätigkeit:

Mitverfasser der Charta 08

Ort:
Eintrittsgrund:
Funktion / Tätigkeit: Verfassen und Sammlung von Unterschriften

Leitmotiv

Liu Xiaobos Leitmotiv, um Widerstand zu leisten, bestand aus seinem starken Glauben an die Menschenrechte und die Demokratie, wobei er in entscheidendem Maße an der Ausarbeitung der Charta 08 beteiligt war, welche die politische Reformierung sowie das Achten der Menschenrechte in der Volksrepublik China forderte. Trotz politischer Verfolgung, mehrfachen Inhaftierungen und Bedrohungen hielt er an seinen Überzeugungen fest und dient als inspirierendes Leitsymbol des Widerstands.

Wie wurde die Geschichte bekannt?

Bekanntheit erlangte er insbesondere durch die Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahre 2010 und durch seine mehrfachen Inhaftierungen aufgrund seines politischen Engagements.

Wann wurde die Geschichte bekannt?

Vor allem 2010, im Jahre der Verleihung des Friedensnobelpreises.

Wo wurde die Geschichte bekannt?

Seine Geschichte wurde vor allem in China bekannt, jedoch erlangte sie auch internationale Aufmerksamkeit. Dies gilt besonders für die Länder, welche selbst Menschenrechte und Meinungsfreiheit respektieren.

Durch wen wurde die Geschichte bekannt?

Liu Xiaobos Geschichte ist einerseits durch ihn selbst aufgrund seiner politischen Aktivitäten, durch sein Engagement und seine Forderungen sowie seine Überzeugungen bekannt geworden, andererseits jedoch auch durch die darauffolgenden Reaktionen der chinesischen Staatsgewalt, wie z.B. seine Inhaftierungen.

Preise, Auszeichnungen

Unter anderem:

  • Friedensnobelpreis 2010
  • Verleihung des Hermann-Kesten-Preises des PEN-Zentrums Deutschland  2010
  • Freedom to Write Award der PEN American Center 2009
  • Human Rights Watch Hellman/Hammett Award 2008
  • Demokratiepreis der National Endowment for Democracy 2004

Eigene Werke

    Er veröffentlichte zahlreiche politische Schriften und auch Gedichte, welche die Defizite der chinesischen Regierung aufzeigen, u.a.:

  • Kritik der Begriffswelt. 1988
  • Ästhetik und Freiheit, Beijing Normal University Press 1988
  • Das Geheimnis des Denkens und die Träume der Menschen (zwei Bände), Taiwan 1989/1990
  • Die chinesischen Intellektuellen und die zeitgenössische chinesische Politik, 1990
  • Kritik an den Wissensträgern im modernen China, Tokio 1992
  • Die Würde des Menschen und die Freiheit des Geistes, 1996
  • Liu Xiaobo und Liu Xia: Gedichte, Xiafei’er International Publishing, Hongkong 2000
  • Lao Xia (Pseudonym für Liu Xiaobo) und Wang Ni: Das Betäubungsmittel der Schönen, Wuhan 2000
  • Das Volk, das sein Gewissen belügt, Taiwan 2002
  • Freiheit und Gleichheit, 2003
  • Die Freiheit Chinas liegt in der Zivilgesellschaft, Washington 2005
  • Das einschneidige Giftschwert – Kritik des chinesischen Nationalismus, Taiwan 2006
  • Der Untergang der Großmacht – ein Memorandum für China, Taipeh 2009
  • Zum Gedenken an den 04. Juni (Gedichte), Hongkong 2009
  • Ich habe keine Feinde, ich kenne keinen Hass, 2011
  • Es gibt Hoffnung auf ein freies China, 2010
  • Auf der Suche nach der Freiheit, Washington 2011

Gestärkt im Kampf für die Menschenrechte wurde er durch Organisationen wie Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen und Einzelpersonen.

