EXKLUSIV: Generalleutnant Pawel Sudoplatow verbreitete Falschinformationen über den Giftmord an Raoul Wallenberg

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07.07.2019

Raoul Wallenberg Forschungsinitiative RWI-70
Pressemitteilung

EXKLUSIV: Ein hoher Offizier der sowjetischen Staatssicherheit, Generalleutnant Pawel Sudoplatow, verbreitete Falschinformationen über den Giftmord an dem schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg

7. Juli 2019

– 1994 gab Pavel Sudoplatow gegenüber schwedischen Beamten zu, dass er die in seinen Memoiren Special Tasks enthaltenen Behauptungen über Raoul Wallenbergs angeblichen Tod durch Vergiftung 1947 vollständig auf Informationen stützte, die er aus russischen Medienberichten erhalten hatte.

– Entgegen den Behauptungen von Sudoplatow war er nicht nur ein externer Beobachter der Aktivitäten des sowjetischen Biochemikers Grigory Mairanowsky, Leiter des berüchtigten MGB-Toxikologischen Labors. In den Jahren 1942-1946 befand sich Mairanowskys Labor in der Terrordirektion Sudoplatows, und von 1946 bis 1950 vergiftete Mairanowsky eine Vielzahl von Opfern auf direkten Befehl von Sudoplatow. Sudoplatow kannte den vollständigen Hintergrund seiner und Mairanowskys Opfer, einschließlich ihrer Namen. Hätte Stalin also Mairanowsky den Befehl gegeben, Raoul Wallenberg zu töten, hätte Sudoplatow davon gewusst – er hätte nicht raten müssen.

– Bis 1989 wusste Sudoplatow anscheinend nichts über Raoul Wallenberg und kannte auch seinen Namen nicht. Raoul Wallenberg war daher nicht Teil dieser von Stalin angeordneten und 1947 von Sudoplatow und Mairanowsky durchgeführten Sondermorde.

– Diese Fakten waren einer gemeinsamen schwedisch-russischen Arbeitsgruppe bekannt, wurden aber in den beiden offiziellen Berichten der Gruppe aus dem Jahr 2000 nicht offengelegt.

– Sudoplatows Aussagen in seinen Memoiren von 1994 scheinen Teil absichtlicher russischer Desinformationsversuche gewesen zu sein, mit dem Ziel, die offizielle Wallenberg-Forschung zu diesem Zeitpunkt zu beenden.

– Die derzeitige Führung des Russischen Staatssicherheitsdienstes (FSB) und höchstwahrscheinlich auch das Büro der russischen Generalstaatsanwaltschaft, die im Jahr 2000 die Rehabilitierung von Raoul Wallenberg veranlasst hat, kennen sicherlich die volle Wahrheit über sein Schicksal.

– Die Ergebnisse werfen wichtige Fragen über die Motivation der russischen Verantwortlichen auf, die Wallenberg-Forschung so lange Zeit zu behindern. Zudem unterstreichen sie die Notwendigkeit für Forscher, für Raoul Wallenbergs Familie und insbesondere für die schwedische Regierung, die russischen Behörden darauf zu drängen, die wichtigen Dokumenten zugänglich zu machen, die derzeit noch in russischen Archiven verschlossen sind.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Susanne Berger
Koordinator
RWI-70
www.rwi-70.de
6045 25. Rd Nd N
Arlington, VA 22207 USA

E-Mail: susanne.berger@rwi-70.de
Phone: + 1 571 594 1701

Svenska Dagbladet / Schwedisches Tagblatt

Ein hoher Offizier der Sowjetischen Staatssicherheit, Generalleutnant Pawel Sudoplatow, verbreitete Falschinformationen über den angeblichen Tod durch Vergiftung des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg 

Säkerhetsrådet, 7. Juli 2019

Die aus schwedischen Regierungsarchiven stammenden Unterlagen zeigen, dass der ehemalige sowjetische Staatssicherheitsoffizier Generalleutnant Pavel Sudoplatow seine Behauptungen über den angeblichen Tod des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg durch Vergiftung im Jahr 1947 ausschließlich auf Informationen stützte, die er 1993 aus russischen Medienberichten erhalten hatte. Auch seine Verbindung mit Grigori Mairanowskys Toxikologischem Labor von 1938 bis 1946 und mit Mairanowsky persönlich bis 1950 wurde von Sudoplatow ernsthaft falsch dargestellt. Die gemeinsame schwedisch-russische Arbeitsgruppe, die das Schicksal Raoul Wallenbergs in den 1990er Jahren untersuchte, wusste von diesen Fakten, legte sie aber in zwei offiziellen Berichten aus dem Jahr 2000 nicht offen. Die Behauptungen von Sudoplatow scheinen Teil der bewussten russischen Desinformationsversuche zur Schließung des Wallenberg-Falls gewesen zu sein.

