Interview mit der Klimaaktivistin Elisabeth Heinen-Hoffmann

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21.06.2019

Alle Dörfer bleiben!
„Jetzt ist der Moment gekommen, wo sie eine Wende erzwingen können“

Interview mit Elisabeth Hoffmann-Heinen

Von Daniela Collette

DC: Frau Hoffmann-Heinen, Sie sind hier in der Region im rheinischen Braunkohlerevier aufgewachsen, 45 Jahre haben Sie in Wanlo gelebt. Wie war denn Ihre Kindheit und Jugend hier?

HH: Ich bin auf dem Bauernhof großgeworden und genauso war meine Kindheit. Ich habe die Freiheit geliebt auf dem Bauernhof. Wir hatten viele Tiere, ich hatte 35 Katzen, das war mein Terrain und ich liebte das. Es war also wunderschön, ein sehr schönes Anwesen. Und außerhalb des Ortes, das heißt ich hatte nie Nachbarn. Aber habe mich immer super wohl gefühlt und hatte dann nachher, als ich zur Schule ging, erst Freunde im Ort. Dann bin ich nach München, nach Reith zur Schule, zum Gymnasium gegangen, hatte da auch Freunde. Aber ich bin immer wieder zurückgekehrt. Ich habe mich sehr, sehr wohl gefühlt auf dem Bauernhof. Ich hatte noch einen Bruder. Und was man eben halt so macht mit Tieren, das war mein Bereich. (…)

DC: Also waren Sie immer ein sehr naturverbundener Mensch.

HH: Naturverbundenen…, also meine Eltern haben alles für uns Kinder getan. (…) Ich hatte immer ein ganz besonders enges Verhältnis zu meinem Vater und ihm habe ich auch zu verdanken, dass ich nicht die Rolle gespielt habe, die andere Töchter auf Bauernhöfen geführt haben, sondern der hat mich immer gepusht und hat gesagt, „Du musst Abitur machen“. Und zwar nicht Fachoberschule, sondern mach’ Latein. Dann kannst du nachher studieren, dann hast du alle Freiheiten. Das war mein Glück. Ich habe dann nachher Volkswirtschaft studiert, und das habe ich ihm zu verdanken. Er war immer sehr stolz auf mich, weil (…) das damals als Frau nicht üblich war, dass man diesen Bildungsweg ging.

DC: Wie hat sich diese Region seit Ihrer Jugend verändert?

Dass der ganze ländliche Bereich der Braunkohle zum Opfer fallen soll

HH: Ja, es hat damit angefangen, dass sich was verändert hat, als das erste Mal das Gerücht aufkam, aber wir wussten es im Hintergrund schon lange, dass dieser ganze ländliche Bereich hier der Braunkohle zum Opfer fallen sollte. Also vorher eigentlich nicht. Leute, die im Dorf großgeworden sind, die sind immer vorübergehend mal weggewesen, sind aber immer zurückgekommen. Wir haben tolle Vereine gehabt, mit Veranstaltungen und alle Generationen waren vertreten. Man zog einfach nicht weg aus dem Dorf. Man ging bildungsmäßig mal weg, man studierte oder machte eine Ausbildung, kam aber immer wieder zurück. Erst als in den siebziger Jahren bekannt wurde, dass das Gebiet Garzweiler II dazugehörte, auch Wanlo, wo ich geboren bin, da (…) waren die Leute sehr, sehr aufgeregt und hatten natürlich Angst. Stellen Sie sich mal vor, sie erfahren, dass irgendwann in zwanzig, dreißig Jahren Ihnen das Haus einfach weggenommen wird, was sie  seit Generationen hatten. Im Dorf war das nicht üblich, dass man wegzog und dass man irgendwo neu baute, das wollte man nicht. Man wohnte in den alten Häusern, die man schon Generationen hatte. Und da fingen natürlich diese Gedanke an war es nicht mehr so heimisch alles. Also da gab es große Probleme, auch in den Dörfern. Aber der Zusammenhalt und das Ergebnis, dass Wanlo dann eben aus Garzweiler II rausgenommen wurde, hat dazu geführt, dass wir das eben geschafft haben. Also ohne diesen Zusammenhalt wäre das gar nicht gegangen, aber es waren schon Veränderungen. Es waren hier und da Leute, die sagten: “Lass es doch. Ist doch gut, wenn es wegkommt. Dann kommen wir irgendwo anders hin. Neu und…“ Aber das war eigentlich seltener.

DC: In den achtziger Jahren haben Sie angefangen gegen die Zerstörung der Umwelt und der Dorfgemeinschaften durch damals noch Rheinbraun zu kämpfen. Was hat Sie dann motiviert? Was hat den Anstoß gegeben?

Es ging durch das Dorf: Was machen wir?!

HH: Das war eben diese Angst. Und es ging durch das Dorf: „Was machen wir“? Wir müssen irgendwas machen. Dann gab es Veranstaltungen und in einer dieser Veranstaltungen, da war ich auch mit meinem Vater hingegangen, ging es darum: Wir müssen eine Dorfinteressengemeinschaft gründen. Und wir brauchen jemand, der die leitet. Ja und dann saßen wir da, mit circa hundert Leuten in so einem Sälchen im Dorf. Dann wurden Vorschläge gemacht und unter anderem wurde ich auch vorgeschlagen, bin auch gewählt worden zur Vorsitzenden der Dorfinteressengemeinschaft. Diese Dorfinteressengemeinschaft war  zuständig für Wanlo und in jedem Dorf gab es eine änliche Gruppierung. Alle haben sich dann zusammengeschlossen zu den vereinten Initiativen gegen Garzweiler II, also der ganze Erkelenzer Raum einschließlich Wanlo. Wanlo war ja der einzige Ort von Mönchengladbach, der betroffen war. Die anderen Orte gehörten zu Erkelenz und insofern haben wir zusammengearbeitet. Dann ging die Arbeit los, es war sehr viel. Das Problem ist, wenn man so eine Sache leitet, die ganze Korrespondenz: alles kam an mich, ich erfuhr alles, mir wurde alles zugeschickt. Und ich hatte Kontakte mit den entsprechenden Leuten. Ich war eigentlich fast jedes Wochenende unterwegs. Das heißt Familie und alle haben im Grunde genommen darunter gelitten, das sage ich ganz ehrlich. Ich war ja auch noch voll berufstätig. In der Woche, abends, haben wir hier Sitzungen gehalten. Aber so Veranstaltungen, an denen ich schon teilnehmen musste – man musste ja präsent sein –  die waren an Wochenenden, und insofern hat das natürlich alles darunter gelitten.

