"Ich (...) werde niemals nach Stockholm zurückkehren, ohne genau zu wissen, dass ich alles getan habe, (...) um so viele Menschen wie möglich zu retten."

Raoul Wallenberg

* 04.08.1912 in Schweden
† - bis heute ungeklärt - in Sowjetunion
Staatsangehörigkeit bei Geburt: Schwedisch
Staatsangehörigkeit bei Tod: Schwedisch
Schwester

Nina Lagergren

Bruder

Guy von Dardel

Mutter

Maj von Dardel

Vater

Raoul Oscar Wallenberg

Stiefvater

Fredrik von Dardel

Land des Kampfes für die Menschenrechte: Ungarn
Ort des Kampfes für Menschenrechte: Budapest
Bereich Art Von Bis Ort
University of Michigan Architektur 1931 1935 Ann Arbor, Michigan, USA
Mellaneuropeiska Import-Export 1941 1944 Stockholm
Konfession: Evangelisch

Ort:
Eintrittsgrund:
Funktion / Tätigkeit:

Leitmotiv

Raoul Wallenberg war ein schwedischer Architekt, Geschäftsmann, Diplomat und humanitärer Helfer. Er wird weithin dafür gefeiert, dass er während des Holocaust Tausende von Juden im von Deutschland besetzten Ungarn vor deutschen Nazis und ungarischen Pfeilkreuzlern in den späteren Phasen des Zweiten Weltkriegs gerettet hat.

Wann wurde die Geschichte bekannt?

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Wo wurde die Geschichte bekannt?

International

Durch wen wurde die Geschichte bekannt?

Durch Zeugen, Überlebende des ungarischen Holocausts

Preise, Auszeichnungen

1951 Schweden – Orden, Illis quorum meruere labores  (“To those whose actions make them deserve it”)

Yad Vashem – Righteous Among the Nations

Ehrenbuergerschaft in den USA, Kanada, Israel, Ungarn und Australien

1995 Council of Europe  Human Rights Prize (gemeinsam mit Sergei Kowalyow)

2014  US Congressional Gold Medal

 

Denkmäler

https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_honours_dedicated_to_Raoul_Wallenberg

Menschenwürde
Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit
Verbot von Folter oder grausamer, unmenschlicher Behandlung
Verbot der willkürlichen Verhaftung oder Ausweisung

DIE GESCHICHTE

Raoul Gustaf Wallenberg
Ein Licht in der Finsternis

 

Wallenberg hat erreicht, dass ich mich wieder wie ein Mensch fühlte. Zum ersten Mal hatte ich Hoffnung. Und tatsächlich war alles anders nach seiner Ankunft. Er hat uns gezeigt, dass wir keine Tiere sind, dass sich jemand um uns sorgt. Das wichtigste war, dass er persönlich gekommen ist.”

Ein Überlebender des Holocaust in Ungarn

 

Kindheit und Ausbildung

Maj von Dardel kurz nach der Geburt ihres Sohnes Raoul Gustaf Wallenberg am 4. August 1912

Raoul Gustaf Wallenberg wurde am 4. August 1912, kurz nach dem frühen Tod seines Vaters, Raoul Oscar Wallenberg, in der Nähe von Stockholm geboren. Die Wallenberg Familie ist eine der bedeutendsten schwedischen Familien. Raouls Urgroßvater war Gründer der Stockholm Enskilda Bank (SEB). Dessen Sohn Knut Agathon war von 1914 bis 1917 schwedischer Außenminister. Über Raouls Ausbildung wachte sein Großvater Gustaf Wallenberg, ein Diplomat. Er sorgte dafür, dass Raoul Wallenberg nach Absolvieren seiner Militärzeit 1931 in Ann Arbor/Michigan in den USA studierte. Die Wahl des Studienfachs überließ er seinem Enkel, der sich für Architektur entschied. Raoul Wallenberg schloss das Studium im Frühjahr 1935 ab.

