Machtergreifung in Erfurt

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06.02.2020

Machtergreifung in Erfurt –
oder wie man die Demokratie kaputt macht

Bremen (Weltexpresso) –  „Und nun meine Herren, vorwärts mit Gott!“ rief Reichspräsident Paul von Hindenburg, nachdem er am 30. Januar 1933 Hitler zum Kanzler ernannt hatte. Dessen NSDAP besaß zwar keine Mehrheit im Reichstag, aber dank der Unterstützung durch die Deutschnationale Volkspartei und den Stahlhelm kam er doch an die Macht. Nun ist Thomas Kemmerich von den Freien Demokraten kein Hitler, aber von irgendwoher muss es ja kommen, dass bei seiner überraschenden Wahl zum thüringischen Ministerpräsidenten sofort das Wort Machtergreifung im Raum stand. Und eins hat die Zeiten ohnedies überdauert:  Wenn es gegen die Linken geht, halten die Rechten immer zusammen.

Sich mit den Stimmen der AfD zum Regierungschef eines Bundeslandes wählen zu lassen, wenn man selber nur über fünf von insgesamt 90 Sitzen verfügt, ist  e i n e  Sache, eine andere  ist es, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. FDP und CDU zusammen verfügen im Landtag über 26 Sitze. Das ist weit von einer Regierungsmehrheit entfernt. Über Wasser halten kann er sich also auf jeden Fall nur mit der AfD. Deshalb dürfte Kemmerichs Lorbeer schnell welken und das von der CDU eingefädelte Komplott wird mit Neuwahlen enden. Das Triumphgeheul der AfD, ab sofort führe kein Weg an ihr vorbei, ist jedenfalls verfrüht und die Ausflucht des CDU-Landeschefs Mohring, seine Partei habe den Kandidaten der Mitte gewählt und sei nicht verantwortlich für das Wahlverhalten anderer Parteien, pure Heuchelei. Es gibt keine politische Mitte, sondern nur Rechts und Links. Alles andere ist Volksverdummung. Auch die Grünen werden sich entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen. Und die SPD kann ihren Niedergang nur aufhalten, wenn sie dorthin zurückkehrt, wo sie herkommt.

Die Grenzen der CDU hin zu den Rechtsradikalen waren immer fließend. Das ergab sich schon aus dem Anspruch eines Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe es keine Partei  geben. Was die FDP betrifft, so hat sie es mit der politischen Treue nie ernst genommen. Je nach politischer Wetterlage ging sie mal mit der CDU ins Bett, mal mit der SPD. Sie sei eben nach allen Seiten offen. Aber wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein.

Josef Schuster vom Zentralrat der Juden in Deutschland hat Recht mit seinem Kommentar: „Die FDP hat den Konsens der demokratischen Parteien verlassen, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten oder auf die Unterstützung der Rechtspopulisten zu zählen.“ Die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, bezeichnete die gemeinsame Wahl des FDP-Kandidaten durch CDU, AfD und Freie Demokraten als Tabubruch ohne Beispiel in der jüngeren Geschichte unseres Landes. Einen Ministerpräsidenten, der nur mit den Stimmen der Rechtsradikalen ins Amt komme, dürfe es in einer Demokratie nicht geben.

Selbst in der FDP werden Zweifel laut. Agnes Strack-Zimmermann, Beisitzerin im Bundesvorstand, sagte: „Sich von jemandem wie Höcke (der ungestraft als Faschist bezeichnet werden kann; K.N.)) wählen zu lassen, ist unter Demokraten inakzeptabel und unerträglich. Das ist ein schlechter Tag für mich als Liberale.“ Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken will den Ausgang der Thüringer Ministerpräsidentenwahl in einem Koalitionsausschuss mit der Union zum Thema machen. Die Wahl sei ein abgekartetes Spiel und müsse korrigiert werden. Der Ko-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans sprach von einem „unverzeihlichen Dammbruch“. Dass die Liberalen den Strohmann für den Griff der Rechtsradikalen zur Macht gäben, sei ein Skandal erster Güte.

Inzwischen wurde sowohl aus den Reihen der CDU als auch der CSU der Ruf nach Neuwahlen in Thüringen laut. Ein Beweis dafür, dass der von der Verfassung zwar gedeckte Putsch gegen den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, dessen Linkspartei mit 29 Sitzen stärkste Kraft im Landtag ist, der Demokratie schadet und nicht das letzte Wort sein darf.

 

Autor: Kurt Nelhiebel
Kontakt: info@fritz-bauer-blog.de
Quelle: Weltexpresso, 5.2.2020

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