Mahdi Ahmadi – Überlebender des Krieges in Afghanistan

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30.12.2019

Mahdi Ahmadi
“Solange du lebst, musst du etwas tun”

Das Interview wurde am 11. November 2017 in Feldafing von Walter Föhr und Dr. Irmtrud Wojak geführt.

Mahdi Ahmadi ist ein mutiger junger Mann. Die Taliban haben kürzlich die Mobilfunkantennen in seiner Provinz zerstört und er kann seine Familie nicht mehr erreichen. Er weiß aus der Vergangenheit, dass diesen Zerstörungen Überfälle und Gewaltdelikte folgen und hat Angst um seine Angehörigen.

Er ist sehr unter Druck, was seine Ausbildung angeht und hat auch gesundheitliche Probleme. Die Ungewissheit seiner Bleibeperspektive setzt ihm zu. Da das BAMF seinen Asylantrag ablehnte, hat Mahdi im Januar 2017 Klage gegen diesen Entscheid vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Seine große Angst besteht darin, wieder zurück nach Afghanistan zu müssen, wo bereits zwei seiner Brüder den Taliban zum Opfer fielen und er nach einer Todesdrohung nur knapp mit dem Leben davonkam.

Mahdi Ahmadi ist heute 26 Jahre alt und kommt aus einem kleinen Dorf der Provinz Maidan (Wardak) in Zentralafghanistan. Er ging dort und später in Kabul zur Schule, lernte Englisch, studierte in Kabul Pharmazie, gab Englischunterricht und arbeitete für kurze Zeit als Apotheker. Bereits dort, in der Hauptstadt Kabul, muss er jeden Tag um sein Leben fürchten, kann nie sicher sein, am Abend wieder lebendig nach Hause zu kommen. In der Zeit seines Studiums werden zwei seiner Brüder von den Taliban, die in der Region stark sind, getötet. Die Familie, die ihn schützen und nicht noch mehr belasten will, erzählt Mahdi aber erst später davon, als er sein Studium beendet hat.

Mahdis Ziel war es, in seinem Dorf eine Apotheke zu eröffnen, um die gesundheitliche Versorgung in der abgelegenen Region zu verbessern und seinen Leuten zu helfen. Er gehört zur verfolgten Volksgruppe der Hazara, die persisch spricht und, anders als die Mehrheit der Sunniten, dem schiitischen Islam angehört. Viele von ihnen flohen schon vor dem Völkermord von Abdur Rahman Khan in den 1890er Jahren nach Pakistan. Während des afghanischen Bürgerkriegs verübten die Taliban gezielte Massaker an der Hazara-Bevölkerung in Kabul, zu den schlimmsten Massakern kam es 1997 bei der Rückeroberung Mazār-i-Scharifs und 2001 in Hazaradschat, der Region, in der Mahdis Familie lebt. Mahdi wurde in der Studienzeit Mitglied einer Partei, die sich gegen die Taliban und für den Bildungszugang von Frauen in Afghanistan einsetzt. Von seinen sechs Schwestern haben drei geheiratet, drei haben studiert.

Bei einer Busreise von seinem Heimatdorf nach Kabul, wo er Medikamente besorgt hatte, wurde Mahdi Ahmadi von den Taliban gefangen genommen. Sein Onkel versicherte den Taliban glaubhaft, dass er, trotz seiner Englischdiplome, nicht mit den Amerikanern zusammenarbeitet. Vor allem aber zahlte er Geld, sodass Mahdi frei kam. Die Taliban warnten ihn indessen, sollten sie ihn nochmals erwischen, würden sie ihn umbringen.

Mahdis Eltern wollten nicht noch einen Sohn verlieren

Mit einer eigenen Apotheke, das war klar, musste Mahdi einmal pro Woche nach Kabul fahren, denn er würde die Medikamente holen und entsprechend verpackt holen müssen. Das jedoch war nach der Erfahrung seiner Gefangennahme ein Ding der Unmöglichkeit geworden. So konnte daraus nur die Entscheidung resultieren, dass er Afghanistan würde verlassen müssen. Mahdis Eltern unterstützten, ja bestärkten ihn auch in dieser Entscheidung, denn sie wollten nicht noch einen dritten Sohn verlieren.

