Interaktive Fritz Bauer Bibliothek eröffnet

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06.10.2019

Interaktive Fritz Bauer Bibliothek eröffnet
Der Auftakt einer neuen Stimme “Im Kampf um des Menschen Rechte”

In Bochum gibt es eine lebendige Kultur der Erinnerung. Als Mitgründerin und einige Jahre Vorsitzende des Vereins „Erinnern für die Zukunft“ verbindet mich viel mit dieser Geschichte. Die Frage, die mich dabei immer wieder neu beschäftigt – was bringt Menschen dazu, sich für die Menschenrechte zu engagieren – ist nicht weniger aktuell. Umso mehr freut es mich, dass wir dieses Projekt gestemmt haben. Nach einem Jahr intensiver Vorbereitungen ist die Fritz Bauer Bibliothek mit Geschichten vom Widerstand und Überleben mit einer Veranstaltung in Bochum an den Start gegangen. Im Geiste des Juristen Fritz Bauer, der Auschwitz, die Verbrechen der NS-Justiz, der Wehrmacht und der NS-Medizin vor Gericht brachte, eröffnen wir der Kultur der Erinnerung damit neue Wege „Im Kampf um des Menschen Rechte“ (Fritz Bauer).

Viele Einzelne und Initiativen wirken daran mit und haben die Veranstaltung vorbereitet, alle voran das Bochumer “Bündnis gegen Rechts”. Es ist phantastisch und gewiss nicht selbstverständlich. Die VHS hat das Projekt von Anfang an unterstützt, die Stadtbibliothek stellte ihre Räume und Bestände zur Verfügung, mit ausgewählten Werken zum Anlass, und das Zentrum für Stadtgeschichte richtete für die Veranstaltung einen direkten Online-Zugang in sein Archiv ein. Der Kinder- und Jugendring e.V. und „Demokratie leben!“ förderten die Veranstaltung.

Bochums Kulturdezernent Dietmar Dieckmann begrüßte die zahlreich Teilnehmenden herzlich, die Eröffnungsrede hielt Frau Dr. Monika Hauser, die mit medicamondiale e.V. eine Kämpferin für die Rechte von Frauen ist, ohne dabei Kosten und persönliche Mühen zu scheuen. Die Trägerin des Alternativen Nobelpreises stellte die wichtige Arbeit von medicamondiale e.V. vor, bei der es viele persönliche Anknüpfungspunkte für unsere Bibliothek gibt. Die interaktive Fritz Bauer Bibliothek ist eine Stimme für Menschenrechtsorganisationen, die in ihrer Arbeit täglich mit Geschichten des Widerstands und des Überlebens konfrontiert sind. Was das bedeutet, machte das Bochumer Theater Traumbaum mit seinen aktuellen Interventionen deutlich. Was werden beipsielsweise kommende Generationen über uns sagen, wenn die Sprache auf die Menschen kommt, die auf der Flucht vor Gewalt und dem Hungertod im Mittelmeer ertrinken, weil wir ihnen nicht helfen?

Aufgaben und Chancen der interaktiven Bibliothek für Menschenrechtsorganisatonen wurden deutlich

Die Veranstaltung machte die Vielfältigkeit der Geschichten vom Widerstand und Überleben deutlich. Und sie zeigte die Chancen auf, die die Fritz Bauer Bibliothek im Netzwerk von Menschenrechtsorganisationen veröffnet.

– Die Geschichten werden historisch, politisch und geographisch verortet und im größeren Zusammenhang des Kampfes um die Menschenrechte weltweit recherchierbar.

– Die Geschichten werden in einer weltweit zugänglichen und auswertbaren relationalen Datenbank archiviert.

– Die Geschichten und Personen bekommen ein schützendes Dach unter dem Namen des anerkannten Juristen, Holocaust-Überlebenden und Kämpfers für die Menschenrechte Dr. Fritz Bauer.

– Die Geschichten werden in der Menschenrechtsbildung aktiv eingesetzt und vernetzt.

Die Idee dazu ist im Kontext unserer Erinnerungskultur entstanden, die seit einiger Zeit von einem “Unbehagen” (Aleida Assmann) begleitet wird. Was bedeutet es, wenn uns die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des Holocaust nicht mehr begleiten, lautet eine der bangen Fragen. Schließlich seien vor allem die Überlebenden des Holocaust Mahner und Warner zugleich.

Provokativer formuliert: Haben wir aus der Geschichte gelernt? Sind wir heute gewappnet, um Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus entgegenzutreten, um diese, – wie aktuell notwendig – aktiv zu bekämpfen? Oder sind wir erstaunt, um nicht zu sagen überrascht, in welchem Ausmaß wir jetzt bei uns in Deutschland, aber auch in Europa und in den USA, Rassismus, Nationalismus und als dessen Kehrseite Antisemitismus, wieder erleben?

Ich bin nicht sicher, dass wir genügend gewappnet sind. Das hat mehrere Gründe, einer davon ist, dass die Überlebenden uns mit ihrem „Nie wieder!“ nicht umsonst stets gewarnt haben, dass die Geschichte sich zwar nicht wiederholt, aber gesellschaftliche Verhältnisse sich in Krisensituationen – und wir leben in einer Krisenzeit – von einem Tag auf den anderen ändern können. Aus eben noch Nachbarn und Freunden können, Hannah Arendt sagte dies, mit beinahe unfassbarer Geschwindigkeit Gegner oder Feinde werden. Das sollten wir nicht vergessen.