DC: Wie ist denn RWE beziehungsweise damals noch Rheinbraun in den Dörfern vorgegangen? Wie hat der Konzern die Leute überzeugt oder überzeugen wollen, doch wegzuziehen und zu verkaufen?

HH: Also in Wanlo, weil die starke Gemeinschaft war und Wanlo auch noch weiter weg war, das heißt also wir waren zeitlich der Bereich, der noch nicht anstand. (…) Probleme gab es zum Beispiel in Immerath. Immerath ist ja schon ganz weg. Da ist man hingegangen, hat natürlich gefragt: Wie können wir die Bevölkerung gewinnen? Es wurden Ausbildungsplätze vergeben. Ich glaube, damals über zehn Ausbildungsplätze an junge Leute, viele Arbeitsplätze bei RWE. Das heißt, man machte das den Leuten schmackhaft, und mit so etwas können sie die Gesellschaft spalten. Es ging darum, die Menschen zu spalten. Und das hat man mit solchen Maßnahmen geschafft.

DC: Ich habe gehört, dass auch Vereine im Dorf, Sportvereine, unterwandert wurden?

Geld ist eine Sache, mit der können Sie Menschen manipulieren

HH: Die wurden unterwandert, das heißt, es wurde bezahlt. Rheinbraun hat auch dafür gesorgt, dass Mitarbeiter, die in dem Ort wohnten, zum Beispiel Schützenkönig wurden. Dann wurde da ordentlich Geld reingepumpt. Gerade das Geld ist eine Sache, mit der können sie den Menschen manipulieren. Das ist in Dörfern ganz schwierig, weil, wenn die plötzlich von irgendwo anders das Geld sehen, dann kriegen sie ganz große Augen. Das ist halt speziell in Immerath passiert, da war die Gemeinschaft ziemlich zerstritten. Das war Gott sei Dank in Wanlo noch nicht so stark. Da waren zwar hier und da Leute, die sagten: „Okay. Macht uns nichts aus, wenn wir weggehen,“ aber die meisten nicht. Wenn ich das heute sehe, die sind so dankbar, dass sie nicht wegmüssen. Da ist eine Festigkeit, die kann man sich gar nicht vorstellen. Das sind Sachen, die das RWE damals noch…, also ich weiß gar nicht, ob sie sich das noch trauen würden. Oder zum Beispiel: wir hatten ganz am Anfang einen sehr jungen Rechtsanwalt, der auf diesem Gebiet promoviert hatte und sich auskannte. Wir waren so glücklich, weil wir uns gesagt haben: „So, jetzt haben wir jemanden, der uns juristisch unterstützt.“ Es dauerte nicht lange, dann hieß es, er kann nicht mehr für uns arbeiten. Dann haben wir nachgeforscht, dann arbeitete der für RWE man kann sich vorstellen, wie das gegangen ist. Ich glaube, da braucht man gar nicht mehr lange nachzuforschen. Das sind so Sachen, die damals passiert sind.

DC: Die Arbeiterdemos vor den Wohnhäusern, war das damals auch bei Ihnen Thema?

HH: Nein. Das haben wir Gott sei Dank verhindert, aber die hat es tatsächlich gegeben.

DC: In Immerath, dann?

HH: Ja, in Immerath, Spenrath, Holz, das ist dieser ganze Bereich, der als erstes dran war. Die sind langsam vorgegangen, aus dem Grevenbroicher Bereich. Und es ist natürlich so, um das ganze Tagebauunternehmen herum sind natürlich viele Unternehmen, die da dranhängen. Das heißt, die vom RWE und von der Braunkohle profitieren. Kleine Unternehmen, die beliefern und was weiß ich nicht. Das sind so Sachen, mit denen gewinnt RWE Sympathien, auch heute noch. Aber ich merke heute, dass immer stärker der Gedanke Klima im Vordergrund steht, dass die Leute sich schon Gedanken machen und an ihre Kinder denken und sagen: Gut, wir werden es vielleicht nicht mehr erleben, aber die nächste Generation wird es schlimmer erleben.

DC: Eine Anwohnerin des durch Garzweiler-Tagebau bedrohten Dorfes Berverath hatte mir bei dem Sternenmarsch gesagt, „bei uns im Dorf herrscht Krieg“. Das fand ich ein sehr beeindruckendes Zitat.

HH: Ja, Krieg, aber in Berverath ist das. Berverath ist direkt hinter Keyenberg, aber in Keyenberg im Grunde genommen auch. Wir hatten sogar ein bisschen Angst bei unserer Veranstaltung. Weil wir das auch wussten, dass diese Situation in dem Dorf ist. Wir haben auch in unserem Flyer, den wir rausgegeben haben, reingeschrieben, wir wollen die Leute nicht zwingen zu bleiben. Wer weg möchte, der soll umsiedeln. Aber wir möchten gerne, dass diejenigen, die bleiben wollen, bleiben können. Und wenn es nur einer ist, der hat doch das Recht in seinem Dorf zu bleiben. Bis am Tag vor der Veranstaltung hatten wir noch geplant, nicht durchs Dorf zu gehen. Weil da zwei Leute waren, von denen wir Unannehmlichkeiten – ich weiß jetzt nicht, welcher Natur – erwarteten, wollten wir um das Dorf herumziehen, zu dem Sternmarschzielpunkt. Dann hieß es aber, er hat gesagt, es ist alles okay, ihr könnt durch das Dorf ziehen und die Leute, die von Holzweiler kamen, sind durch das Dorf gezogen. Einige Leute haben blöde Sprüche hinter den vorbeigehenden hergerufen. Das gibt es schon.

