Gezeichnet von Kolonialismus und Militärdiktaturen

Guinea

Geschichte und Gegenwart

Statt einer Einleitung

“Unsere Bücher in den kolonialen Schulen haben uns belehrt über die Kriege de Gaulles, das Leben von Jeanne d’Arc und Napoleon, die Liste der französischen Departements und die Gedichte von Lamartine und das Theater von Molière, als ob Afrika niemals eine Geschichte gehabt hatte, eine Vergangenheit, eine geografische Existenz oder ein kulturelles Leben. Unsere Schüler wurden nur anerkannt in Bezug auf ihre Fähigkeit der völligen kulturellen Anpassung.” (1)

Das sagte Ahmed Sékou Touré (1922-1884), der sich im frühen afrikanischen Unabhängigkeitskampf engagierte und ab 1958 mit 36 Jahren der erste Präsident von Guinea wurde, über seine Schulzeit.

Mit diesem Zitat möchte ich die eurozentrische Geschichtsschreibung hinterfragen und versuchen, den Blick aus der Perspektive der Menschen aus Guinea auf ihr Land und dessen Geschichte zu werfen. Damit sollen andere Sichtweisen als gängige Vorurteile und Stereotypen über den afrikanischen Kontinent zum Ausdruck gebracht  werden. An anderer Stelle in diesem Artikel wird auf die ambivalente Person des Politikers Sékou Touré und auf die schmähliche Rolle Frankreichs in der Kolonialgeschichte Guineas eingegangen.


 

Die Republik Guinea (mit 2017 knapp 12,5 Mill. Einwohner_Innen) zieht sich von der Atlantikküste in einem Bogen weit ins afrikanische Hinterland. Guinea grenzt im Norden an Guinea-Bissau, Senegal und Mali, im Osten an die Côte d’ivoire, im Süden an Liberia und Sierra Leone. Um den Staat von den anderen Guneas zu unterscheiden, wird er auch Guinea-Conakry genannt. Der Name “Guinea” geht auf das Berber-Wort “aguinaou” zurück, was “Schwarze” heißt und sich urspünglich auf alle Bewohner der westafrikanischen Küste von Senegal bis Gabun bezog.

Das Land ist in vier natürliche Zonen gegliedert: Niederguinea an der Küste mit der Hauptstadt und Präfektur Conakry, Mittelguinea oder Fouta-Djalon im Nordosten (Präfektur Labé), Oberguinea im Osten (Präfektur Kankan) und Waldguinea (Präfektur Nzérékoré) im Süden. Die zahlenmäßig stärkste ethnische Gruppe sind die Fulbe (auch Fula oder Peul genannt) mit ca. 40 Prozent, Die Malinké stellen etwas 30 Prozent der Bevölkerung, die Sussu haben einen Anteil von etwa 20 Prozent. Des Weiteren sind eine Vielzahl kleinerer Ethnien auf etwa 10 Prozent verteilt.

Guinea bis zur Unabhängigkeit am 2. Oktober 1958

Im 9. bis 13. Jahrhundert gehörten Teile des heutigen Guineas zum Ghana-Reich. Danach folgte im 12./13. Jahrhundert die Zugehörigkeit zum Mali-Reich. Zwischen 1450 und 1460 erreichten portugiesische Seefahrer die Küste Guineas und errichteten erste Handelsniederlassungen. Es folgten Niederlassungen der vom Senegal aus operierenden Franzosen. Das Landesinnere war erst später zugänglich, und so setzte sich dort bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts die politische und ökonomische Entwicklung ohne die Anwesenheit der Europäer fort. Seit circa 1050 íst die vorherrschende Religion der sunnitische Islam. Im 13. Jahrhundert wanderten Fulbestämme nach Mittelguinea (Fouta-Djalon) ein und errichteten dort ein bedeutendes islamisches Staatswesen. In der Stadt Labé entwickelte sich die islamische Kultur und Tradition Guineas.

Mitte des 15. Jahrhunderts begannen die Portugiesen die Küsten Westafrikas abzufahren, um nach Gold zu suchen. Das heutige Ghana (Goldküste) war damals das Zentrum des Gold-, Elfenbein- und Sklavenhandels. Auch in Guinea wurden im 17. und 18. Jahrhundert schätzungsweise eine halbe Million Menschen verschleppt. Am transatlantischen Sklavenhandel von Westeuropa nach den amerikanischen Staaten waren vom 16. bis 19. Jahrhundert viele europäische Nationen beteiligt. An der Küste von Guinea sicherte sich hauptsächlich Frankreich mit der “Compagnie francaise des Indes” ein Monopol des Sklavenhandels. Die Epoche des Sklavenhandels als Vorphase des Kolonialismus dauerte bis ins 19. Jahrhundert.