Menschenwürde
Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit
Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson
Gleichheit vor dem Gesetz
Anspruch auf Rechtsschutz
Rechtsstaatliche Garantien: Unschuldsvermutung, keine Strafen ohne Gesetz
Recht auf freie Meinungsäußerung
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Recht an der Gestaltung der öffentlichen Ordnung mitzuwirken
Recht auf soziale Sicherheit
Recht auf Wahrheit
Schüler*innengeschichte: Diese Geschichte wurde geschrieben von Henrike Balliet, Schülerin am Gymnasium Eickel in Herne. Mitglied der AG-Menschenrechte 2023/24.

EINLEITUNG

Liu Xiaobo (Pseudonym: Lao Xia) war ein chinesischer Autor, Systemkritiker und Menschenrechtler, welcher insbesondere in Peking Widerstand leistete und sich öffentlich für eine Reform des politischen Systems Chinas sowie für die freie Meinungsäußerung einsetzte. Trotz mehrfacher Inhaftierungen, politischer Verfolgung und Drohungen setzte er sein Wirken fort. Er gilt als Symbolfigur des Widerstands gegen autoritäre Regime. Bis zuletzt glaubte er standhaft an die universellen Menschenrechte, an die Demokratie und Freiheit, welche seiner Ansicht nach trotz aller Umstände eines Tages auch in China anerkannt werden würden. Schließlich erlag der Dissident, einer der führenden Köpfe der chinesischen Demokratiebewegung und ein wesentlicher Ausarbeiter der Charta 08, am 13. Juli 2017 im Alter von 61 Jahren in Shenyang seiner Krebserkrankung – nach verweigerter medizinischer Hilfestellung im Ausland vonseiten Chinas.

DIE GESCHICHTE

Liu Xiaobos Leben und Wirken

Kindheit

Liu Xiaobo wurde am 28. Dezember 1955 in Changchun, Provinz Jilin, in China geboren. Als er 14 Jahre alt war, wurde er zusammen mit seinen Eltern bis 1973 zur Dashizhai-Volkskommune, die sich im Nordosten des autonomen Gebiets der Inneren Mongolei befindet, landverschickt. Im Jahre 1974 erwarb er schließlich den Abschluss der höheren Schule, woraufhin er jedoch wieder als „gebildeter Jugendlicher“ zur Landarbeit in die Volkskommune San’gang in seine Heimatprovinz Jilin landverschickt wurde.

 

 

Berufliche Tätigkeit

Liu Xiaobo gilt als einflussreichster Dissident und als einer der schärfsten Kritiker Chinas. In seiner letzten Stellungnahme schreibt er „Allein wegen der Äußerung anderer politischer Ansichten und der Teilnahme an einer friedlichen Demokratiebewegung verlor ein Dozent seine Lehrererlaubnis, ein Schriftsteller sein Veröffentlichungsrecht, ein allgemein bekannter Intellektueller jede Möglichkeit zum öffentlichen Vortrag. Das ist eine Tragödie, nicht allein für mich als Person, sondern für ganz China.“ (Xiaobo 2013, S. 379).

 

Zunächst war er 1974 Arbeiter einer Baufirma in Changchun, bis er ein Jahr später in das Chinesisch-Institut der Universität Jilin eintrat. Kurz darauf gründete er 1978 mit sechs Kommilitonen die Lyrikgesellschaft „Das reine Herz“. Im Jahre 1984 erwarb Xiaobo seinen Magisterabschluss in chinesischer Literatur und lehrte bis 1986 am selben Institut. Bereits zu dieser Zeit veröffentlichte er kontroverse Beiträge zur Ästhetik und zur Literaturkritik. Im selben Jahr begann er sein Doktorandenstudium am Chinesisch-Institut der Beijing Normal University, welches er 1988 als Doctor artium (lat. „Lehrmeister der Künste“) abschloss. Ab diesem Zeitpunkt erhielt er viele Einladungen zu Auftritten als Gastwissenschaftler an verschiedensten internationalen Universitäten, wie zum Beispiel in Oslo, Hawaii, New York und Australien – auch nach seiner Verhaftung am 06. Juni 1989.