DC: Man sah auch in manchen Häusern Schilder.

HH: Ja, genau. Sie müssen sich vorstellen, es sind ja schon einige weg. Es gibt ja schon Neu-Keyenberg, Neu-Berverath, Neu-Unterwestrich. Die Dörfer gibt es schon alle, bei Erkelenz. Da sind schon einige umgezogen. Aber es gibt in Keyenberg auch immer noch Leute, die nicht wegwollen, die gerne blieben, zum Beispiel der Bäcker. Letztens schickte meine Tochter mir einen Bericht, seitdem gehe ich immer in Keyenberg das Brot einkaufen. Der hat gesagt, er möchte nicht weg, und er bleibt so lange, bis der Letzte sagt, ich kaufe noch bei dir.

DC: Welche Aktionen haben Sie in den achtziger, neunziger Jahren gemacht, um gegen Rheinbraun/ RWE vorzugehen?

HH: Wir haben Lichterketten gemacht, um das ganze Gebiet herum. Dann unsere Großaktion in der Ärckerhalle, das ist genau vor dreißig Jahren gewesen. Da haben wir diese unangenehmen Erlebnisse gehabt. Sie müssen sich vorstellen, wir waren ja alle Laien. Wir haben alles, was wir gemacht haben, nach der Arbeit, am Wochenende ausgerichtet, und haben eine riesige Veranstaltung ausgerichtet. Wir hatten nicht die Medien, die man heute hat, das war also sehr, sehr viel Mühe. Wir haben die ganze Ärckerhallemit unseren Transparenten und allem ausstaffiert und entsprechende Leute eingeladen. Es gibt heute noch eine Broschüre von der Nacharbeit, wo alles drin steht, was wir gemacht haben, wer da gewesen ist und so weiter. Und dann kam ganz kurzfristig, bevor das losging, kam  Rheinbraun mit Bussen, karrte die Leute an, die hatten eine Freischicht gekriegt und kamen mit Transparenten und haben diese Transparente in der Halle vor unsere Transparente gestellt. So weit hatten wir gar nicht gedacht. Also heute bei einer Veranstaltung, da haben wir Polizei beantragt und was weiß ich nicht. Daran haben wir damals nicht gedacht. Wir mussten uns das alles gefallen lasse und dann haben die natürlich auch die Plätze eingenommen und entsprechend war natürlich auch der Tenor. Das sind so Sachen, die man erlebt hat. Dann weiß man eigentlich, mit welchem Gegner man zu tun hat.

DC: War das die Veranstaltung „Verheizte Heimat?“ Oder war das…?

Wir mussten diesen Widerstand lernen

HH: Genau, das war die „Verheizte Heimat“. Und das sind auch die Sachen, wo ich sage: natürlich, damals waren die Arbeitnehmer und auch heute sind sie beunruhigt, das kann ich verstehen, aber auch heute sage ich: Ich habe kein Verständnis dafür, weil die Argumente, zum größten Teil, die heute auf dem Papier stehen, die haben wir damals alle genannt. Und es hat niemand darauf geachtet. Die Veranstaltung war vorbei und alles ging weiter as usual, wie immer. Es sind dreißig Jahre dazwischen und es ist nichts passiert. Ja. Und jetzt plötzlich stellt man fest, okay, die Braunkohle beeinträchtigt das Klima ganz gravierend und jetzt müssen wir was tun. Deshalb habe ich heute Verständnis, dass die Arbeitnehmer betroffen sind. Aber sie sollen sich nicht bei uns, die jetzt verlangen, dass die Braunkohleproduktion möglichst schnell aufhört, sondern bei ihrem Arbeitgeber beschweren. Die hatte Zeit genug. Ich bin als kleines Kind – meine Eltern, meine Großeltern, wohnten in Bruchholz, als ich kleines Mädchen war, im Anfang bis Mitte der fünfziger Jahre, ging mein Großvater mit mir in den Garten und zeigte mir die Bagger. „Dahinten sind die Bagger und in zehn, zwölf Jahren, sind die hier.“ Da hat keiner etwas gesagt. Die waren, sage ich immer, Gott ergeben. Die waren wahrscheinlich noch aus der Zeit, wo man an den Führer glaubte, haben die sich nicht gewehrt. Die haben gesagt, wir können nichts machen. Das überkommt uns (…) irgendwann wurden die Leute dann rebellisch und haben gesagt, wir lassen uns das  nicht mehr gefallen. Dann kamen die Probleme auf: Erst das Wasser, heute das Klima, und insofern ist auch der Widerstand immer stärker geworden. Die Leute haben es gelernt. Wir mussten auch erst diesen Widerstand üben. Das mussten wir lernen. (…) Ich sehe das heute, was die machen, ich bin begeistertBi mir war das learning by doing, ich musste mir das erst angewöhnen. Ich musste lernen frech zu sein und auf den Putz zu hauen. Die können das heute. Die haben überall Seminare und machen das und sind auch ganz ruhig dabei. (…) Ich musste das damals lernen. Das ist auch die Geschichte des Widerstandes. Das kann man sehr schön sehen, wie sich das langsam entwickelt hat.

DC: Was hat dieser Sloga „Umsiedeln ist schön“ in Ihnen ausgelöst?