In drei Wochen war Mahdis Reise organisiert, das genaue Ziel unbekannt. Sein Bruder tauschte in Kabul afghanisches Geld in Dollar und engagierte einen Schlepper. Über Pakistan, den Iran, die Türkei und Griechenland kam Mahdi innerhalb von drei Monaten über die so genannte Balkanroute 2015 in Deutschland an. Die schlimmsten Stationen seiner Flucht vor den Taliban waren Pakistan und der Iran. Die Flüchtlinge waren dort viel zu Fuß unterwegs, oft zwei bis drei Tage Fußmarsch, hatten Hunger und Durst, und sie waren in ständiger Angst vor der Polizei, die sie zurückschicken würde und bei deren Auftauchen sich die Schlepper als erste aus dem Staub machten. Einige Mitflüchtende starben vor Mahdis Augen. Die Schlepper verdienten an Mahdi für die Reise von Afghanistan bis Griechenland fast 4.000 Dollar.

In Deutschland kam Mahdi Ahmadi nach einer Woche von München nach Miesbach, wo er anderthalb Monate blieb, bevor er nach Feldafing am Starnberger See gebracht wurde. Heute lebt er in Pöcking.

In Deutschland gingen Mahdi Ahmadis Papiere verloren

Nach drei Monaten wurde Mahdi zur Anhörung ins Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bestellt. Hier forderte man ihn auf, seine Identität nachzuweisen. Da er alle seine Zeugnisse und seine Tazkira im Original in seinem Dorf gelassen hatte, bat er seinen Bruder, ihm diese Unterlagen zuzuschicken.  Sein Bruder hat die Dokumente auch dort abgeschickt, der Einlieferungsbeleg der Post liegt vor. Und vom BAMF bekam Mahdi die Auskunft, dass Tazkira und Zeugnisse eingetroffen sind und ans zuständige Landratsamt weitergeleitet wurden. Dort sind sie jedoch nie angekommen. Mahdi Ahmadis Tazkira und Zeugnisse sind also in Deutschland verloren gegangen.

Nach sechs Monaten hatte Mahdi ein weiteres, ähnliches „Interview“ im BAMF. Dort bestätigte man ihm, dass die Zeugnisse nicht verloren seien. Auch bei seiner letzten Anhörung beim BAMF im Oktober 2016 bestätigte man ihm, dass seine Originalpapiere vorlägen. Im November 2017 wartet Mahdi jedoch schon seit anderthalb Jahren, die Zeugnisse wurden ihm nicht zurückgegeben. Ein unglaublicher fahrlässiger Vorgang. Zumal Mahdi zwei Monate nach der letzten Anhörung eine Ablehnung seines Asylantrags zugestellt wird, man hielt seine Geschichte für unglaubwürdig.

Hier stellt sich die immer gleiche Frage, warum ein junger Mann wie Mahdi, dem es in seiner Heimat wirtschaftlich zumindest an nichts fehlte, diese Heimat und vor allem seine Familie und Freunde verlassen haben sollte, um in Deutschland bei Null oder darunter anzufangen, wenn er dafür nicht triftige Gründe gehabt hätte? Wer flieht von Zuhause ohne die größte Not?

Würde Mahdi Ahmadi jetzt abgeschoben, bestünde akute Lebensgefahr

In den zwei Jahren seit seiner Ankunft in Deutschland hat Mahdi gut Deutsch gelernt, vor kurzem das B1-Zertifikat des Goethe-Instituts erworben. Er ist froh, hier in Sicherheit zu sein und fühlt sich von vielen Menschen gut unterstützt. Die Deutschen empfindet er als freundlich und hilfsbereit. Er wird als Mensch gesehen, nicht als Mitglied einer religiösen oder ethnischen Gruppe. Dem Staat will er nicht auf der Tasche liegen, sondern arbeiten und Geld verdienen.