Ab circa 1850 erreichten die Kolonialisierungsversuche das heutige Gebiet Guineas, und es waren vor allem die Franzosen, die die Expansion ins Landesinnere gezielt vorantrieben. Sie stießen besonders in Mittelguinea auf heftigen militärischen und teilweise erfolgreichen Widerstand. Hier ist besonders Almamy Samory Touré zu nennen, der ein auf dem Islam basierendes Herrschaftsreich aufbaute, welchen vom Fouta Djallon im Norden bis zum Ashanti-Reich im Südwesten reichte und Teile der heutigen Côte d’Ivoire, Ghanas, Guineas und Mali umfasste. In der Zeit von 1880 bis 1893 kam es dann aber zu langwierigen und erbitterten Kämpfen um das Hinterland von Guinea, das die Franzosen kolonisieren wollten. Die Kriege wurden von Frankreich mit großer Grausamkeit und Gewalt gegen die Bevölkerung geführt. Massaker, willkürliche Exekutionen, Vergewaltigungen, Deportationen, Zwangsarbeit waren dazu die Mittel zur Unterdrückung der Bevölkerung. Am Widerstand gegen die Franzosen beteiligten sich ausnahmslos alle Ethnien Guineas, doch letztendlich gelang es den Franzosen, ganz Guinea unter Kontrolle zu bekommen, und ab 1892/93 gehörte Guinea dann offiziell zu Französisch-Westafrika. Samory Touré gilt noch heute aufgrund seines zähen Widerstands gegen die französische Kolonialmacht als Symbolfigur des afrikanischen Nationalismus und späteren Panafrikanismus. Er starb 1900 im Exil in Gabun.

Mit der Kongokonferenz (oder Westafrika-Konferenz) in Berlin von November 1884 bis Februar 1885 wurde Afrika südlich der Sahara praktisch aufgeteilt. Europas Regierungen hatten willkürlich Grenzen gezogen, ohne Rücksicht auf die dort lebende Bevölkerung und deren Kulturen zu nehmen. Bis zur Unabhängigkeit 1958 gehörte Guinea zu Französisch-Westafrika (Afrique-Occidentale francaise, AOF). Schon in den ersten Jahren der Kolonialherrschaft setzte Frankreich seine kolonialen Großmachtinteressen und Gewinnstreben durch. Es wurden insbesondere Bodenschätze (Gold, Silber, Diamanten) geraubt, Agrargüter ausgebeutet und die menschliche Arbeitskraft durch extreme Zwangsarbeit ausgenutzt. Es wurden neue Handelswege (zum Beispiel der Bau einer Bahnlinie von der Hafenstadt Conakry nach Kankan im Landesinneren) für den Handel nach kolonialen Bedürfnissen erschlossen. Die Kolonialverwaltung erließ drakonische Mittel zur Erzwingung verwaltungskonformen Verhaltens. Die Kultur der guineischen Völker wurde zerstört beziehungsweise stark beeinträchtigt durch die Verbote, die eigene Sprache zu sprechen und die traditionelle Kultur zu leben.