HH: Also das war der absolute Hammer, das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Also ich habe es Gott sei Dank gar nicht erlebt, weil Wanlo nicht weggekommen wäre. Aber ich weiß, wie die Leute leiden. Und ich weiß, wie man im Dorf verwurzelt ist. Das ist etwas anderes, als wenn Sie in der Stadt wohnen und ab und zu mal umziehen. Wenn man im Dorf lebt, dann  geht man nicht weg, man bleibt da, die Wurzeln bleiben da. Und dann so etwas zu sagen „Umsiedeln ist schön“. Wenn Sie sich diese – ich nenne sie auch nicht Dörfer, diese neuen Ansiedlungen, es sind Siedlungen, …das Problem ist, wenn Sie zu den Umsiedlern gehören, wenn Sie wegmüssen, gezwungen werden, Ihr Eigentum aufzugeben. Dann fühlen Sie sich wie ein Märtyrer. Und was tun Sie dann? Dann sagen sie „okay, aber jetzt will ich mein Traumhaus haben“. So, und dann kommt das Problem. Das Traumhaus ist viel teurer, als das, was man von RWE bekommt. Und dann machen die Leute, die früher im Dorf wohnten, Schulden. Schulden kennt man im Dorf nicht, das gibt es nicht. Das heißt, das Haus, was man hat, wenn die alte Generation raus ist, wird ein bisschen renoviert und dann wohnt man da drinnen. Da sind ganz viele, die sich übernommen haben. Vor Jülich,  Steinstraße, das war ja auch eins der Dörfer, die schon vor Jahren weggekommen sind. Da gehört heute kein Haus mehr dem ursprünglichen Eigentümer, denn da sind nur Villen entstanden, die tollsten Häuser, die die Leute sich überhaupt nicht leisten konnten. Und das ist eben das Problem, das ist keine gewachsene Einheit mehr, sondern jeder baut so, wie er möchte. Und mit der Baugenehmigung ist man eben halt auch sehr großzügig. Aber man lässt die Leute dann alleine mit diesen Sorgen, man kümmert sich von RWE nicht mehr darum. Man sorgt dafür, dass die umziehen, und dann ist Schluss. Keiner kümmert sich um die seelischen Nöte. Und wenn die Leute sagen (…), lasst uns in Ruhe, wir wollen nicht mehr darüber reden, was ist das denn für ein Zeichen? Wenn ich gerne umsiedle oder wenn ich froh wäre über das neue Haus, dann hätte ich gesagt, wunderschön, macht (…). Nein, die sagen, wir sind einfach traurig. Wir wollen jetzt nicht mehr reden, wir sind jetzt umgezogen, und wir müssen uns jetzt an das neue gewöhnen. Und das ist eben das Problem.

Oder an dem ersten Abend, als ich wieder bei der Gruppierung war. Da waren Leute aus der Nähe von Hambach. Die sagten, wir haben unser Haus verkauft und jetzt sehe ich bei euch, dass ihr was tut, und jetzt passiert was. Jetzt ist Hambach passiert, und wir haben alle das Gefühl, es passiert was. Ich möchte so gerne das alte Haus wieder zurückkaufen. Ja, wir haben zwar schon eine Baustelle und wir haben auch schon angefangen, aber ich möchte das gar nicht. Ich möchte versuchen, dass das Haus nicht abgerissen wird, das alte, sondern dass wir irgendwie einen Weg finden, dass wir wieder zurückkommen. Auch das gibt es. Also die Leute sind nicht glücklich darüber. Und dann so etwas zu sagen, „Umsiedeln ist schön“. Also ich kenne keinen, der ehrlich sagen kann, ich bin froh, dass ich umgesiedelt bin. Es sind welche, die sind weg und was sollen die eben machen. Aber das ist eine Frechheit. Das ist eine ganz große Frechheit.

DC: Sie haben sich ja damals auch nicht nur Freunde gemacht, denke ich gerade. Haben Sie auch konkret Bedrohungen erhalten?

Es ist immer einfacher, wenn Sie die Menge hinter sich haben

HH: Nein, die haben mich nicht bedroht. Es war nur, dass unsere Arbeit durch Leute erschwert wurde, die sagten: „Nein, wir sehen das anders.“ Es ist einfacher etwas zu tun, wenn Sie die Menge hinter sich haben. Es waren immer einige, die sagten: “Wieso macht ihr das? Uns ist das egal.“ (…) Aber diese Bedrohungen, muss ich ganz ehrlich sagen, da habe ich immer mit gerechnet. Wir waren für die damalige Zeit frech, weil wir auch etwas sagten, was berechtigt war, aber dass ich das erlebt habe? Ja, das einzige an der Schule. Da hatte ich mal eine Scheibe kaputt am Auto. Und ich war in Grevenbroich am Berufskolleg, es ist nie nachgeforscht worden, die Schule hat mir die Scheibe ersetzt. Wir hatten Klassen von Rheinbraun da und ich hatte immer das Schild: „Stoppt Rheinbraun“, dieses rote, was auch in den Dörfern steht, hatte ich an der Scheibe. Da bin ich mir ziemlich sicher, dass das mindestens mein Auto zum Gegenstand gehabt hat, also ich selbst nicht, menschlich bin ich nicht bedroht worden.

DC: Sie waren als Lehrerin im öffentlichen Dienst angestellt und haben Politik und Wirtschaftswissenschaften unterrichtet. Da auch kein öffentlicher Druck auf Sie ausgeübt worden?

HH: Nein, im Gegenteil. (…) Wir bekamen so eine Hauszeitschrift in der Schule. Da war so ein Regal, von allen möglichen Unternehmenszeitschriften und auch von Rheinbraun. Wenn sie dies lasen, dann haben sie gesagt, das, was die machen, ist besser (…) als die Erschaffung der Welt. Was die wieder für Vögel ausgesetzt hatten und für Tiere. Da habe ich zu meinem Chef damals gesagt, ich mache das, ich arbeite daran. Ich weiß genau, dass man das so nicht sagen kann. Natürlich versuchen die das, aber dafür haben sie vorher Menschen enteignet und Menschen die Heimat genommen. Dass die natürlich jetzt versuchen zu rekultivieren, aber das ist nicht dasselbe wie vorher. Ich möchte nicht mehr, dass die Zeitung hier in der Schule  ausgelegt wird: „Wie Sie das machen, ist mir egal, aber ich möchte sie hier nicht mehr sehen.“ Und sie ist nicht mehr…, also entweder hat er sie abbestellt, ich bin dem nicht mehr nachgegangen, oder er hat sie direkt, als sie kam (…) ist sie vernichtet worden. Man kann das einfach nicht, weil das auch nicht der Realität entspricht. Ich kann auch nicht sagen, der Ort ist nachher schöner, als vorher. Da fehlt alles, das ganze soziale Umfeld ist total zerstört. Weil viele Leute auch wegziehen, die siedeln gar nicht mit um, die siedeln anderswo. Auch finanziell, das heißt, keiner darf mit dem Nachbarn darüber sprechen, was er gekriegt hat. Es gibt Schweigegebot. Dann können Sie sich vorstellen, dass das auch zu unterschiedlichen Sichten führt und darüber gibt es dann Streit. Diese Streitigkeiten, die hat man schon sehr gut in den neuen Dörfern gemerkt. Als wir anfingen, kurz darauf, gab es ein Sozialverträglichkeitsgutachten über die Dörfer Königshofen, Harf, die schon vor Jahren umgesiedelt wurden. Und da kam das ganz deutlich zum Vorschein. Dass eben halt natürlich neue Gemeinschaften gebildet wurden, aber es ist nicht mehr so, wie früher, die alten Dorfgemeinschaften waren weg.