 

 

Verhaftungen, Inhaftierungen und politische Verfolgung

 

Liu Xiaobo wurde am 06. Juni 1989 wegen „Aufwiegelung zur Konterrevolution“ verhaftet, woraufhin er für 20 Monate inhaftiert war und drei Monate später aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen wurde. Diese Verhaftung bildet nur eine einzige in einer langen Reihe von vielen. Beispielsweise wurde er 1995 aufgrund seiner Beteiligung an Demokratiebewegungen für sechs Monate und am 08. Oktober 1996 erneut inhaftiert und für drei Jahre Umerziehung durch Arbeit in ein Lager in Dalian in China geschickt. Dort heiratete er seine zweite Frau Liu Xia, wobei sie erst ab 1998 offiziell verheiratet waren. Aufgrund des Verdachts auf Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt wurde er im Dezember 2008 erneut verhaftet. Jedoch erfolgte seine offizielle Verhaftung erst am 23. Juni 2009 wegen „Aufwiegelung zum Umsturz der Staatsgewalt“, wobei er zu elf Jahren Haft verurteilt wurde und ihm seine politischen Rechte für zwei Jahre aberkannt wurden. Im Mai 2010 trat er seine Strafe im Gefängnis von Jinzhou in der Provinz Liaoning an, welche etwa 500 km von seiner Heimatstadt Peking entfernt ist und wo er bis kurz vor seinem Tod blieb. Außerdem blockierte die chinesische Regierung jegliche Gegebenheiten und Informationen, die in Verbindung zu ihm standen. Xiaobo selbst beschrieb, dass seine elektronischen Geräte, Internetverbindungen und Telefonate von der chinesischen Regierung und Polizei überwacht und abgehört wurden. Seine Schriften wurden verboten und oftmals wurde er von der Polizei davon abgehalten, seine Wohnung zu verlassen. Er lebte mit seiner Frau Liu Xia im Wohnheim der Bank of China, Qixiancum im Bezirk der Stadt Peking in Gebäude 10, Block 1, Zimmer 502. Jedes Jahr sei er zu Zeiten von „sensiblen Anlässen“ wie dem Jahrestag des 4. Juni (dem Jahrestag des Tian’anmen-Massakers) oder bei politischen Entscheidungen, unter Hausarrest gestellt worden und dazu verpflichtet worden, niemanden zu treffen und das Haus nicht zu verlassen. Teilweise wurden sein Telefon sowie die Internetverbindung abgeschaltet.

Bild 1: Liu Xia

Hauptsächlich vorgeworfen wurden ihm die „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsregierung durch Verunglimpfung und Verleumdung und zum Umsturz des sozialistischen Systems“, Rufmord an der regierenden Partei und die „versuchte Anstiftung zum Umsturz der gegenwärtigen Regierung“. Zudem war der Gerichtshof der Ansicht, er habe den Paragraphen 105, Absatz 2 des „Strafgesetzbuchs der Volksrepublik China“ verletzt. Dieser Paragraph besagt unter anderem, dass Anführer und schwere Straftäter – ein solcher war Liu Xiaobo in den Augen der chinesischen Regierung -, die einen Umsturz des staatlichen Regimes oder des sozialistischen Systems planen, organisieren oder begehen, mit einer unbefristeten Freiheitsstrafe oder mit mindestens zehn Jahren zu rechnen haben, wobei auch Überwachungen und der Entzug politischer Rechte ein Teil der Bestrafung bei einem Verstoß sind. Nach dem Urteil gegen Liu Xiaobo wurden auch seine Unterlagen und Materialien konfisziert.