In seinen 1994 veröffentlichten Memoiren Special Tasks behauptete der Oberst der Sowjetischen Staatssicherheit, Pavel Sudoplatow, dass der 1945 in der Sowjetunion inhaftierte schwedische Diplomat Raoul Wallenberg 1947 höchstwahrscheinlich von dem sowjetischen Biochemiker Grigori Mairanowski in seinem berüchtigten toxikologischen MGB-Labor vergiftet wurde. 1944 ernannte die schwedische Regierung Wallenberg in ihrer Gesandtschaft in Budapest zum Sekretär, um das Leben Tausender ungarischer Juden vor nationalsozialistischer Verfolgung zu schützen. Im Januar 1945 wurde Wallenberg von der sowjetischen militärischen Spionageabwehr SMERSH in Budapest festgehalten und nach Moskau gebracht. Die nachfolgenden sowjetischen und russischen Regierungen behaupteten, er sei im Sommer 1947 gestorben oder hingerichtet worden, aber die vollen Umstände seines Schicksals wurden nie offengelegt.

Es wurde angenommen, dass Sudoplatow als Leiter des Terror- und Sabotagedienstes des Staatssicherheitsministeriums (MGB) besonderes Insiderwissen über die dunkelsten Geheimnisse des Kremls hatte. Die amerikanische Autorin und Journalistin Kati Marton fasste 1995 die vorherrschende Meinung zusammen: “Obwohl Fragen zu einigen Teilen von Sudoplatows Buch gestellt wurden, gibt es keinen Grund, beim Thema Wallenberg an ihm zu zweifeln.” Die aus schwedischen Archiven stammenden Unterlagen sowie zusätzliche Informationen aus mehreren russischen Quellen deuten jedoch nachdrücklich darauf hin, dass die Aussagen von Sudoplatow offenbar Teil bewusster russischer Desinformationsversuche waren, mit dem Ziel, die offizielle Wallenberg-Forschung in den 1990er Jahren zu beenden.

Sudoplatows Behauptungen über Raoul Wallenberg haben eine auffällige Ähnlichkeit mit der jüngeren Veröffentlichung eines Kapitels über den Fall Wallenberg, das 2016 in den Memoiren von Ivan Serov veröffentlicht wurde, dem ehemaligen Vorsitzenden des KGB. Anatoli Sudoplatow, der Sohn von Pavel Sudoplatow und Oberst der russischen Staatssicherheit, spielte eine zentrale Rolle bei der Aufnahme der fragwürdigen Informationen über Raoul Wallenberg in beide Memoiren. Dies bestärkt die Annahme, dass beide Veröffentlichungen Teil einer möglichen absichtlichen Anstrengung der russischen Behörden waren, die Wallenberg-Untersuchung zu beenden. Sudoplatows Buch wurde während der laufenden offiziellen Untersuchung der schwedisch-russischen Arbeitsgruppe (1991-2000) in Russland publiziert, während Serovs Erinnerungen kurz vor Einreichung einer Klage von Wallenbergs Nichte Marie von Dardel-Dupuy gegen das Zentralarchiv des Staatssicherheitsdienstes (FSB) im Jahr 2017 veröffentlicht wurde.

Als schwedische und russische Diplomaten Pavel Sudoplatow im Juni 1994 befragten, gab er freiwillig zu, dass er alle Informationen über den Fall Raoul Wallenberg vollständig aus russischen Medienquellen bezogen hatte. In einer schriftlichen Antwort erklärte Sudoplatow:

“In (…) Special Tasks: Notes of an UnwantedWitness, die ich mitverfasst habe, basieren alle Überlegungen zu Wallenbergs Schicksal auf der Interpretation von Materialien und Dokumenten, die in unserer [russischen] Presse veröffentlicht wurden.”