DC: Andererseits hat Rheinbraun Ihnen ja auch eine Stelle angeboten. In der PR-Abteilung.

HH: Ja, das war indirekt ein Kompliment. Das heißt, wahrscheinlich waren wir gut. Aber sie hätten eigentlich wissen müssen, welche Einstellungen ich hatte. Aber sie haben es überall versucht, einfach versucht. Und ich musste mich wirklich zusammenreißen, (…) sonst hätte ich ihm wirklich eine gelangt. Also das habe ich an dem Abend nicht nur so gesagt, sondern mit juckte es in der Hand. Ich war total aufgebracht und habe gesagt, das darf doch jetzt nicht wahr sein.

DC: Konnten Sie damals Ihre Schülerinnen und Schüler für Ihren Kampf mobilisieren?

HH: Bedingt. Ich habe natürlich die Möglichkeit gehabt, in beiden Fächern, die Themen anzusprechen. Sie haben mich auch verstanden, aber ich musste natürlich immer aufpassen, weil viele Väter Mitarbeiter im RWE waren, war ja vor der Haustür. (…) Aber ich habe schon die Sachlage dargelegt, dass diese Tätigkeit nicht nur dazu da ist, um den Strom zu gewinnen, sondern dass dafür auch ganz viele Menschen leiden müssen. Dass auch (…) unser Wasserhaushalt dadurch durcheinander gerät. (…) Aber wie gesagt. Ich musste schon vorsichtig sein bei meinen Schülern, weil eben vor Ort die Väter und teilweise auch die Mütter beim RWE arbeiteten.

DC: Wer hat Sie unterstützt? Ihre Familie? Ihre Tochter war damals, glaube ich, auch noch schulpflichtig.

HH: Ja, also mein Vater hat mich sehr lange unterstützt, weil: Er hat mich auch dazu gebracht. Er hat immer gesagt, du machst das, du machst das gut. (…) Mein Mann hat das nie so gesehen, er hat mich nicht besonders unterstützt. Er hat zwar auch nicht gemurrt, dass ich immer weg war, aber er hat sein Ding gemacht und gesagt, gut, wenn du das machen möchtest, dann mach das. Aber da hatte ich keine große Hilfe. Ich habe also um mich herum Leute aus dem Ort geschart, die so dachten wie ich, und war mehr oder weniger menschlich auf mich selbst gestellt.

DC: Was haben Sie sich damals von der Politik erhofft? Als die SPD 1995 die absolute Mehrheit verloren hat und die GRÜNEN als kleiner Koalitionspartner mit einzog, haben Sie sich da mehr erhofft?

Wenn die Klimaveränderungen so deutlich gewesen wären wie heute, hätten wir vielleicht mehr erreicht

HH: Da habe ich mir mehr erhofft. Wir haben gesagt, wir nutzen die Parteien für unsere Zwecke, aber wir halten uns parteipolitisch raus. Aber natürlich waren die GRÜNEN uns sehr nahe. Die CDU, das war ein absolutes Problem damals, auch aus Stadt Mönchengladbach. Die schickten uns einen Rheinbraun-Vertreter, der uns unterstützten sollte. Bis wir dann feststellten, der arbeitete letztendlich gegen uns, der arbeitete für Rheinbraun. Dann haben wir direkt gesagt, den wollen wir nicht mehr und wir haben einen Ersatzmann gekriegt, aber der war auch nicht viel besser. Da konnten wir gar nichts erwarten. Aber die GRÜNEN waren sehr intensiv, damals schon. Aber sie waren natürlich nicht alleine und wir werfen ihnen auch heute vor, dass sie mit ihren Forderungen nicht radikaler durchgegriffen haben. Sie waren immer nur der Partner, sie waren ja nicht führend, sonst wäre es vielleicht besser gewesen. Einige Leute sind heute noch dabei, die ich von früher kenne. Dirk Jansen zum Beispiel vom BUND, der hat damals ganz intensiv mit uns zusammengearbeitet, er ist dabeigeblieben. Aber wir haben uns schon mehr erwartet. Ich muss immer sagen, wenn die Problematik schon damals so klar gewesen wäre wie heute, wo diese Anzeichen der Klimaveränderungen so deutlich werden, dann hätten wir vielleicht mehr erreichen können.

DC: Die GRÜNEN haben 1997 eine Verfassungsbeschwerde eingelegt und sind gescheitert.

