In memoriam Aaron Berhane

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25.05.2021

In memoriam

Aaron Berhane 1969-2021

Preisgekrönter Journalist, Verleger, Schriftsteller, Aktivist, lebenslanger Kämpfer für die Menschenrechte

 

“Gestern war ein trauriger Tag für mich und viele eritreische Journalisten. Wir haben einen Helden verloren, einen Kämpfer, einen Kämpfer für die Pressefreiheit. Einen Mann, der eine Zeitung gründete, um für Gerechtigkeit zu kämpfen, einen Mann, der nie Angst hatte, seine Meinung zu äußern, einen Mann, der eine Stimme war für die, die keine hatten.”

Diese Worte schrieb Aaron Berhane vor etwas mehr als einem Monat in einem Nachruf auf seinen Kollegen und ehemaligen Konkurrenten Milikas Yohannes, der gerade verstorben war.

Tragischerweise könnten die gleichen Worte nun auch über Aaron selbst gesprochen werden.

Am 1. Mai starb Aaron Berhane, Redakteur von Setit, der ersten unabhängigen Zeitung Eritreas, in Kanada an COVID-19. Es ist in so vieler Hinsicht ein großer Verlust. Während seiner Gedenkfeier an diesem Wochenende beschrieben zahlreiche Freunde und Kollegen diesen warmherzigen und engagierten Mann. Sie sprachen unter Tränen.

Wie so viele eritreische Journalisten musste Aaron nach der brutalen Niederschlagung der őffentlichen Proteste gegen das eritreische Regime im Jahr 2001 ins Exil gehen. Aaron erzählte in seiner sanften und humorvollen Art die Geschichte, wie er und einige Freunde auf die Idee kamen, in Eritrea eine Zeitung zu gründen. Er war gerade 28 Jahre alt geworden und sein Land hatte soeben seine Unabhängigkeit gewonnen, nachdem es 30 Jahre lang gegen die regionale Supermacht Äthiopien gekämpft hatte. Eine freie Presse hatte es nie gegeben. Die Menschen waren es nicht gewohnt, Zeitungen zu lesen, die Druckmaschinen gehőrten der Regierung und es gab kein Verteilungssystem. “Perfekte Bedingungen, oder?” meinte Aaron mit einem ironischenLächeln.

Nachdem er eine Übersicht und einen Plan erstellt hatte, konnte Aaron seinen Vater überreden, ihn ein wenig zu unterstützen. Sie nannten die Zeitung Setit nach dem berühmten Fluss an der Grenze zu Eritrea, ein Fluss, der nicht austrocknet. Das war im Jahr 1997.

Für die erste Ausgabe druckten sie 5,000 Exemplare und dachten, sie würden zwei Wochen lang reichen. Um Setit zu verteilen, hatten Aaron und seine Freunde eine Gruppe von Jugendlichen zusammengestellt, die die Zeitungen auf den Straßen von Asmara verkauften. Jeder ging am ersten Tag mit einem Packen Zeitungen hinaus. Und sie kamen zurück, um mehr zu holen. Und noch mehr. Schon am ersten Tag waren alle Zeitungen weg.

“Es war ein höchst erfreulicher Tag”, schrieb Aaron später.

Schließlich wurde Setit die größte Zeitung Eritreas mit einer Auflage von 40,000 – viermal größer als die offizielle Staatszeitung. Und bald würden andere – wie Milkias Yohannes – dem Beispiel folgen und Zeitungen in der jungen Nation am Horn von Afrika gründen.

Das alles hatte am 18. September 2001 ein Ende. Seit diesem Tag sind alle unabhängigen Zeitungen in Eritrea durch das Regime von Präsident Isaias Afwerki verboten. Im Frühjahr 2001 schrieb eine Gruppe prominenter eritreischer Führungspersönlichkeiten einen offenen Brief an den Präsidenten und forderte die Einhaltung des Versprechens, freie Wahlen abzuhalten. Es waren Mitglieder der Regierungspartei, darunter der Vizepräsident Mahmoud Ahmed Sherifo und der ehemalige Außenminister Petros Solomon. Aaron Berhane veröffentlichte den offenen Brief in Setit am 5. Juni 2001. Er war Chefredakteur. Er wusste, dass es Schwierigkeiten geben würde. In jenem Sommer wurde er immer wieder zum Verhör vorgeladen. Die Polizei wollte seine Quellen wissen. Er wollte sie nicht preisgeben und gleichzeitig war er entschlossen, weiterhin neues Material in Setit veröffentlichen.