 

Trotz der vielen Maßnahmen gegen ihn vonseiten der chinesischen Regierung hielt Liu Xiaobo an seinen Überzeugungen unbeirrt fest und bezeichnete sich als unschuldig. In einem Interview von April 2008, einem der letzten, welches er vor seiner Inhaftierung gab, erzählt er, dass er trotz alldem keine Angst verspüre, sondern mit seiner Arbeit fortfahre. Er sei lediglich wegen seiner Familie besorgt, jedoch sei er froh, dass seine Frau Liu Xia ihn bei seiner Arbeit unterstütze, obwohl sie aufgrund dessen von der Polizei verfolgt werde. „In einer autoritären Gesellschaft zu leben und der pro-demokratischen Arbeit nachzugehen, die ich vollbringe sowie die Möglichkeit, jederzeit ins Gefängnis zu gehen, fürchtet mich nicht allzu sehr. Falls es so wäre, wäre ich dieser Art von Arbeit nicht über 19 Jahre nachgegangen. Was mir Sorgen macht, ist, wie dies meine Familie betreffen kann. Ich glaube fest an den Wert meiner Arbeit und ich bin bereit, den Risiken zu begegnen.“ (Interview 2008).

Schließlich ist Xiaobos Asche zwei Tage nach seinem Tod ins Meer gestreut worden, was sein Bruder Liu Xiaoguang auf einer Pressekonferenz verkündete. Dabei dankte er der Kommunistischen Partei für die Organisation der Bestattung, allerdings wird von Kritiker*innen befürchtet, dass es sich um einen Versuch des Staats gehandelt habe, jegliche Spuren Xiaobos zu vernichten.

Seine Familie teilte weitestgehend andere politische Ansichten als Liu Xiaobo selbst.

 

Politisches Engagement

 

Liu Xiaobo war aktiv an Demokratiebewegungen beteiligt, zum Beispiel 1989 an den Pekinger Studentenprotesten, die auch als “Tian’anmen-Massaker” bekannt wurden. Die Proteste der Bevölkerung für eine Demokratie am 03. und 04. Juni 1986 wurden gewaltsam vom chinesischen Militär niedergeschlagen. Aufgrund seiner Beteiligung an diesen Protesten war Liu Xiaobo bis 1991 inhaftiert. 1995  arbeitete er den Entwurf „Aufruf zum sechsten Jahrestag des 4. Juni – Lehren aus dem Blutbad: Ausbau von Demokratie und Rechtsstaat“ aus, jedoch wurde er vor der Veröffentlichung für sechs Monate verhaftet.

 

Des Weiteren bekleidete er von 2003-2007 für zwei Wahlperioden den Vorsitz des unabhängigen chinesischen PEN-Clubs (engl. Poets, Essayists, Novelists), einem  Autor*innenverein, der sich für Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit einsetzt. Ausschlaggebend für seine Inhaftierungen waren ebenfalls seine publizistischen Tätigkeiten sowie seine Beteiligung an der Ausarbeitung der Charta 08, einem Manifest, welches die politische Reformierung, die Änderung der Einparteienherrschaft sowie das Achten der Menschenrechte in China forderte und für die er Unterschriften sammelte.

 

Außerdem war Liu Xiaobo nicht nur ein aktiver Menschenrechtler, Dissident und Systemkritiker, sondern auch ein Schriftsteller, welcher auch in Texten und Gedichten Widerstand leistete und als doctor artium literarisch die Defizite der chinesischen Staatsgewalt aufzeigte.

 

Wichtig zu betonen ist, dass er stets friedlichen Widerstand für die Menschenrechte leistete und er – im Gegensatz zu anderen Dissident*innen, die zumeist isoliert von der Außenwelt lebten (oder leben mussten) – mit Professor*innen, Journalist*innen und Anwält*innen in Kontakt blieb.

 

Xiaobo beharrte darauf, dass das, was er tat, gesetzlich vereinbar mit der Verfassung sei. In seiner Verteidigungsschrift, dem „Plädoyer für meine Unschuld“ vom 23. Dezember 2009, schreibt er, dass der Nationale Volkskongress 2004 eine Verfassungsänderung verabschiedet und der Satz „Der Staat respektiert und garantiert die Menschenrechte“ in die Verfassung aufgenommen wurde. Somit mache er lediglich Gebrauch von den in Artikel 35 der Verfassung näher festgelegten Bürgerrechten, wovon eines die Redefreiheit darstellt. Aufgrund dessen spricht Xiaobo von einer Verletzung seiner Menschenrechte als chinesischer Staatsbürger und der Verfassung sowie von einer Kriminalisierung von Worten. Er erinnerte daran, dass China ein Mitglied des UN-Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und Mitglied des UN-Rats der Menschenrechte sei, jedoch nicht seinen Verpflichtungen als Staat nachkomme und auch nicht die auf dem Papier zugesicherten Garantien in die Tat umsetze. China habe eine Verfassung, jedoch keine verfassungsgemäße Regierung.