HH: Ja, es sind ja viele Prozesse gelaufen. Ein Landwirt in Holz, das ist vor Immerath gewesen, der hat seinen Hof noch ganz lange gehabt und mit Hilfe der Initiativen und auch aller, die da kämpften, prozessiert bis zum Bundesverwaltungsgericht, aber verloren. Einfach, weil das Grundgesetz sagt, wenn die Gemeinschaft zur Energiegewinnung das Eigentum braucht, dann musst du das hergeben, sage ich jetzt mal. Aber das ist heute nicht mehr so. In der Kohlekommission ist gesagt worden, der Ausstieg ist früher möglich und es sind Gutachten vorgelegt worden, dass der Ausstieg sogar noch früher erfolgen könnte, dass dadurch die Dörfer, so wie sie jetzt sind, gerettet werden könnten. Es ist dorffreies Gelände noch genug da, für die kommende Zeit, wo noch die Genehmigung besteht, abzubauen. Es bedarf natürlich besonderer Befestigungen dann. Was in Hambach ja auch schon ist. Das sind für das RWE zusätzliche Kosten, die Aktionäre sind natürlich sauer. Klar, denen geht das Geld dann verloren, wenn da zusätzliche Befestigungen gemacht werden. Aber ich sage ganz einfach, wenn die Kohle unter dem Dorf nicht mehr gebraucht wird, weil jetzt Alternativen entwickelt werden und ja schon entwickelt worden sind, und wenn die Braunkohle so problematisch ist, und wenn man sowieso raus will, dann kann ich doch den Leuten nicht sagen, ihr müsst jetzt gehen, nur weil das RWE weitermachen will, nur wegen der Arbeitsplätze. Ich kann das gut verstehen, dass die Leute Angst haben, aber dann muss man das Geld, was man dafür ausgibt, ausgeben, um den Leuten neue Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen. Und das RWE will Geld verdienen, die werden andere Dinge machen. Dann können ihre Leute eben in die anderen Bereiche gehen. (…) Ich habe gesagt, ich wünsche mir von Herzen, dass jemand das durchsteht und einfach sagt, ich gebe mein Haus nicht her. Und bis zu letzten Instanz prozessiert, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass in der letzten Instanz nicht mehr gesagt werden kann, ja, ihr müsst es hergeben. Weil die Notwendigkeit nicht mehr besteht. Das ist eben anders, als vor dreißig Jahren.

DC: Dann haben Sie den Kampf David gegen Goliath letztlich, der ja auch sehr zermürbend ist, aufgegeben. Was waren Ihre Gründe?

HH: Erstens ist damals beschlossen worden den Ort, in dem ich wohnte… – also ich muss dazu sagen, ich bin in Wanlo geboren, auf der einen Seite auf dem Bauernhof, und habe auf die andere Seite geheiratet. Das heißt, ich habe einen Landwirt aus dem Dorf geheiratet und wohnte dann auf der anderen Seite in Wanlo. Und dieses Dorf wurde eben aus dem Bereich Garzweiler II rausgenommen. Es hieß Wanlo wird nicht mehr abgebaut. Und das war so ein Punkt, wo ich gesagt habe, okay, Jetzt haben wir das geschafft, was wir eigentlich wollten. Ich konnte auch nicht mehr, Ich war fast zehn Jahre so intensiv drinnen und es ging einfach auch nicht mehr. Dann waren im Ort auch andere Leute, die sich bereit erklärten, das zu übernehmen, und ich bin weggezogen. Ich habe mich damals von meinem Mann getrennt, habe mir dieses Haus gekauft, bin in den Nachbarort gezogen. Warum? Weil ich nicht weg wollte. (…) Also bin ich, das sind 800 Meter, noch nicht mal, von Zuhause weg, und habe praktisch 1992 ganz neu angefangen. Ich bin nochmal bei ein paar Veranstaltungen gewesen, aber ich bin nicht mehr führend und nicht mehr so intensiv für die Sache tätig. Aber ich habe mich immer gefreut, auch als die Frau Fassbender damals kam. Ich habe gesagt, ich könnte ein Buch über die ganze Sache schreiben, soviel habe ich erlebt. (…) Aber irgendwann sind Sie ausgelaugt, und dann war es auch mal gut, dass jemand anderes das machte. Dann kamen in Wanlo noch Probleme, der Flughafen, Segelflughafen, den gibt es jetzt. Dann sollte eine Müllverbrennungsanlage dahin, also das Dorf war schon belastet, aber es ist Gott sei Dank nicht gekommen und insofern ist jetzt ziemlich Ruhe. Aber jetzt haben sie einen Wall und hinter dem Dorf ist dann, wenn es so kommt, demnächst das Loch.

DC: Und was gab Ihnen dann die Kraft, den Mut oder den Anlass, den Kampf gegen die RWE dann wieder aufzunehmen?

Alle Dörfer bleiben! – Ich bin jetzt wieder voll im Kampf drinnen

HH: Also ich muss ganz ehrlich sagen, als die Frau Fassbender kam… ist ja schon ein paar Jahre her, das hat lange gedauert mit dem Film, da merkte ich schon, ich bin einfach noch drinnen in der Sache. Dieser Kampf macht mir noch, wenn man das sagen kann, Freude. Ich bin noch voller Elan und würde gerne noch etwas machen. Als dann der Film soweit war, hat meine Tochter mich dann auch unterstützt. Die ist jetzt auch Lehrerin in Grevenbroich und erlebt das natürlich auch und denkt so wie ich.

Wir beiden sind dann nach Düsseldorf gefahren, haben uns den Film angeguckt, und da waren auch Leute aus Wanlo. (…) Da war die Tochter von unserem damaligen Wirt und hatte einen Mann geheiratet von außerhalb. Die beiden kämpften jetzt weiter, mit den Nachbarorten. Und dann sagte die Birgit: „Mensch, komm doch einfach mal und wir machen demnächst eine Veranstaltung, diesen Sternenmarsch. Das wäre doch total toll, wenn Du  einfach von früher erzählst, wie ihr das gemacht hattet und so.“ Das war im vorigen Jahr, Anfang des Jahres. Und Anfang diesen Jahres habe ich dann Kontakt zu ihr aufgenommen. Seitdem bin also wieder in dieser Initiative „Alle Dörfer bleiben!“ Und wir arbeiten praktisch von außerhalb, die Wanloer und ich. Wir gehen jetzt mit den anderen Dörfern in diese Gemeinschaft rein und tun alles, was zu tun ist. Ich habe es nicht bei dem Sternenmarsch jetzt belassen, bei meiner Rede, die ich gehalten habe. Eigentlich war das der Sinn des Ganzen, dass ich das machen sollte, aber mir hat das so viel bedeutet, was die heute arbeiten, mit den jungen Leuten. Ich bin wieder gerne dabei. Das heißt, ich bin jetzt wieder voll im Kampf drinnen.