Dann fügte er hinzu:

“Die Version, dass Wallenberg in [Grigori] Mairanowskys Labor getötet wurde, wird im Buch nur als eine Hypothese dargestellt.”

Die Aussage von Sudoplatow befindet sich in der Unterlagensammlung der schwedisch-russischen Arbeitsgruppe, wurde der Öffentlichkeit aber nie zugänglich gemacht.

Noch wichtiger ist, dass Sudoplatow in seinen Memoiren seine persönliche und berufliche Verbindung zu Mairanowsky ernsthaft falsch darstellte. Entgegen den Behauptungen von Sudoplatow war er nicht nur ein externer Beobachter der Aktivitäten von Mairanowsky, sondern überwachte dessen Arbeit direkt. Nach russischen Dokumenten kannte Sudoplatow die Namen und den Hintergrund der 1946-1950 getöteten Opfer von Mairanowsky. Wenn Stalin und die sowjetische Führung Mairanowsky befohlen hätten, Wallenberg zu vergiften, hätte Sudoplatow von diesem Befehl gewusst und müsste nicht spekulieren müssen. Tatsächlich leitete Mairanowsky seit Mitte 1946 das Toxikologische Labor nicht mehr. Er hätte Wallenberg deshalb dort nicht töten können. Es scheint, dass Sudoplatow nicht einmal den Namen Wallenbergs kannte, bis er 1989 vom russischen Journalisten Vladimir Abarinov zu diesem Fall befragt wurde. “‘Und wer ist dieser Mann [Wallenberg],’ – fragte SudoplatowAbarinov, als dieser ihn [wegen des Falls Wallenberg] anrief  – ‘Ich höre den Namen zum ersten Mal in meinem Leben’.”

Außerdem interviewte Jewgeni Pitovranov, ehemaliger Leiter der internen Spionageabwehr des MGB von 1946 bis 1951, Sudoplatow persönlich, nachdem dessen Memoiren veröffentlicht worden waren. Obwohl das Transkript geheim bleibt, stellt der Bericht der russischen Arbeitsgruppe fest: “Es wurden keine Informationen über R. Wallenberg in der Akte von [Sudoplatow] und während des Interviews von [Pitovranov] gefunden.” All dies bedeutet, dass sowohl schwedische als auch russische Beamte sich Ende 1994 bewusst waren, dass Sudoplatow nichts über Wallenberg wusste. Sie entschieden sich auch, nicht auf Sudoplatows offensichtliche Falschdarstellung seiner direkten Interaktionen mit Mairanowsky einzugehen. In diesem Sinne sind beide Berichte irreführend. In dem schwedischen Bericht wurde nicht einmal erwähnt, dass schwedische Beamte Sudoplatow 1994 separat befragt hatten und welche Klarstellungen er gegeben hatte.

Der Fall Wallenberg ist nicht die einzige unzutreffende Behauptung über angebliche Vergiftungen in Sudoplatows Erinnerungen. Er erklärt, dass der berühmte jüdische Schauspieler Solomon Mikhoels und ein Geheimagent des MGB namens Wladimir Golubow-Potapow im Januar 1948 “mit einer Giftnadel gestochen” wurden. Aus der kürzlich veröffentlichten Dokumentation ist jedoch bekannt, dass diese beiden Opfer auf Befehl Stalins ermordet wurden, ohne dass Gift benutzt wurde.

Es ist möglich, dass Sudoplatows “Hypothese” über Wallenbergs angebliche Vergiftung durch Mairanowsky in erster Linie dazu gedacht war, indirekt die offizielle Version der sowjetischen Regierung vom Tod Wallenbergs in seiner Gefängniszelle am 17. Juli 1947 zu bestätigen, angeblich durch einen Herzinfarkt. Anscheinend hat der Wunsch, an der offiziellen sowjetischen Version von Wallenbergs Tod festzuhalten, auch die Entscheidung sowjetischer und später russischer Beamter geleitet, jahrzehntelang Informationen über einen unbekannten Häftling Nr. 7 zurückzuhalten, der am 23. Juli 1947 zusammen mit dem Fahrer von Wallenberg, dem ungarischen Staatsbürger Vilmos Langfelder, über 16 Stunden lang verhört wurde. Erst 2009 haben uns FSB-Archivare mitgeteilt, dass Häftling Nr. 7 “mit großer Wahrscheinlichkeit Raoul Wallenberg” war. Wenn das stimmt, würde es bedeuten, dass Wallenberg mindestens sechs Tage nach seinem offiziellen Todesdatum vom 17. Juli 1947 am Leben war.