 

 

Nobelpreis

 

Am 08. Oktober 2010 wurde vonseiten des Friedensnobelpreiskomitees in Oslo bekanntgegeben, dass Liu Xiaobo der Friedensnobelpreis für seinen „langen und gewaltlosen Kampf für fundamentale Menschenrechte in China“ verliehen werden soll. Er erhielt diesen Preis als erster chinesischer Staatsbürger. Diese Auszeichnung ist von der Regierung in Peking kritisiert worden und Vertreter des Pekinger Außenministeriums drohten bereits einige Wochen vor der Preisverleihung mit einer Verschlechterung der Beziehungen, wenn Liu oder ein anderer chinesischer Dissident den Friedensnobelpreis erhalten sollte. Zu diesem Zeitpunkt saß Liu Xiaobo in Haft und somit erfolgte die Verleihung am 10. Dezember 2010 in Abwesenheit Lius. Dennoch wurde ein Schriftstück, welches er ursprünglich für seinen Prozess verfasst hatte, vorgetragen : „Hass kann die Weisheit und das Gewissen eines Menschen zerstören, Feindseligkeit vergiftet den Geist eines Volkes, provoziert brutale Kämpfe auf Leben und Tod, es zerstört die Toleranz und die Humanität einer Gesellschaft, es behindert eine Gesellschaft auf dem Weg zu Freiheit und Demokratie.“ (Xiaobo, Liu 2010).

Bild 2: Liv Ullmann liest den Text von Liu Xiaobo bei der Verleihung des Friedensnobelpreises 2010.

Seine Frau Liu Xia wurde zur gleichen Zeit ohne jegliche Anklage und ohne ein rechtliches Verfahren von den Behörden unter Hausarrest gestellt. Sie berichtete, dass Liu den Preis den Opfern des Massakers auf dem Tian’anmen widmete. Zudem galt ab Anfang Dezember 2010 ein Ausreiseverbot in China für bekannte Systemkritiker*innen und ihre Angehörigen. Die Nobelpreisverleihung ist als Meilenstein in Bezug auf den Bekanntheitsgrad Liu Xiaobos zu erachten.

 

Internationale Reaktionen und Unterstützung

 

In einer Erklärung vom 26. Juni 2009 fordert der Rat der Europäischen Union China dazu auf, Liu Xiaobo Rechte zur freien Meinungsäußerung zu gewähren, ihn mit sofortiger Wirkung aus der Haft zu entlassen sowie jegliche strafrechtliche Verfolgung einzustellen. Auch Organisationen wie Amnesty International setzten anhand einer Online-Petition die Forderung zur unverzüglichen Freilassung Liu Xiaobos in Gang. Die EU und die Vereinigten Staaten verurteilten die politischen Maßnahmen gegen Liu Xiaobo zutiefst und forderten seine Freilassung, was die Volksrepublik China als Unverschämtheit und Einmischung in innere Angelegenheiten Chinas wertete.

 

Sämtliche Hilfestellungen wurden durch die chinesische Regierung erschwert: Internetseiten und Sendungen, welche über Liu Xiaobo informierten, wurden gestört. Außerdem forderte die chinesische Botschaft andere Länder dazu auf, die Zeremonie der Verleihung des Friedensnobelpreises zu boykottieren.