DC: Sie hatten mir gesagt, wenn Sie die jungen Menschen von Friday for Future sehen, das gibt Ihnen Kraft.

HH: Das gibt mir totale Kraft, ja.

DC: Was würden Sie diesen jungen Menschen mit auf den Weg geben? Was würden Sie ihnen sagen wollen?

Jetzt ist der Moment, wo sie eine Wende erzwingen können

HH: Ja, einfach durchhalten. Jetzt ist der Moment gekommen, wo sie eine Wende erzwingen können. Das merke ich ganz genau. Das habe ich zum ersten Mal gemerkt, als ich den Bericht von Hambach, von dieser Veranstaltung…. da habe ich gedacht, das darf doch nicht wahr sein, dass so viele Leute sich dafür einsetzen, die gar nichts direkt damit zu tun haben. Von überall. (…) Wir kriegten auch Anfragen von Celle, die hatten schon einen Bus bestellt und was weiß ich nicht. Durch die Medien ist da eine ganz andere Resonanz heute. (…) Also ich kann nur sagen, wenn nicht jetzt, wann dann?! Jetzt ist der Moment gekommen. Wahrscheinlich mussten wir alle darauf warten. Leider mussten die Dörfer noch verschwinden, aber die RWE steht jetzt zum Beispiel vor dieser alten Autobahn. Das war für mich so symptomatisch, weil wir da auch unsere Veranstaltungen gehalten haben. Wenn Sie dann weiter guckten, sahen sie diese Wall und hinter dem Wall war diese alte Autobahn. Die ja jetzt stillgelegt worden und durch eine neue, die durch den Tagebau geht, ersetzt worden ist. Das ist für mich so ein Zeichen: Bis hierhin und nicht weiter. Ich hoffe, dass es tatsächlich so bleibt. Wie gesagt, südlich von Keyenberg – Immerath ist ja schon so gut wie weg – ist gar nichts mehr. Da ist ein Riesenterrain, was menschenleer ist. Das könnte man, wenn man sagt, man könnte nicht von heute auf morgen aufhören, das könnte man in Anspruch nehmen. Aber dann Schluss! Die Dörfer lassen, wie sie sind. Es ist damals vereinbart worden, dass die Dörfer nicht abgerissen werden, wie früher. Früher sind die Dörfer, die aufgekauft worden sind, immer direkt abgerissen worden. Aber irgendwann hat das aufgehört. Wenn Sie durch Keyenberg fahren, dann kommen Sie an ganz schönen Häusern vorbei, die alle leer stehen. Wenn das wirklich passieren würde, dass man sagt, wir tasten jetzt die Dörfer nicht weiter an, dann müsste ein ganz neues Konzept her. (…)

Ich stelle mir das immer so vor: Heute kann ich noch in mein Dorf fahren, da fahre ich gerne und ganz oft hin. Aber ich kann nie wieder weiterfahren, da ist irgendwann der Wall und dann das Loch. Ich werde nie mehr nach Keyenberg können. Ich werde nie mehr nach Immerath… Ich bin mit meiner Mutter zwanzig Jahre zu meinen Großeltern, immer durch Immerath, am Dom, so nannten die ihre Kirche, vorbeigefahren. Und dann irgendwann ging das nicht mehr. Ich war auch dabei, an dem Sonntag, wie der entweiht war, entweiht der schon länger, aber der letzte Tag. Ach, das war auch so ein Bild. Die Rheinbraun-Mitarbeiter, mit ihren weißen Wagen, die standen da. Die Bagger standen um die Kirche herum, die Fenster waren raus, weil da eine Künstlerin war, die sich diese Fenster gesichert hat. Und dann standen die Leute da und alle weinten. Dann steht man vor so einem Gotteshaus und man weiß, am nächsten Tag ist es weg, das ist ganz furchtbar. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nicht mehr nach Wanlo kann. Ich fahre ganz oft mit dem Fahrrad nach Keyenberg und durch diese ganze Gegend, dass ich das nicht mehr kann. Das ist eben der Unterschied, ob ich jetzt da noch fahren kann oder nicht.

DC: Der Hambacher Wald hat ja auch symbolischen Wert und einen ökologischen Wert. Was bedeutet der Hambacher Wald für Sie?

Der Hambacher Wald ist ein Symbol des Widerstands

HH: Der ganze Hambacher Bereich war immer eine Parallele zu dem, was bei uns passierte. Der Teil, der jetzt noch existiert, ist für mich ein Symbol. Zum ersten Mal hat Rheinbraun nicht das gekriegt, was sie wollten. Und zwar nicht durch die Politik direkt, sondern indirekt durch die Menschen. Die Menschen haben sich gewehrt. Die haben im Grunde genommen einfach den Hambacher Forst besetzt, sowohl in den Bäumen, als auch unten bei der Veranstaltung, und haben gesagt: „Stopp!“ Und man hat es anscheinend gemerkt, denn überall, wo sie hingehen, überall, im Fernsehen, überall, höre ich immer „Hambi, Hambi, Hambi!“ Das ist wirklich zu einem Symbol des Widerstandes geworden und so sehe ich das auch. Ich habe gesagt, Friday for Future, als ich das zum ersten Mal hörte, und „Hambi!“, das sind für mich die beiden Symbole, jetzt haben wir gute Chancen, was zu erreichen. Unser Ziel zu erreichen. Ich hoffe immer noch darauf, auch wenn es total kompliziert wird mit diesen halb leeren Dörfern. Ich hoffe es immer noch, dass zu mindestens die Gegend bleibt, die Straße bleibt, die nach Immerath führte, die auch schon Rheinbraun gehört, die Dörfer bleiben in ihrer Struktur, die Kirche natürlich bleibt. Auch Kuckum, wo der Widerstand etwas  besser ist, weil da gute Leute sind. Es ist ein junger Mann, David Dresen, der super vernetzt ist, da läuft auch ganz viel Widerstand. Ein bisschen besser, als in Keyenberg. Das hängt auch immer von den Leuten ab und mit wem sie umgehen und so weiter. Da läuft eine ganze Menge.