Während der beiden Weltkriege dienten tausende guineischer Soldaten in den französischen Armeen, um für eine Sache zu kämpfen, die nicht die ihre war. Die Hilfstruppen und Hilfsarbeiter aus der “Dritten Welt“ wurden schlechter entlohnt, verpflegt, untergebracht und behandelt als ihre “Kameraden” aus der “Ersten Welt”. Streiks und Revolten gegen diese Ungleichbehandlung wurden mit brutaler Gewalt niedergeschlagen. Der senegalesische Schriftsteller und Kriegsteilnehmer Ousmane Sembène zeigt in seinem Film CAMP DE THIAROYEDAS (1988) das Thiaroye-Massaker im Dezember 1944 durch französische Kolonialsoldaten. Korrupte Kolonialbeamte verweigerten den zwangsrekrutierten westafrikanischen Soldaten die zugesagte Entschädigung und hielten diese unter schlechten Lebensbedingungen in einem Lager fest. Als diese dagegen revoltierten, schossen herbeigerufene französische Soldaten auf die Aufständischen und töteten bis zu 300 Menschen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durfte Guinea ab 1946 mit zwei Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung vertreten sein. Zeitgleich formierten sich politische und gewerkschaftliche Organisationen. Es kam zu Streiks um höhere Löhne, Sozialleistungen und bessere Arbeitsbedingungen. Dabei profilierte sich der Gewerkschafter Sékou Touré, ein Enkel von Samory Touré und der Ethnie Malinke zugehörig, mit zunehmend politischen Statements und der Forderung nach der Unabhängigkeit Guineas. Er war 1947 bei der Gründung der linksgerichteten „Parti Démocratique de Guinée“ (PDG) beteiligt, ebenso wie bereits ein Jahr zuvor an der im gesamten Französisch-Westafrika operierenden Unabhängigkeitsbewegung “Rassemblement Démocratique Africain” (RDA). 1952 wurde Touré Vorsitzender der PDG, 1955 Bürgermeister von Conakry und 1956 Abgeordneter Guineas in der französischen Nationalversammlung. Er fiel in Frankreich und in vielen Ländern Afrikas wegen seines engagierten Auftretens für sein Volk und die Entkolonialisierung auf. 1957 wurde Französisch-Guinea die innere Autonomie gewährt, und Sekou Tourés PDG gewann in diesen Territorialwahlen 56 von 60 Sitzen und praktisch die “Semi-Autonomie” Guineas. Ein Jahr später lehnte Guinea als einzige der französischen Kolonien Westafrikas in einem Volksreferendum den Beitritt zu “Communauté Francaise” ab. Der Ausstieg aus dem französischen Staatenbund wurde begleitet mit der Ansage an den damaligen französischen Präsidenten De Gaulle: “Nous préférons la liberté dans la pauvreté à la richesse dans l’esclavage.” (“Wir ziehen Armut in Freiheit einem Reichtum in der Sklaverei vor”). (2)

Am 2. Oktober 1958 wurde die unabhängige Republik Guinea ausgerufen, ihr erster Präsident wurde Sékou Touré.

Guinea nach der Unabhängigkeitserklärung

Die Reaktion Frankreichs auf Guineas Unabhängigkeit war drastisch. Französische Beamte und Fachleute wurden kurzfristig zurückgerufen, Kredite gesperrt, Industrieanlagen und andere technische Einrichtungen abgebaut oder sabotiert, Dokumente vernichtet und wirtschaftliche Beziehungen annulliert. Der Bruch mit Frankreich und die politische Situation im “Kalten Krieg” bewirkten eine Isolation vom Westen. Touré suchte in der Folgezeit Anlehnung an die Sowjetunion und die Ostblockstaaten. Er prägte einen afrikanischen Sozialismus und nahm eine klare antiimperialistische Haltung ein. Gemeinsam mit Mali und Ghana gründete Guinea im Juli 1961 die “Union Afrikanischer Staaten”, ein Jahr später gehörte das Land zu den Gründungsmitgliedern der OAU (Organization for African Unity/Organisation für Afrikanische Einheit), deren Ziel die Entkolonialisierung Afrikas war und die Beseitigung der weißen Minderheitsregierungen. Er hegte eine enge Freundschaft mit Kwame Nkrumah (1909-1972), dem Präsidenten von Ghana, und nahm diesen nach dessen Sturz durch das Militär Ghanas im Jahr 1966 im Exil auf. Der Führungsstil von Sékou Touré wurde zunehmend autoritärer und die Regierungspartei PDG entwickelte sich zur Einheitspartei. 1961 übernahm Touré zusätzlich das Amt des Staatspräsidenten und konnte seine Machtstellung damit weiter ausbauen. Zwischen 1966 und 1978 ist die Herrschaft von Sékou Touré durch Gewalt und Repression bestimmt. Insbesondere Angehörige der Ethnie Fulbe (Fulla, Peul) und (angebliche) Oppositionelle wurden diskriminiert, verfolgt und inhaftiert. Im Gefängnis Camp Boiro mitten in Conakry wurden Oppositionelle und politische Gefangene ohne Gerichtsverfahren interniert, gefoltert und ermordet. Bedroht durch diese drastischen “Säuberungsmaßnahmen” verließen mehr als zwei Millionen Menschen Guinea und flohen hauptsächlich in Nachbarländer.