Nach Aufenthalten in Schweden und Südafrika reiste er 1936 für einige Monate nach Palästina. Sein Großvater hatte ihm eine Ausbildungsmöglichkeit bei einer Bank in Haifa besorgt. Dort traf er auf Flüchtlinge aus NS-Deutschland. An seinem Großvater schrieb er, dass die Leute aber nicht viel über die Vergangenheit sprechen würden, sondern nahezu ausschließlich über die Zukunft Palästinas. Er gestand ihm zudem, dass er sich nicht geeignet für das Bankwesen fühle. Der Direktor einer Bank sollte richterähnlich sein, ruhig, kalt und zynisch. Raoul Wallenberg wollte aber lieber eine positive Art von Arbeit und nicht nur herumsitzen, und „Nein“ zu den Leuten sagen. Einmal schrieb er auch, dass sein Vater auf Fotos so fein und selbstaufopfernd aussehe und er sich wie ein schlechter Ersatz fühle.

Raoul Wallenberg during his stay in the United States (1931-1935)

Nach seiner Rückkehr nach Schweden und verschiedenen geschäftlichen Aktivitäten, wurde Wallenberg 1941 Geschäftspartner von Kálmán Lauer, eines aus Ungarn stammenden Juden. Als Ungarn im März 1944 von deutschen Truppen besetzt wurde und zunächst die Juden auf dem Land in Ghettos gesperrt und ab Mai 1944 deportiert wurden, versuchte Wallenberg, nach Budapest zu reisen, um Lauers Angehörigen zu helfen.

In jener Zeit bemühte sich das US-War Refugee Board, neutrale Staaten zur Hilfe von Juden in Ungarn zu bewegen. Schweden erklärte sich bereit, aus dem 31jährigen Geschäftsmann wurde kurzerhand der Diplomat Raoul Wallenberg. Dieser wurde der Schwedischen Gesandtschaft in Budapest als Legationssekretär zugeteilt. Er sollte sich bis zum 6. September 1944 für etwa 650 Juden einsetzen, die entweder persönliche oder geschäftliche Beziehungen nach Schweden besaßen. Am 9. Juli 1944 traf Wallenberg in Budapest ein. Zu diesem Zeitpunkt waren schon über 437.000 ungarische Juden deportiert worden. Wallenberg informierte sich, was es bereits für Rettungsanstrengungen gegeben hatte und suchte u.a. den Schweizer Vizekonsul Carl Lutz auf, der die britischen Interessen vertrat und damit für die Palästinaeinwanderung zuständig war. Wallenberg merkte schnell, dass sich seine Hilfe auf eine längere Zeit und auf eine größere Anzahl von Verfolgten erstrecken musste.

 

Die schwedische humanitäre Rettungsaktion in Ungarn in 1944

Herzstück der Rettungstätigkeit wurde der Schwedische Schutzpass, den Wallenberg selbst eindrucksvoll gestaltete. Dieser war mit einem Foto und Stempeln versehen und wurde vom schwedischen Gesandten Ivan Danielsson unterzeichnet. Er enthielt in deutscher und ungarischer Sprache die Aufschrift, dass der Inhaber bis zu seiner Ausreise nach Schweden unter dem Schutz der Gesandtschaft stünde. Es konnte die Anerkennung von 4,500 Schutzpässen erreicht werden. Der Schweizer Vizekonsul Lutz sah durch die hohe Zahl die Wirksamkeit der von ihm – nicht an ungarische Staatsangehörige – vergebenen Schutzpässe in Gefahr. Erst später sah er ein, dass die Ausgabe Tausender Schutzdokumente an ungarische Juden von großer Wichtigkeit war, und folgte Wallenbergs Beispiel.

Schwedischer Schutzpass, unterzeichnet von dem schwedischen Minister in Budapest, Ivan Danielsson

Kritik erregte Wallenberg in ungarischen Kreisen, da er sich „auffällig in Gesellschaft seiner Schutzjuden öffentlich zeigt“. Wallenberg stellte mit seiner Abteilung auch die Versorgung seiner Schützlinge sicher, die in 32 Schutzhäusern Unterkunft fanden. Im November 1944 rettete er mit Mitstreitern Hunderte aus den sogenannten Todesmärschen. Adolf Eichmann drohte, den „Judenhund Wallenberg“ erschießen zu lassen. Nach Protest hieß es, Wallenberg arbeite in durchaus unüblicher Weise und mit absolut illegalen Mitteln. Die Berufung auf Wallenberg gegenüber General Gerhard Schmidhuber soll die Zerstörung des Großen Ghettos mit etwa 70.000 Insassen verhindert haben. Etwa 119.000 Juden überlebten die deutsche Besetzung in Budapest, zigtausende davon durch Wallenberg.