Am 18. September hatte Aaron seine Gedanken auf die Berichterstattung über die Ereignisse in den USA nach dem Terroranschlag von ’9/11’ (dem 9. September)  gerichtet, als er die Morgennachrichten im Radio hörte. Damit veränderte sich schlagartig das Leben für ihn und so viele tausend Eritreer. Die Regierung gab bekannt, dass die Politiker und Beamten, die den offenen Brief unterschrieben hatten, verhaftet wurden. Und dass ab sofort alle unabhängigen Zeitungen verboten seien. Die Zeitungen sind bis heute nicht erlaubt und die verhafteten Personen sind seit diesem Tag spurlos verschwunden.

Aaron und seine Kollegen versammelten sich sofort, um zu besprechen, was zu tun sei. Er befürchtete das Schlimmste, aber einige seiner Kollegen waren der Meinung, dass sich das Ganze im Sande verlaufen würde. Nach diesem Tag wohnte Aaron nie mehr zu Hause. Aber einige seiner Kollegen taten es dennoch, trotz der Gefahr. Am 23. September begann das Regime mit der Verhaftung von Journalisten. Aarons Freund und Kollege in der Redaktion von Setit, der schwedisch-eritreische Journalist Dawit Isaak, war einer von ihnen. Dawit, Seyoum Tsehaye, Amanuel Asrat, Temesgen Ghebreyesus sind jetzt die am längsten inhaftierten Journalisten der Welt. Sie wurden in der ersten Welle inhaftiert und sind angeblich noch am Leben. Andere sind in der Haft verstorben.

Aaron Berhane war eine wichtige und unermüdliche Stimme, die sich mutig für ihre Sache einsetzte, und er zeigte, dass eine freie Presse nicht zum Schweigen gebracht werden kann. Nachdem er in Kanada Asyl erhalten hatte, gründete er auch dort eine Zeitung –  Meftih. Er hörte nicht auf zu schreiben und lehrte einer neuen Generation den Journalismus.

Vor über zehn Jahren  hatte  ich Aaron  gebeten, ein Porträt seines Kollegen Dawit Isaak für ein Buch mit Übersetzungen von Dawits Roman, eines Theaterstücks und seine für Setit verfassten Artikel  zu schreiben. Aaron machte sich sofort an die Arbeit. Aber wir trafen uns erst acht Jahre später in Ghana, wo eine englisch-französische Übersetzung von Dawit Isaaks Buch “Hope-Espoir” auf der UNESCO Press Freedom Conference vorgestellt wurde. Aarons Herzlichkeit hat mich sofort berührt. Später kam er nach Schweden, wo er auf öffentlichen Veranstaltungen sprach, zahlreiche Interviews gab, sich mit Parlamentariern und dem schwedischen Außenministerium traf und darüber diskutierte, wie sie den Fall seines Freundes Dawit handhabten. Höflich, aber sehr bestimmt und direkt, kritisierte er die stille Diplomatie, die Schweden seit nun fast 20 Jahren bevorzugt.

Er traf auch die Familie von Dawit Isaak, die in Schweden lebt. Er wusste besser als die meisten von uns, was Exil bedeutet. Seine eigene Familie konnte sieben Jahre lang nicht aus Eritrea ausreisen und mit ihm wiedervereint werden, nachdem ihm die Flucht gelungen war. Er erzählte mir, wie sein jüngster Sohn ihn  nicht wiedererkannte. Aaron musste ins Nebenzimmer gehen und das Telefon benutzen. Dann erkannte sein Sohn sofort die Stimme seines Vaters.

Es ist wirklich schmerzhaft zu wissen, dass diese Stimme nun verstummt ist.

Autor: Björn Tunbäck, Reporters without Borders (RSF/Sweden)
Header-Foto: Anni Spratt on unsplash
Kontakt: info@fritz-bauer-blog.de

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