Guinea ist reich an natürlichen Bodenschätzen – das Land hat die vermutlich größten Reserven an Bauxit (Aluminium-Erz) auf der Welt. Zudem gibt es Diamanten, Eisenerz, Gold und Uran. Die Landwirtschaft findet gute natürliche Bedingungen durch unterschiedliche Landschafts- und Klimazonen vor. Nachdem sich Guinea jedoch von Frankreich gelöst hatte und von diesem mit einem Wirtschaftsboykott sanktioniert wurde, blieben Staat und Wirtschaft in ihrer Entwicklung zurück beziehungsweise zeichneten sich durch staatliche Misswirtschaft aus. Noch heute gehört Guinea zu den ärmsten und industriell am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Ab 1977 kam es zu Protesten insbesondere von Marktfrauen gegen Armut, Verteuerung von Grundnahrungsmitteln und die Verstaatlichung des Marktes. Der Marsch der Frauen, der einigen unter ihnen das Leben kostete, leitete eine allmähliche Liberalisierung im Wirtschaftsbereich ein. Das Monopol des Staates im Handel, das die Ursache für ein völliges Zusammenbrechen der Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln war, wurde zuerst für den Binnen- und dann für den Außenhandel beseitigt. Es begann eine allmähliche Annäherung an die kapitalistischen Länder des Westens, und damit wurden auch wieder zu Frankreich Beziehungen aufgenommen. Bevor es allerdings zu erkennbaren Veränderungen kam, starb Sékou Touré im März 1984 an einem Herzinfarkt. Die ambivalente Touré-Zeit ist von den Guineern kaum verarbeitet worden: Auf der einen Seite der Antikolionalist, der Frankreich beschämte, und auf der anderen Seite ein grausamer Diktator gegen Oppositionelle und die Ethnie der Fulla. Die Folgen der Diskriminierung und Ethnisierung politischer Gewalt sind bis heute spürbar, und die damals entstandenen ethnisch konstruierten Konflikte sind noch heute  Gründe für Flucht und Migration.

Eine Woche nach dem Tod von Präsident Touré stürzte der General Lansana Conté am 3. April 1984 durch einen Putsch den Interimspräsidenten. Lansana Conté gehörte zum Volk der Sussu und war Mitglied von Tourés Einheitspartei PDG. Die Neugestaltung des Landes beziehungsweise der Aufbau der Wirtschaft und die Entwicklung von demokratischeren Strukturen kamen nur langsam voran. Lansana Conté reagierte auf die Forderung nach mehr Demokratie mit einem Konzept, das eine Demokratisierung mit fünfjähriger Übergangszeit vorsah. Er suchte aber von Anfang an wieder die Unterstützung der Franzosen und französische Firmen übernahmen wie in kolonialen Zeiten die Kontrolle über wichtige Wirtschaftszweige. Gleichzeitig wurde durch Begünstigungswirtschaft und Korruption die kleine Oberschicht immer reicher beziehungsweise die Mehrheit der Bevölkerung bei steigenden Preisen und gleichbleibendem Einkommen immer ärmer. Guinea rutschte auf Platz 1 der korruptesten Staaten Afrikas und auf Platz 3 weltweit auf der Transparancy-Liste.

Im Dezember 1990 gab es endlich ein Referendum und das Volk sprach sich für eine neue Verfassung aus, die eine Zivilregierung und ein Mehrparteiensystem vorsah. Ende 1991 trat die neue Verfassung in Kraft und es kam zur Gründung von politischen Parteien, die erst nach verstärktem innenpolitischem Druck vom Staatsoberhaupt zugelassen wurden. Relevante Gruppierungen waren vor allem die “Parti de l’Unité et du Progrès” (PUP) von Lansana Conté und “Rassemblement du Peuple Guinéen” (RPG) unter der Führung von Alpha Condé.

Erst im Dezember 1993 kam es zu den ersten freien Präsidentschaftswahlen in Guinea. Mit über fünfzig Prozent der abgegebenen Stimmen wurde Staats- und Regierungschef Lansana Conté im Amt bestätigt. Die Opposition (Herausforderer Alpha Condé und die RPG) warfen der Regierung Wahlbetrug vor. Auch die Parlamentswahlen mussten aufgrund von gescheiterten Putschversuchen gegen Conté und schweren Unruhen mehrmals verschoben werden und fanden erst im Juni 1995 statt. Die regierende “Parti de l’unité et du progrès” (PUP) von Staatsoberhaupt Lansana Conté konnte die Mehrheit der Sitze im Parlament für sich gewinnen. 1998 wurde Lansana Conté bei den Präsidentschaftswahlen erneut im Amt bestätigt, und erneut sprach die Opposition von massivem Wahlbetrug. Als ein Jahr später führende Oppositionspolitiker inhaftiert wurden, kam es landesweit zu schweren Unruhen.