DC: Was sind ihre Forderungen an die Politik?

Ich verlange von der Politik, dass sie für die Menschen da ist, nicht nur für die Wirtschaft

HH: Endlich zu hören, was die Leute fordern, und das ist für mich, was die jungen Leute fordern. Ich sage sogar wir hätten es längst durchsetzen müssen. Wir waren zu schwach, aber ich habe ja gesagt, wir mussten dieses Dagegen-sein wirklich lernen. Ich bin ganz anders groß geworden. (…) heute sagt man ganz einfach nein, die Braunkohle ist nicht mehr nötig, und deshalb müssen wir diese Sache stoppen, sonst bringen wir uns alle um. Die nächsten Generationen haben keine lebenswerte Grundlage mehr.

Ich verlange von der Politik, dass sie endlich mal für die Menschen da ist, und nicht nur für die Wirtschaft. Die Wirtschaft findet ihren Weg. Das RWE wird niemals die Tore schließen und sagen, hier habt ihr euren Mist, sondern das RWE wird sagen: „Okay. Wenn wir da nicht weiterkönnen, dann ist es zwar ein bisschen Arbeit und dann kriegen die Aktionäre vorübergehend mal nicht so gute Dividende, aber dann müssen wir das Geld jetzt in andere Bereiche investieren.“ Insofern habe ich da keine Probleme, auch bei den Arbeitsplätzen. Da werden vielleicht welche verloren gehen, aber da ist das RWE stark genug, das abzufangen, und die Politik auch. Da habe ich keine Probleme mit. Es ist im Moment so viel Geld im Umlauf, für alle möglichen Maßnahmen, Dorferneuerung und was weiß ich nicht. Das brauchen wir nicht, das machen die Menschen schon selbst, die werden sich schon selbst helfen. Es gibt sogar im Hinterkopf schon konkrete Pläne, was man alles macht. Die werden so dankbar sein, dass sie nicht wegmüssen, dass sie bereit sind, auch weiterhin dafür zu kämpfen. Das sollte die Politik sehen und nicht einfach so, wie zum Beispiel der Laschet, der kümmert sich gar nicht, dem ist das egal. Der sagt „Ja, ja, schön, dass ihr das gemacht habt“. Als ich Abends von der Veranstaltung nach Hause fuhr, da sagte das RWE – hörte ich im Bad – dass der Schmidt sagte, aber es geht alles so weiter wie bisher, weil die Politik das abnickt. Die Politik hat all die Jahre gesagt: „Macht mal, macht mal, macht mal. Wir sorgen schon dafür, dass ihr weitermachen könnt.“ Das ist einfach nicht richtig. Und jetzt (…) in der politischen Konstellation, also ich habe da nicht sehr viel Hoffnung, muss ich ganz ehrlich sagen. Und deshalb müssen die Menschen weiter auf die Barrikaden gehen. Anders geht es nicht. Dass Menschen sich wehren, das sehen wir überall, schauen wir nur nach Frankreich. Ich habe gesagt, wir wollen keine französischen Verhältnisse, und die Leute, die im Moment kämpfen, die wollen das auch nicht. Die sind rigoros, aber friedlich. Dass es da ein paar Auswüchse in Hambach gibt, okay, da werden wir uns nicht gegen wehren können. Aber das sind – ich bin auch mit einigen Leuten zusammengekommen – das sind wirklich ganz tolle Leute. Da kann man sich nur bedanken, dass die ihr Leben da fristen, um unser Eigentum zu schützen, Sonst wäre alles nicht gewesen, Hambi ist für mich so der Knackpunkt gewesen. Seitdem diese Veranstaltung war, hat sich vieles verändert. Auch meine Tochter erzählte das, in ihrem Bekanntenkreis, ist ja die jüngere Generation, sie sagte, alle sagen: „Boah! Also jetzt habt ihr gute Chancen!“

DC: Das ist ein gutes Schlusswort. Haben Sie noch Aspekte, die Sie noch gerne erwähnen möchten? Ist noch irgendwas Wichtiges unerwähnt geblieben?

Kein Mensch muss mehr seine Heimat aufgeben, Schluss mit der Braunkohle

HH: Nein, das einzige, das hatte ich aber eben schon gesagt, was ich so toll finde ist, dass man merkt an dem, was man tut, dass man damit jetzt Erfolg hat. Das heißt also, wenn wir irgendwas von uns gegeben haben, dass dauert das immer eine gewisse Zeit, und dann merke ich aus irgendwelchen Berichten, Politik oder RWE, es ist aufgenommen worden. (…) Ich sage immer, was macht ein Mensch, der im Dunkeln steht und Angst hat? Der redet sich was ein. Und so machen die das im Moment auch. Die haben natürlich Angst vor der Situation, weil es Geld kostet. Aber es ist machbar, und weil es machbar ist, deshalb muss kein Mensch mehr aus dem Dorf weichen. Was ein Dorf dem Menschen gibt, das kann keine andere Einheit, auch kein neues Dorf den Menschen geben. Deshalb sollte man eben die Menschen in ihrem Dorf lassen und die Dörfer nicht abbaggern. Und es sind teilweise ein paar Leute in den Dörfern, die schon zum zweiten Mal umsiedeln. Wir haben Bekannte, hinter Keyenberg wohnen die, die haben früher in Kasta gewohnt, die mussten aus Kasta, haben da einen neuen Hof gebaut, und müssen jetzt wieder weg. Das ist einfach nicht tragbar. Kein Mensch muss mehr seine Heimat aufgeben, Schluss mit der Braunkohle.

Interview: Daniela Collette
Kamera: Mike Fischer
Lektorat: Dr. Irmtrud Wojak
Fotos: Headerbild und Garzweiler-II-Bilder im Text ©Daniela Collette und Mike Fischer; Brand-Trilogie-Cover ©Susanne Fassbender, https://brandfilme.org/

Kontakt: info@fritz-bauer-blog.de

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