 

Liu Xia lebte durch ihren Mann unter strenger Polizeiüberwachung: Wer sie besuchen wollte, erhielt durch die Polizei keinen Zugang zu ihr. Zudem war es Liu Xiaobo und Liu Xia nicht möglich, frei miteinander zu sprechen und sie durfte ihn maximal 30 Minuten im Monat besuchen, das direkte Überreichen von Briefen war untersagt. Sie litt an einer Herzkrankheit, jedoch erhielt sie lange Zeit keine adäquate Behandlung, sodass Liu Xiaobo nie wusste, wie es ihr ging. Auch Liu Xiaobos Gesundsheitszustand war schlecht. In Haft wurde er in das First Hospital Of China Medical University in Shenyang eingeliefert, wo er am 13. Juli 2017 aufgrund von multiplem Organversagen infolge seiner Leberkrebserkrankung unter strenger Bewachung starb. Die chinesischen Behörden verweigerten ihm eine Behandlung im Ausland. Im Krankenhaus standen auch seine Familienmitglieder unter Bewachung und durften nicht mit Journalist*innen sprechen. Auch die chinesischen Zensurbehörden setzten sich dafür ein, dass dieser Fall in den inländischen Medien nicht bekannt wurde.

Nach Liu Xiaobos Tod wurde Liu Xia von der Außenwelt isoliert und lebte bis zum 10. Juli 2018 acht Jahre lang unter Hausarrest. Außerdem verweigerte China dem Bruder Liu Xiaobos, Liu Xiaoguang, das Besuchtsrecht im Gefängnis von Jinzhou. Westliche Staaten und Menschenrechtler*innen forderten die Volksrepublik China dazu auf, sie freizulassen, was die chinesische Regierung zunächst nicht beachtete. Schließlich ist ihr nach diplomatischen Gesprächen, welche sich im Rahmen eines Staatsbesuchs von Angela Merkel ereigneten, gestattet worden, zur medizinischen Behandlung nach Deutschland auszureisen.

 

 

Liu Xiaobo heute – sein Vermächtnis und Träume bzw. Wünsche

Bild 3: Liu Xiaobo

 

Unmittelbar nach seinem Tod veranstaltete die Hamburger Sinologische Gesellschaft und die Abteilung für Sprache und Kultur Chinas Liu Xiaobos zu Ehren eine Gedenkstunde, was sein internationales Ausmaß, seinen Erfolg und seine große Bedeutung widerspiegelt.

 

Liu Xiaobo erklärte in einem Interview, dass er und alle anderen als Dissidenten bezeichneten Schriftsteller ihr Schreiben trotz aller Umstände wie eingeschränkter Meinungs- und Pressefreiheit fortsetzen werden und dies immer so sein würde und niemand – nicht einmal die Regierung – dem entgegenwirken könne. Zudem appelliert er an alle, weiterhin chinesischen Autor*innen und den Bedingungen, unter denen sie schreiben, Aufmerksamkeit zu schenken und dazu beizutragen, dass diese eines Tages die Möglichkeit erhalten, frei zu schreiben. Er war überzeugt davon, dass sich der Standard der Zivilisation der ganzen Welt erhöhen würde, wenn chinesische Bürger*innen die Unterstützung der Welt hätten, zusammenarbeiten würden und die Volksrepublik China von einem totalitären Staat ohne Freiheiten in eine freie und demokratische Bundesrepublik umgewandelt werden könnte. Xiaobo verbrachte sein Leben damit, China friedlich demokratisieren zu wollen. Er zog so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass die chinesische Regierung gewzungen war, mit drastischen Maßnahmen zu reagieren, was seinen Erfolg zum Ausdruck bringt. Bedeutsam dabei ist, dass Xiaobo sich den Konsequenzen bewusst war, er jedoch so überzeugt von seinen Bestrebungen war, dass er sein Wirken dennoch fortsetzte. Er kehrte sogar wieder nach China zurück, um für die Demokratiebewegung zu kämpfen, obwohl er die Möglichkeit hatte, in den USA zu bleiben – entgegen allen Warnungen seiner Freund*innen und Familie. Dies stellt– trotz des Todes Liu Xiaobos – ein weiterlebendes Vermächtnis sowie ein Symbol des Widerstands gegen Unterdrückung und für die universellen Menschenrechte dar.