Ab September 2000 häuften sich Grenzkonflikte mit den benachbarten Bürgerkriegsländern Sierra Leone und Liberia durch Angriffe von Guerillaorganisationen. Die Konflikte dieser drei Länder waren kompliziert ineinander verzahnt und geschürt von korrupten Politikern und diversen Dutzend Kampfparteien. Reguläre Söldner und Rebellentrupps, Plündererhorden und Stammesmilizen, viele Kämpfer noch Teenager, durch Drogen enthemmte Kinder, waren in einen Krieg involviert, in dem die Ausbeutung der Diamantenvorkommen Sierra Leones eine wesentliche Rolle spielten. 125 000 Liberianer und 330 000 Menschen aus Sierra Leone flüchteten nach Guinea, das selbst nur 7,5 Millionen Einwohner zählte. Das autokratische System von Lansana Conté nutzte diese Konfliktsituation aus, um den Demokratiebestrebungen in seinem Land zu begegnen.

Bei den mit einer Verspätung von zwei Jahren Ende Juni 2002 stattfinden Parlamentswahlen (sie wurden von Präsident Conté mehrere Male verschoben) gewann die PUP von Conté mit deutlicher Mehrheit. Der Vorsitzende der Oppositionspartei “Rassemblement du Peuple Guinéen” (RPG), Alpha Condé, war wegen des Vorwurfs der Verschwörung von den Wahlen ausgeschlossen worden; die Opposition sprach deshalb von Wahlbetrug. Staatspräsident Lansana Conté wurde bei den Präsidentschaftswahlen 2003 mit 95,6 Prozent der Stimmen für eine weitere Amtszeit bestätigt. Die meisten oppositionellen Parteien boykottierten diese Wahl.

Im Januar/ Februar 2007 fand ein Generalstreik statt, an dem sich Gewerkschaften, oppositionelle Gruppen, Schüler_innen und Studierende beteiligten, die den Rücktritt des autokratisch regierenden und inzwischen schwer kranken Präsidenten forderten. Die Regierung regierte mit Gewalt, es gab viele Tote und Verhaftungen. Dennoch kam es zu weiteren Streiks und Protesten gegen das Regime. Trotz alledem blieb Lansana Conté bis zu seinem Tod im Dezember 2008 der Präsident Guineas.

Massaker in Guinea-Conakry am 28. September 2009

Nach dem Tod von Lansana Conté ergriff der Chef der Militärjunta Moussa Dadis Camara die Macht. Dadis Camara stammt aus der Waldregion Guineas und wurde zwischen 1996 und 2005 in Deutschland unter anderem in der Bundeswehr-Offiziersschule Dresden sowie der Nachschubschule in Bremen zum Fallschirmjäger ausgebildet. Camara war einer der Hauptanführer des Putsches von Weihnachten 2008. Da Camara bei der Planung und Durchführung zur Geheimhaltung regelmäßig Deutsch sprach und mit vermeintlich „deutscher Gründlichkeit“ potenzielle Gegner wie Contès Sohn Ousmane sowie den Marinechef und hochrangige Polizisten verhaften ließ, wurde der Putsch auch “le putsch allemand” (“deutscher Putsch”) genannt. Sein Versprechen, demokratische Präsidentschaftswahlen und damit einen Veränderungsprozess im Jahr 2009 in Guinea durchzuführen, hielt er nicht ein. Ab Mitte 2009 gab es daraufhin Proteste von oppositionellen Gruppen gegen das Militärregime. Für den 28. September 2009 wurde zu einer großen Protestkundgebung im Stadion der Hauptstadt Conakry aufgerufen, an der sich circa 50 000 Menschen friedlich beteiligten. Doch das Militär stürmte das Stadion, es kam zu einem Massaker, und viele der Demonstranten wurden von den Sicherheitskräften hingerichtet und schwer verletzt. Zahlreiche Frauen wurden von den Militärs öffentlich vergewaltigt.

Nach diesem Blutbad wurden zahlreiche Personen willkürlich festgenommen und inhaftiert. Für die Sicherheitskräfte, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, galt weiterhin Straffreiheit. Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen waren Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt. Amnesty International kommt im Jahresbericht 2010 zu dem Ergebnis, dass es gerechtfertigt sei, die am 28. September und unmittelbar danach verübten Straftaten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Außerdem befand die Kommission, dass es ausreichende Gründe gebe, für die Verbrechen einzelne Personen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Moussa Dadis Camara wurde bis heute nicht vor ein (internationales) Gericht gestellt und für seine Verbrechen bestraft. Nach einer Schussverletzung im Dezember 2009 ging er ins Exil in verschiedene afrikanische Länder, unter anderem Marokko, Burkina Faso und Mali.