In einer Firma machte er bereits ein Praktikum, dann eine Einstiegsqualifizierung und im September 2017 hat er eine Ausbildung als Chemielaborant bei Roche begonnen. Wenn Mahdi seinen Ablehnungsbescheid liest, dann stellt er fest, dass Vieles nicht mit den Angaben übereinstimmt, die er bei der Anhörung gemacht hat. Natürlich macht er sich Sorgen um seine Familie Zuhause in Afghanistan. Es kann jederzeit zu einer Explosion oder einem Überfall durch die Taliban kommen. Hierzulande erfahren wir, wenn überhaupt, von den großen Explosionen mit um die Hundert Todesopfern, die alltäglichen kleineren Anschläge werden bei uns nicht bekannt. Afghanistan soll ein sicheres Land sein, heißt es immer wieder. Von dem Unrecht und den Taliban spricht man lieber nicht, wenn es um die Not der Einzelnen geht.

Ein oder zweimal im Monat telefonierte Mahdi bisher mit seiner Familie – die Verbindung ist jetzt gekappt. Natürlich hat er Heimweh. Sollte Mahdi nach einer möglichen Abschiebung, von Deutschland kommend, aus dem Flughafen von Kabul treten, bestünde für ihn akute Lebensgefahr. (1) Immer wieder träumt er von dieser Situation, die Angst vor der Abschiebung ist in jedem Moment präsent, manchmal fällt es ihm deshalb sehr schwer, sich zu konzentrieren. Er ist aber in seiner Ausbildung nicht schlechter, als seine deutschsprachigen Mitschüler.

Sein dringlichster Wunsch ist es, in Deutschland bleiben zu können, dass Deutschland seine zweite Heimat wird, dass er hier sicher leben kann, alle anderen Probleme lassen sich lösen. In Afghanistan, so viel steht fest, gibt es keine sicheren Orte, die Taliban sind überall, auch in der Regierung. Mahdi hat sich daran gewöhnt, mit der Angst zu leben. Woher nimmt er die Kraft, unter einem solch existentiellen Druck zu lernen und weiter zu machen? „Solange du lebst, musst du etwas tun,“ sagt Mahdi.

Anmerkungen

(1) Bericht zur Situation in Afghanistan

Interview: Walter Föhr (Ehrenamtlicher Betreuer für die Flüchtlingshilfe Feldafing), Christoph Spanke (Rechtsanwalt), Dr. Christian Ritz (Historiker, ehemaliger Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge), PD Dr. Irmtrud Wojak (Historikerin).

 

Interview mit Mahdi Ahmadi

“Wenn sie mich wieder erwischen, bringen sie mich um”

Feldafing, 2017

MA: Ich bin in Afghanistan in die Schule gegangen, und anschließend habe ich zwei Jahre studiert. Ich habe Pharmazie studiert, und als ich mein Studium abgeschlossen hatte und mein Zeugnis in Händen hielt, kam ich auf die Idee, in dem Dorf in dem meine Familie wohnt, eine Apotheke zu eröffnen. Damit ich den Leuten, die dort leben, helfen kann. Das ist ein Dorf, in dem es nicht so viele Gesundheitsmöglichkeiten gibt. Ich wollte einfach helfen, den Leuten ihre Gesundheit zu sichern. Dann habe ich mich entschieden, dass ich die Medikamente in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, kaufe, und in meinem Dorf an die Menschen verkaufe, die krank sind.

Frage: Kannst Du sagen wie das Dorf heißt?

MA: (…) es ist ein kleines Dorf.

Frage:  Wie viele Kilometer sind das bis Kabul?

MA: Kilometer, ganz genau weiß ich das nicht, wenn man mit dem Auto fährt, die Straße ist teilweise asphaltiert, teilweise nicht. Man fährt zwei bis drei Stunden von Kabul bis zu meinem Dorf.