Zusammen mit diesen und anderen relevanten Fakten werfen die Lügen von Sudoplatow eine entscheidende Frage nach den möglichen Motivationen der russischen Behörden für die hochselektive Freigabe von Informationen im Fall Wallenberg auf: Warum ist es, auch heute noch, für die russischen Behörden so wichtig, an der offiziellen Version vom Tod Raoul Wallenbergs in sowjetischer Gefangenschaft festzuhalten? Diese Haltung erscheint umso verblüffender, als es derzeit keine gesicherten Hinweise auf ein längeres Überleben Wallenbergs im sowjetischen Gefängnissystem gibt.

Die offizielle sowjetische Version von Wallenbergs Herzinfarkt während der Befragung sieht sehr verdächtig aus. Normalerweise war dies die Diagnose, die von Gefängnisärzten in den Fällen gestellt wurde, in denen Untersuchungshäftlinge an den Folgen von Folter und/oder Erschöpfung starben. Ebenfalls wurde Herzattacke (Infarkt) in den späten 1950er Jahren in den Todesurkunden politischer Gefangener vermerkt, die zu Stalins Zeiten zum Tode verurteilt oder erschossen wurden. All dies deutet von daher auf die Möglichkeit hin, dass die Versuche, die Umstände von Wallenbergs Tod zu verschleiern, darauf abzielen zu verbergen, wie und wann er gestorben ist.

Die derzeitige FSB-Führung und höchstwahrscheinlich die russische Generalstaatsanwaltschaft, die Raoul Wallenbergs Rehabilitierung im Jahr 2000 herausgegeben hat, kennen die volle Wahrheit. Mehrere hochrangige Beamte der Sicherheitsdienste Stalins lebten bis weit in die frühen 2000er Jahre. Der ehemalige erste stellvertretende Vorsitzende des KGB, Armeegeneral Filipp Bobkov, starb erst letzten Monat im Alter von 93 Jahren. Anscheinend war Bobkov verantwortlich, als der KGB 1989-1991 einige von Wallenbergs persönlichen Besitztümern, die im KGB-Zentralarchiv “zufällig entdeckt” wurden, an Nina Lagergren und Professor Guy von Dardel, Wallenbergs Halbschwester und Halbbruder, zurückgaben.

Forscher, Raoul Wallenbergs Familie und vor allem die schwedische Regierung müssen nun dringend Druck auf das FSB und die russische Regierung ausüben, wichtige Informationen über Wallenbergs Schicksal zu veröffentlichen, die noch geheim sind und viel zu lange verheimlicht wurden.

Dr. Vadim Birstein, Biologe und Historiker, war 1990/91 Mitglied der ersten Internationalen Raoul Wallenberg Kommission unter Leitung von Prof. Guy von Dardel, dem Halbbruder von Wallenberg. Er hat zahlreiche Artikel über den Fall Wallenberg veröffentlicht und ist Autor des Buches The Perversion of Knowledge: The True HistoryofSoviet Science (2001) und des mehrfach ausgezeichneten Buches SMERSH, Stalin’s Secret Weapon: Soviet Military Counterintelligence in WWII (2012), das in mehrere Sprachen übersetzt wurde.

Susanne Berger ist Historikerin. Von 1995-2000 war sie als unabhängige Beraterin für die schwedisch-russische Arbeitsgruppe tätig, die das Schicksal des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg in Russland untersuchte. Sie ist Gründerin und Koordinatorin der Raoul Wallenberg Forschungsinitiative (RWI-70).

Kontakt: info@fritz-bauer-blog.de
Foto: Pavel Sudoplatow ©By Mil.ru, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=65984845; Raoul Wallenberg ©Raoul Wallenberg Research Initiative RWI-70

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