Der Stellvertreter von Dadis Camara Sékouba Konaré übernahm 2010 die Amtsgeschäfte und bildete eine Übergangsregierung.

Guinea bis heute – mit dem Präsidenten Alpha Condé

2010 fand die erste freie Präsidentschaftswahl in der Geschichte Guineas statt. Nach einer ersten Runde wurde eine Stichwahl zwischen Cellou Dalein Diallo (Fulbe) und Alpha Condé (Malinké) statt. Alpha Condé stand in Opposition zu allen drei bisherigen Staatsoberhäuptern, er hat fast vierzig Jahre seines Lebens in Frankreich gelebt. Aus der Stichwahl ging Alpha Condé als Sieger hervor, die Diallo-Anhänger wollten das Wahlergebnis nicht akzeptieren. Der Wahlkampf wurde insbesondere von Alpha Condé mit ethnischen Argumenten – Fulbe gegen Malinké – geführt. Im Vorfeld zu den Parlamentswahlen im September 2013 kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen insbesondere zwischen den Malinké und den Fulbe, wobei es insbesondere bei den Fulbe Tote und Verletzte gab. Bei den Parlamentswahlen gewann die RPG von Alpha Condé die meisten Sitze, die Opposition um Cellou Dalein Diallo verlangte wie 2010 die Annullierung der Wahl, da er massive Manipulationen reklamierte.

Von einem friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in einem demokratischen System ist Guinea bis heute weit entfernt. Die Fulbe wurden aus verantwortungsvollen Positionen in Verwaltung und Regierung verdrängt. Im Oktober 2015 ging Alpha Condé erneut als Sieger aus den Präsidentschaftswahlen hervor – mit 58 Prozent der Stimmen. Die Opposition um Cellou Dalein Diallo stellte wieder Wahlmanipulationen und Unregelmäßigkeiten durch fehlende Wahlscheine und mangelnde Registrierung fest. Seine Klage vor dem Verfassungsgericht hat keinen Erfolg, am 1. November 2015 wurde das Wahlergebnis anerkannt.

Amnesty International stellte in seinem Jahresbericht 2018 fest: „Trotz seines Reichtums an Rohstoffen, wie z. B. Bauxit, lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Durch die extreme Armut werden die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte der Bevölkerung beschnitten. Zudem werden das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf Meinungsfreiheit stark eingeschränkt.“ (3)

Es kommt immer wieder zu Protesten gegen den schlechten Lebensstandard und zu ethnischen Spannungen, wobei das Militär und Anhänger der Regierungspartei willkürlich gegen Protestierende und insbesondere gegen Angehörige der Fulbe vorgingen. Insbesondere Jugendliche in Guinea leben in ständiger ökonomischer Not und ohne Perspektive auf ein zufriedenes und sicheres Leben. Ethnische Konflikte werden konstruiert, um Demokratisierungsprozesse in Guinea zu verhindern und Missstände wie Jugendarbeitslosikeit, mangelnde medizinische und soziale Versorgung  zu erklären.

Die Armut der Eltern zwingt Kinder und Jugendliche, Geld mit Gelegenheitsjobs zu verdienen. Mädchen verkaufen im dichten Straßenverkehr Zigaretten, Orangen und andere Waren, Jungen im Grundschulalter beliefern Eisenhändler mit Schrottteilen. An Kreuzungen werben junge Männer Kunden für Taxis an und verdienen dabei selten mehr als ein paar Cent pro Stunde. Viele von ihnen verbringen den Tag ohne nennenswerte produktive Aktivität in teils kriminellen Gangs. Die Mädchen bleiben oft zuhause, um ihren Familien zu helfen; viele prostituieren sich. Die Familiensolidarität in den Elternhäusern wird von Polygamie und Gewalt erschüttert. Zugleich wächst die Empörung über den korrupten Staat – während sich die älteren Generationen an der Spitze schamlos an diesem bereichern, gehen die jungen Leute leer aus. Viele, insbesondere junge Menschen verließen und verlassen frustriert ihr Heimatland und nehmen beschwerliche Wege auf sich, weil sie sich in Europa, das sie durch Internet und andere Medien kennen, ein besseres Leben versprechen. Die gefährlichen Reisen führen durch die Wüste über Marokko, Algerien, Libyen mit dem Ziel Europa.