Frage: Was ich nicht verstehe, Du hast gesagt, dass Du immer zwischen Deinem Dorf und Kabul hin und her fahren musstest, um Medikamente  zu  besorgen. Warum kann man die nicht schicken lassen?

Mein Leben war in Gefahr

MA: Ja, in Afghanistan ist es so, dort gibt es nicht so ein genaues System wie hier in Deutschland. Darum muss man immer selbst die Medikamente kaufen und dann selbst mitbringen. Wenn ich zum Beispiel in Kabul Medikamente kaufen möchte, dann muss ich meine Zeugnisse vorlegen, und wenn ich meine Zeugnisse vorlege, dann muss ich selbst auch dabei sein. Es kann zum Beispiel weder mein Bruder, noch jemand anderes mit meinem Zeugnis Medikamente kaufen. Das darf man nicht. Und schicken per Post, so einen Lieferdienst haben wir nicht. Da gibt es keine Möglichkeit. Einmal war ich unterwegs zwischen Kabul und Maidan (persischer Name der Region Wardak in Zentralafghanistan, Anm. der Red.), ich musste ein Mal in der Woche nach Kabul fahren, um Medikamente zu kaufen. Der Weg zwischen Kabul und Maidan, wo ich wohne, ist immer gefährlich. Die Taliban sind immer unterwegs. Sie greifen die Leute an und bringen sie um. Meistens bringen sie die Leute um, weil sie nichts von ihnen bekommen. Erst mal holen sie die Leute aus dem Auto oder dem Bus und versuchen Geld zu bekommen. Um ihre Möglichkeiten zu verbessern. Sie können dann Waffen kaufen. Aber wenn sie von den Leuten kein Geld bekommen, dann bringen sie die Leute einfach um. Die sind da so stark da, dass die Regierung auch nichts machen kann, gegen die Taliban.

Als sie mich erwischt haben, ich hatte alle meine Zeugnisse dabei, ich hatte meine Englisch-Zeugnisse dabei, meine Studiums-Zeugnisse und mein Partei-Zertifikat weil ich in Kabul eine Parteiveranstaltung besucht hatte. Sie haben alles rausgebracht, und haben dann gefragt, ob ich den Amerikanern helfe. Dann habe ich gesagt: „Nein, ich habe Englisch gelernt, um eine neue Sprache zu lernen und weil alle Medikamente auf Englisch sind.“ Das haben die aber nicht akzeptiert, und haben gesagt, „Nein, Du hilfst Amerika damit.“

Ich hatte auch ein Zertifikat von einem amerikanischen Institut, da hatte ich eine Woche ein Seminar. Und dieses Zertifikat hatte ich auch dabei, und da haben sie gesagt: „Du hilfst den Amerikanern, und bist gegen den Islam, Du bist kein Moslem. Wir bringen dich jetzt um.“

Und dann konnte ich nichts machen. Niemand konnte etwas machen. Da war der Mann von meiner Tante dabei, er hatte vorher irgendwie mit den Taliban Kontakt gehabt, und er hat dann aber gesagt: „Mahdi macht nichts für Amerikaner, das ist nur ein Zertifikat. Er hat studiert.“ Danach hat er ihnen Geld gegeben.

Frage: Hast Du das gesehen?

MA: Das habe ich nicht gesehen, nein. Eine Person, von diesen Taliban, die hoch gestellt ist, so wie ein General, ist mit dem Mann von meiner Tante 20 – 30 Meter weggegangen. Dass er ihnen Geld gegeben hat, habe ich erst später erfahren, da war ich schon in Deutschland und habe meinen Vater danach gefragt.

Dann haben die Taliban gesagt, wenn sie mich wieder erwischen, dann bringen sie mich um.