 

Raoul Wallenbergs Kontakt mit der Roten Armee und sein Verschwinden

Wallenberg suchte selbst den Kontakt zur Roten Armee, um ein neues Hilfsprojekt, u.a. zur Wiederherstellung der Existenzgrundlage für Juden, vorzustellen. Schweden hatte Moskau zuvor um Beistand für das Gesandtschaftspersonal nach Einmarsch der Roten Armee gebeten. Dies war naheliegend, da Schweden offiziell die sowjetischen Interessen in Ungarn vertrat. Am 16.1.1945 meldeten die Sowjets die Inschutzstellung Wallenbergs. Seine Mutter wurde wenig später von der sowjetischen Botschafterin informiert, dass ihr Sohn in Russland in Sicherheit sei. Dann folgte ein unglaubliches Verwirrspiel, geprägt von sowjetischen Desinformationen und Unwahrheiten. Allerdings verhielt sich auch Schweden seltsam.

So regte der schwedische Botschafter in Moskau, Staffan Söderblom, Ende 1945 eine sowjetische Mitteilung an, dass Wallenberg tot sei. Dies wäre besser für Wallenbergs Mutter, die ihre Kraft für eine fruchtlose Suche verschwende. Und das schwedische Außenministerium gab bereits im März 1946 einem Anfragenden die Auskunft, Wallenberg sei seit dem 17.1.1945 verschwunden und wahrscheinlich nicht mehr am Leben.

Haftbefehl für R. Wallenberg, unterzeichnet von dem stellv. Verteidigungsminister Nikolai Bulganin, 17. Januar 1945

Negativen Höhepunkt bildete die Audienz des schwedischen Botschafters bei Stalin am 15.6.1946. Söderblom äußerte seine Überzeugung, Wallenberg sei einem Unglück oder Räubern zum Opfer gefallen. Das Gespräch, für das Stalin eine Stunde reserviert hatte, dauerte nur fünf Minuten. Im Vorfeld hatten die Sowjets offenbar Signale für einen Austausch Wallenbergs gesetzt, u.a. gegen eine minderjährige Sowjetbürgerin, die sich in Schweden aufhielt. Die Schweiz hatte zwei aus Budapest verschleppte Diplomaten im Januar 1946 durch solch einen Handel freibekommen. Sie waren wie Wallenberg auf Verhaftungsbefehl des Vizeverteidigungsministers Nikolaj Bulganin vom 17.1.1945 nach Moskau verbracht worden.

Aus Dokumenten und Zeugenaussagen geht hervor, dass Wallenberg zunächst in das dortige Lubjanka Gefängnis kam, Ende Mai 1945 dann in das Gefängnis Lefortowo. Sein erst fünftes Verhör fand im März 1947 wieder in der Lubjanka statt. Bis Februar 1957 leugnete Moskau Wallenbergs Gefangennahme. Dann behauptete man, Wallenberg sei vermutlich am 17.7.1947 in der Lubjanka an einem Herzinfarkt gestorben. Im Jahr 1964 wurde verlautbart, am Todesdatum bestünden keine Zweifel. Daran hielt man auch nach Glasnost und der Übergabe angeblich zufällig gefundener Gegenstände Wallenbergs im Jahr 1989 fest. Das Todesdatum findet sich auch in der offiziellen russischen Rehabilitierungsurkunde Wallenbergs von Ende 2000.

 

Gefangener Nr. 7

Eine schwedisch-russische Kommission fand in den Abschlussberichten von 2001 kein gemeinsames Ergebnis. Umso spektakulärer mutete die Nachricht an, welche die unabhängigen Wallenberg-Forscher Susanne Berger und Vadim Birstein im März 2010 verkündeten. Archivare des russischen Geheimdienstes FSB hatten ihnen im November zuvor mitgeteilt, Wallenberg sei mit großer Wahrscheinlichkeit im Jahr 1947 zum „Gefangenen Nr. 7“ in der Lubjanka gemacht worden. Dieser wurde dort am 22. und 23.07.1947 verhört. Damit rückte die russische Seite erstmals vorsichtig vom angeblichen Todesdatum ab. Die Hoffnung auf eine Wende im Fall Wallenberg erfüllte sich jedoch nicht. Es gab weder eine Bestätigung, noch wurde eine andere Person als jener Gefangener Nr. 7 benannt. Der Direktor des Zentralarchivs des FSB Vasilij Christoforov hielt auf einer aus Anlass des 100. Geburtstages von Wallenberg abgehaltenen Konferenz in Wien im November 2012 daran fest, dass Wallenberg im Juli 1947 verstorben sei. Dies einige Tage vor oder nach dem 17. Juli 1947. Beweise erbrachte Herr Christoforov nicht.