 

Des Weiteren hoffte Liu Xiaobo, dass er „das letzte Opfer in der langen Geschichte Chinas sein werde, in der Worte als Verbrechen behandelt werden.“ Er betonte in seiner letzten Stellungnahme, dass er keine Feinde, keinen Hass kenne:

 

„Niemand, nicht die Polizisten, die mich überwacht, festgenommen und verhört haben, nicht die Staatsanwälte, die den Haftbefehl erlassen haben, und auch nicht die Richter, die mich verurteilt haben, sind meine Feinde. Auch wenn ich eure Überwachungen, Verhaftungen, Anklagen und Urteile niemals akzeptieren werde, respektiere ich euren Beruf und eure Persönlichkeiten, inklusive die der beiden Staatsanwälte Zhang Rongge und Pan Xueqing, die soeben im Namen der Anklage das Wort gegen mich geführt haben.“

 

Er äußerte auch seinen Optimismus: „Ich bin der festen Überzeugung, dass der politische Fortschritt in China noch nicht an seinem Ende angelangt ist, und ich sehe dem freiheitlichen China der Zukunft voller Optimismus entgegen, denn keine Macht wird das menschliche Streben nach Freiheit aufhalten können. China wird schließlich ein Rechtsstaat werden, in dem die Menschenrechte respektiert werden. […] Die freie Meinungsäußerung ist das Fundament der Menschenrechte, die Wurzel der Menschlichkeit, die Mutter der Wahrheit. Die Redefreiheit zu beschneiden heißt, die Menschenrechte mit Füßen zu treten, der Menschlichkeit den Atem zu nehmen und die Wahrheit zu behindern. In Ausübung meines von der Verfassung gewährten Rechts auf freie Meinungsäußerung und als ein Bürger Chinas, der sich der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusst ist, habe ich mich keiner Straftaten schuldig gemacht. Doch wenn ich aufgrund dessen verurteilt werde, werde ich mich nicht darüber beklagen.“ (Xiaobo 2013, S. 380; 383f.). Dies sind Zitate aus Liu Xiaobos letzter Stellungnahme, die er 2009 im Gerichtssaal vor seiner Urteil verlas. Dieses besagte schließlich, dass es sich um die Straftaten eines schweren Kriminellen handele und seine Handlungen die Grenzen des Rechts auf freie Meinungsäußerung überschreiten würden und Xiaobos Verteidigungsschrift sowie die Plädoyers der Verteidiger aufgrund dessen keine Geltung hätten.

 

Salil Shetty, der damalige Generalsekretär von Amnesty Internatonial, betonte, dass Liu Xiaobo das Herzstück der Bewegung zur Demokratisierung Chinas war und er sein Leben dem Entgegenwirken von Ungerechtigkeit gewidmet hatte. „Der größte Tribut, den wir ihm jetzt zollen können, besteht darin, den Kampf für die Menschenrechte in China fortzusetzen und das mächtige Erbe anzuerkennen, das er uns hinterlassen hat.“ (Amnesty International Österreich, 2017).

 

Liu Xiaobo hat sich für das eingesetzt, woran er glaubte – und einen hohen Preis dafür zahlen müssen.

 

 

 

Mehr zum Thema finden Sie beispielsweise in diesem  Interview mit der Juristin Eva Pils im Fritz Bauer Blog  oder hier in einem Interview mit dem chinesischen Menschenrechtsaktivisten und Anwalt Teng Biao.

 

 

Autorin: Henrike Balliet, Teilnehmerin AG Menschenrechte am Gymnasium Herne in Eickel im Schuljahr 2023/24, Stufe Q2)

 

Quellen:

 

Fotos:

  • Porträtfoto Liu Xiaobo: Copyright © The Nobel Foundation Photo: Bi Yimin Published with permission.
  • Header: Liu Xiaobo mit seiner Frau Liu Xia, August 2001, © Privat
  • Bild 1: Liu Xia 2018, Gemeinfrei
  • Bild 2: Marta B. Haga/MFA, Oslo, CC BY-ND 2.0
  • Bild 3: Blatant World, Gemeinfrei

 

Kontakt: info@fritz-bauer-forum.de

 

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