„…dieser listige alte Kontinent, der die Jugend der armen Länder Afrikas und Asiens anzieht wie der Blütennektar der Bienen. In unseren afrikanischen Augen ist dieser Ort ein Paradies. Auch wenn das Leben dort nur ein kleines bisschen besser wäre als das miese Leben in unserem Land, reichte es schon, um jedem von uns die Kraft zu geben, sein Fleckchen Erde zu verlassen.“ (4)

Insbesondere in Deutschland sind in den letzten Jahren viele Menschen aus Guinea angekommen. Sie leben mit ungesichertem Aufenthaltsstatus in Lagern und Camps und mit der Angst vor Abschiebung in ein Land, wo sie politisch verfolgt werden. Die Geflüchteten aus Guinea sind traumatisiert durch neokoloniale Zustände in ihrem Land und durch gefährliche Reisen bei der Überwindung des europäischen Grenzregimes. Im deutschen Asylsystem erleben sie Ablehnung und alltäglichen Rassismus.

Es ist wichtig, über die reale politische Situation in Guinea Öffentlichkeit herzustellen und den Menschen eine Stimme zu geben, über ihre Erfahrungen als Zeitzeug_innen von Flucht und erzwungener Migration zu berichten. Und die Menschen aus Guinea werden sagen, dass zum Beispiel die wirtschaftlichen und politischen Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit der Republik Guinea einer kleinen Minderheit zugute kommen, die große Mehrheit der Bevölkerung bleibt arm, wird noch ärmer. Es bereichern sich die „Steinzeit-Politiker“ mit ihren Familien, Politiker, die sich durch Korruption und Unterdrückung seit Jahren an der Macht halten. Menschenrechtsverletzungen (willkürliche Verhaftungen, unfaire Gerichtsverfahren, Haftbedingungen) sind auch in Guinea nach wie vor aktuell, auch wenn die Regierung der Bundesrepublik Deutschland Guinea als relativ sicher einschätzt. Im Juni 2017 sicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen der Konferenz “G20-Afrika-Partnerschaft – in eine gemeinsame Zukunft investieren” Alpha Condé neue Pläne der Entwicklungshilfe zu. Die „Compact with Africa“-Initiative soll Verbesserungen der Rahmenbedingungen für deutsche private Investitionen herstellen, und es stellt sich die Frage, ob damit wirklich Wege aus der Armut für die Zivilbevölkerung geschaffen und Fluchtursachenbekämpfung ermöglicht werden. Auch mit Guinea ist die Bundesrepublik im Gespräch über Rücknahmeabkommen, damit Geflüchtete leichter in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können. Und die Unterstützung bei der militärischen Aufrüstung in afrikanischen Ländern und an den EU-Außengrenzen fördert noch mehr Abschottung. Diese Bollwerke führen nur dazu, dass sich die Flucht-Routen verschieben. Flüchtlinge wählen mühseligere und gefährlichere Wege. Schleuser nutzen die Not der Menschen vermehrt aus. Solange sich nichts wirklich an der aussichtslosen Situation in vielen Ländern Afrikas ändert – und dazu gehört ganz klar Guinea –, werden junge Menschen dort die Migration nach Europa als Lösung anstreben. Insbesondere die Mehrheit der Jugendlichen werden mit zu schwierigen sozioökonomischen Bedingungen konfrontiert, um irgendwann zu wirtschaftlich unabhängigen Erwachsenen zu werden.