Auszug aus dem Verhörsregister des Lubyanka Gefängnisses in Moskau, 23. Juli 1947. Der Eintrag für einen Gefangenen Nr. 7, der ebenfalls an diesem Tag zusammen mit Wallenbergs Fahrer Vilmos Langfelder über sechzehn Stunden lang verhört wurde, bleibt strikt zensiert.

Einen der wohl interessantesten Hinweise auf ein mögliches Weiterleben Wallenbergs nach 1947 bildet die Aussage der schwedischen Professorin Nanna Svartz. Am Rande eines Mediziner-Kongresses in Moskau im Jahr 1961 soll ihr russischer Kollege Professor A.L. Mjasnikow gesagt haben, Wallenberg befände sich in einer psychiatrischen Klinik oder Strafanstalt (“Mentalkrankenhaus”). Zur Beratung der weiteren Vorgehensweise sei noch Professor G. Danischewskij hinzugezogen worden. Nachdem die schwedische Regierung in der Sache aktiv wurde, stritt Mjasnikow – auf höchste Weisung – alles ab. Schweden erreichte zuletzt 1965 ein Gespräch zwischen Svartz und Mjasnikow, ohne dass es eine Übereinkunft gab. Weshalb Professor Danischewskij nicht einbezogen wurde, ist unklar. Sollte Schweden wiederum nur halbherziges Interesse gehabt haben? So gibt es ein Dokument, wonach der schwedische Botschafter Gunnar Jarring am 26.5.1964 im Vorfeld eines Staatsbesuchs gegenüber dem sowjetischen Außenministerium zwar die Ankündigung einer neuen Untersuchung im Fall Wallenberg angeregt habe. Er soll aber auch geäußert haben, diese könne ja dieselben Ergebnisse wie die von 1957 ergeben. Je länger Wallenberg tatsächlich noch gelebt haben könnte, umso unbequemere Fragen stellten sich auch an Schweden.

Eine ehemalige Gefangene des Lubjanka Gefängnisses, Hertha Voigt, gibt an, sie habe nach ihrem Eintreffen im Lubjanka-Gefängnis, und zwar nach Juli 1947, Kontakt zu Raoul Wallenberg gehabt. Eine offizielle Befragung der Zeugin durch Schweden erfolgte bisher jedoch nicht. Rußland ist weiterhin gefordert, endlich die Wahrheit über das Schicksal von Wallenberg zu offenbaren.

 

Das Recht auf Wahrheit

Guy von Dardel und Nina Lagergren in Moskau 1989, mit Raoul Wallenbergs schwedischem Diplomatenpass.

Wallenbergs Familie setzt bis heute die Suche nach der vollständigen Klärung seines Schicksals unbeirrt fort. Das internationale Forschungsprojekt “The Raoul Wallenberg Research Initiative” (www.rwi-70.de) unterstützt seit 2015 aktiv dieses Anliegen.

Im Jahr 2017 hat Raoul Wallenbergs Nichte Marie Dupuy den russischen Sicherheitsdienst (FSB) verklagt, wegen seiner Weigerung Wallenbergs Familie Zugang zu wichtigen Dokumenten zu gestatten. Im Oktober 2019 haben Forscher und Wallenbergs Familie einen neuen Antrag an russische Archive gestellt. Anfang Februar 2021 hat der russische Außenminister Sergey Lavrov die schwedische Außenministerin Ann Linde informiert, dass man neue Unterlagen im Archiv des russischen Außenministeriums entdeckt habe. Diese Dokumente werden in nächster Zeit an Wallenbergs Familie übergeben werden.

Autor: Christoph Gann
Header-Bild: ©Mika (Unsplash)
Kontakt: info@fritz-bauer-bibliothek.de

 

Quellen:

Christoph Gann: Raoul Wallenberg. So viele Menschen retten wie möglich, 2. Aufl. München 2002.

Christoph Gann: Hinweise, “Zeugen”, Widersprüchliches – Eine Chronik der Spurensuche, in: Stefan Karner (Hrsg.): Auf den Spuren Wallenbergs, StudienVerlag Innsbruck/Wien/Bozen 2015.

 

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