Ein anderer Grund für die Skepsis ist, dass wir allein durch „Verbrechen erinnern“, also durch die Dokumentation dessen, was wir als unser negatives Gedächtnis zu respektieren gelernt haben, für den Widerstand gegen Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus wohl nicht genügend in unseren Widerstandskräften bestärkt werden. Um dies im Geiste des Juristen Dr. Fritz Bauer auszudrücken:

Erinnern allein genügt nicht, sondern ein aktives „Nein!“ ist gefragt, wenn Unrecht geschieht und die Menschenwürde verletzt wird. Es geht ihm um das Recht und die Pflicht zum Widerstand, wenn die Menschenrechte verletzt werden. Das war für ihn der Sinn und Zweck der NS-Prozesse: Ihr hättet Nein sagen müssen! Jede und jeder wäre schließlich verpflichtet gewesen, den verfolgten Juden, den Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen, Behinderten oder so genannten Asozialen, allen, die von den Nationalsozialisten zu Untermenschen degradiert, ausgegrenzt und für rechtlos erklärt wurden, zu helfen und ihre Leben zu retten.

Was aber bedeutet das für uns heute, für unsere Geschichtsschreibung und Kultur der Erinnerung, wie sie in Schulen, an Universitäten, in der Justiz, in der Medizin und in der Politik gepflegt wird? Im Geiste von Fritz Bauer würde ich so sagen: Gegenüber der verletzten Menschenwürde gibt es keine Neutralität.

Ein lebendiges Archiv der Mitmenschlichkeit “Im Kampf um des Menschen Rechte”

Ein Satz Fritz Bauers hat nicht nur mich besonders beeindruckt: “Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.”  Wir alle können etwas dazu tun, unsere Welt etwas besser und gerechter zu gestalten. Es gibt dafür auch genügend Vorbilder, nur nehmen wir sie viel zu wenig wahr und es wird viel zu wenig über sie gesprochen. Die amerikanische Psychologin Eva Fogelman zitiert in diesem Zusammenhang den Rabbiner Harold Schulweis mit der aufrührerischen Frage und Antwort: „In welchem Moralkodex steht, daß das Böse das Gute verdunkeln darf? Welche verdrehte Logik bringt uns dazu, die Erinnerung an das Noble im Menschen auszulöschen, um die Erinnerung an seine Entartung zu bewahren? Wenn wir die verbrecherischen Schandtaten ausgraben, dürfen wir die Tugenden der Menschheit deshalb noch lange nicht begraben.“

Das wollen wir durch die interaktive Bibliothek erreichen und verändern. Sie wird deutlich machen, dass es an uns, an jedem Einzelnen liegt, die Bedingungen zu schaffen, dass das Gute im Menschen wachsen kann und dass es viele Menschen gibt, die das getan haben und auch weiterhin tun.

Könnte es, fragte UNESCO AssitentDirector Frank La Rue – selbst ein Überlebender des Bürgerkriegs in Guatemala –, als ich ihm von unserem Projekt erzählt habe, eine wichtigere Datenbank geben als die, welche die Geschichten von Menschen erzählt, die nicht selten ihr Leben für diese Welt gegeben haben?

Deshalb laden wir alle ein, an dieser Geschichte künftig mitzuschreiben. Erforschen, recherchieren, filmen und erzählen Sie mit uns die Geschichte von der Suche nach dem Recht. Erschaffen wir ein lebendiges Archiv der Mitmenschlichkeit, denn nur so bleibt der Widerstand „Im Kampf um des Menschen Rechte“ lebendig.

Alle Initiativen und Einrichtungen, denen wir herzlich danken: Bochumer “Bündnis gegen Rechts”, bo-alternativ, VHS-Bochum, Zentrum für Stadtgeschichte Bochum, Stadtbibliothek Bochum, Philippinenbüro e.V., GLS Zukunftsstiftung Entwicklung, Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus Bochum, Seebrücke Bochum, Amnesty International, Geschichtswerkstatt Bochum, “Demokratie leben!”, Kinder- und Jugendring e.V., Theater Traumbaum Bochum, medicamondiale e.V.

Autorin: PD Dr. Irmtrud Wojak, Geschäftsführerin der BUXUS STIFTUNG, Initiatorin der interaktiven Fritz Bauer Bibliothek

Kontakt: info@fritz-bauer-blog.de

Fotos: BUXUS STIFTUNG gGmbH, Headerbild: Eröffnung der Veranstaltung durch Gabriele Fuchs (VHS Bochum); Abb. 1: Uli Borchers (Bochumer “Bündnis gegen Rechts”) stellt die Geschichte von Franz Vogt vor; Abb 2: Volker Gerwes (Geschichtswerkstatt Bochum) stellt die Geschichte von Klaus Kunold vor; Abb. 3: Daniela Collette (Seebrücke Bochum und Bochumer “Bündnis gegen Rechts”) stellt die Geschichte von Else Hirsch vor; Abb. 4: Stefan Schuster, MA stellt die Geschichte von Gabriela Brimmer vor.
Graphikdesign: Detlef Behr, Köln (designbuerobehr.de)

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