Obwohl sich viele Jugendliche – unterstützt von ihren Familien – auf den gefährlichen Weg nach Europa machen, gibt es immer mehr Jugendliche, die trotz der problematischen Bedingungen bleiben wollen. Wahrscheinlich sind es auch Berichte von Freunden und in den Medien über die schwierigen Wege nach Europa, über das miese und unsichere Leben in langwierigen Asylverfahren gerade in Deutschland, die junge Menschen dazu bewegen, sich in ihren Herkunftsländer politisch zu engagieren und für Veränderung zu kämpfen. So hat sich auch in Conakry eine vereinte politische Protestkultur entwickelt, die auf die Missstände mit scharfer Kritik reagiert und sich selbstbewusst in den öffentlichen Diskurs einmischt. Im nationalen Fernsehen, das lange nur regimetreue Sendungen ausstrahlte, laufen heute Videos junger Rapper, die die politische Elite öffentlich für Korruption und ihren ethnostrategischen Wahlkampf kritisieren. Viele Guineer meinen inzwischen, die Jugend werde Korruption wie unter Conté künftig nicht akzeptieren. Der bekannte Musiker Takina Zion aus Guinea hat mit anderen Musikern die Bewegung Wankhei 2020 initiiert, die eine dritte Amtsperiode von Alpha Condé verhindern soll. Mit Reggae, Rap und Hiphop werden Jugendliche angesprochen, sich mit ihrer Geschichte und den Ideen des Panafrikanismus auseinanderzusetzen und sich auf die Politiker zu besinnen, die für die Unabhängigkeit Afrikas eingetreten sind: Thomas Sankara (1949-1987), Patrice Lumumba (1925-1961), Julius Nyerere (1922-1999), Nelson Mandela (1918-2013)… Und damit wollen sie konkrete Hoffnung auf ein anderes Afrika mit Regierungen ohne Korruption und Autoritarismus entwickeln. Hier bietet sich auch die Chance an, gemeinsame grenzüberschreitende Solidarität zu schaffen von denen, die gegangen sind, und von denen, die bleiben wollen. Das transnationale Netzwerk Afrique Europe Interact verfolgt in seiner Kurzpräsentation deshalb zwei Zielsetzungen: “Einerseits unterstützen wir Flüchtlinge und Migrant_innen in ihren Kämpfen um Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte – ob in den Ländern des Maghreb, auf dem Mittelmeer oder innerhalb der Festung Europa. Andererseits sind wir an sozialen Auseinandersetzungen um gerechte beziehungsweise selbstbestimmte Entwicklung beteiligt. Denn das Recht auf globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit ist nur die eine Seite der Medaille. Nicht minder wichtig ist das Recht zu bleiben, also die Möglichkeit, zu Hause beziehungsweise im Herkunftsland ein Leben unter sicheren, würdigen und selbstbestimmten Bedingungen führen zu können.“ (5)

In diesen Zeiten der Globalisierung ist es generell von Bedeutung, dass fortschrittliche Kräfte sich länderübergreifend einsetzen für soziale Gerechtigkeit, für politische, wirtschaftliche und soziale Menschenrechte, für Demokratie und ressourcenschonendes Produzieren und Konsumieren weltweit. Die Welt ist in Bewegung, und Bewegungsfreiheit und Migration sind Menschenrechte, deshalb gilt die Forderung „Für das Recht zu kommen, zu gehen und zu bleiben in solidarischen demokratischen Gesellschaftsstrukturen ohne jedwige Ausgrenzung“ natürlich für Menschen in allen Ländern dieser Welt und zum Ende dieses Artikels besonders für Menschen aus Guinea!

Autorin: Ulla Rothe (Bochum)
Headerbild: Copyright Julien Harneis, fisher women on river Niger in Guinea, CC BY-SA 2.0.jpg .
Kontakt: info@fritz-bauer-forum.de


 

Anmerkungen

(1) Ahmed Sékou Touré (o.J.), zitiert nach: van Dijk, Lutz. (2005). Die Geschichte Afrikas. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2005, S. 115.

(2) Sékou Touré 1958, zitiert nach https:// panafricain.tv „Apprendre“, November 2015 (zuletzt abgerufen am 4. September 2018).

(3) Zitiert nach „Länderinfo Guinea / Amnesty International / Regionalverbund Westafrika” Mai 2018 (zuletzt abgerufen am 4. September 2018).

(4) Rodrigue Péguy Takou Ndie, Die Suchenden, Unrast: Münster 2018, S. 36.

(5) Zitiert nach afrique-europe-interact „Kurzpräsentation unseres Netzwerks” (zuletzt abgerufen am 4. September 2018).

 

Quellen und Literatur

Die mir wichtgsten Quellen waren die Gespräche mit geflüchteten Migranten aus Guinea, mit denen mein Bericht mehrmals durchgesprochen wurde. Sie erzählten ihre Sichtweise über ihr Herkunftsland und dessen Geschichte. Kurze und längere Dokumente / Statements aus dem Internet ergänzten die authentischen Stimmen aus Guinea. Insbesondere möchte ich mich bei M. Bangoura bedanken, der immer wieder Kritik und neue Anmerkungen hatte.

 

Literatur

AfricAvenir International e.V., 50 Jahre afrikanische Un-Abhängigkeiten. Eine (selbst-) kritische Bilanz. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2012.

Dijk, Lutz van, Die Geschichte Afrikas. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2005.

Därr, Erika (Hrsg.), Westafrka, Band 2: Küstenländer. Reise Know-How: Bielefeld 2003.

Mendes, Pedro Rosa und Böwig, Wolf, Scharz. Licht, Passagen durch Westafrika. Brandes & Apsel: Frankfurt 2006.

Péguy, Rodrigue Takou Ndie, Die Suchenden. Unrast: Münster 2018.

Schich, Walter, Handbuch Afrika, Band 2: Westafrika und die Inseln im Atlantik. Brandes & Apsel: Frankfurt 200.

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