Danach habe ich mir gedacht, wenn ich eine Apotheke in meinem Dorf öffnen will, muss ich jede Woche einmal nach Kabul. Wir haben in Afghanistan nicht so viele Möglichkeiten wie hier in Deutschland. Wir können die Medikamente nicht versenden, die brauchen eine bestimmte Temperatur, ein gewisses Umfeld. Diese Möglichkeiten hatte ich in diesem Dorf nicht. Ich musste die Medikamente neu kaufen, und dann konnte ich nicht viel kaufen. Vielleicht für zwei oder drei Monate. Und deshalb, weil ich diese Möglichkeiten hatte ich nicht, deshalb musste ich immer neu kaufen und musst immer von Maidan nach Kabul fahren. Dann hab ich mir aber gedacht, kann ich nicht, weil, wenn sie mich wieder erwischen, dann bringen sie mich um. Und dann hab ich mich entschieden, dass ich dieses Land verlassen muss. Und das hab ich jetzt gemacht und ich hab zwei bis drei Wochen Zeit gehabt, die Reise nach Deutschland zu organisieren.

Frage: Zwischen dieser Morddrohung und Deiner Abreise, wie viel Zeit lag da dazwischen?

MA: Zwei bis drei Wochen. Diese Zeit hab ich gehabt, um meine Reise zu organisieren, ein bisschen Geld vorzubereiten, dass ich aus Afghanistan wegkommen kann.

Und eine andere, ganz schlimme Situation, eine schlimme Sache für mich ist, die allgemeine Situation kennen alle, aber was mit meiner Familie passiert ist, dass kann in Deutschland niemand aushalten. So ein schlimmes Erlebnis. Aber ich hab es ausgehalten. Ich bin nicht hier wegen Geld. Ich bin nicht hier wegen guter finanzieller Gründe. Ich habe zwei meiner Brüder verloren, aber ich wusste es am Anfang nicht. Ich hab es erst später erfahren. Als ich meine Schule in Kabul gemacht habe, mein Studium. Also ich war in Kabul und meine Familie war im Dorf. In dieser Zeit habe ich zwei meiner Brüder verloren. Die Taliban haben sie getötet. Aber ich wusste es nicht. Meine Familie hat es mir nie gesagt. Weil ich mich danach nicht mehr hätte konzentrieren können und nicht mehr hätte richtig lernen können.

Einer meiner Brüder war auch unterwegs und verschwand.

Frage: Also Du weißt nicht, ob er tot ist oder noch lebt?

MA: Nein, von einem Bruder weiß ich es nicht, und meine Familie auch nicht. Aber wir sind sicher, dass er nicht mehr lebt. Weil er schon seit vielen Jahren verschwunden ist. Und wenn er leben würde, hätte man irgendwas von ihm erfahren.

Frage: Weißt Du irgendwas über den Hergang? War er auf der Straße unterwegs mit dem Bus?

MA: Ja, das ist klar, dass wir immer mit dem Bus diese Straße fahren. Nach Kabul. Eine andere schlimme Gruppe, die es in unserer Stadt gibt, kam jedes Jahr  und tötete die Leute und verbrannte die Häuser. Die Leute sind wie Tiere für sie. Mein Bruder und seine Familie, alle wurden von dieser Gruppe  getötet. Und sein Haus wurde verbrannt.

Frage: Haben diese Leute  etwas mit den Taliban zu tun oder sind oder ist das einen ganz andere Gruppe?

MA: Öffentlich sagen sie nicht, dass sie Taliban sind, aber eigentlich ja. Sie töten die Leute, verbrennen deren Häuser und das passiert jedes Jahr. Und dann habe ich mich entschieden, dass ich hier nicht leben kann. Wenn ich nicht hier leben kann, warum soll ich hier bleiben? Dann bin ich nach Deutschland gereist. Also am Anfang wusste ich nicht, wohin soll ich fahren? Ich habe mir gedacht, weg von diesem Afghanistan. Dann bin ich nach Pakistan, Iran, Türkei und dann nach Griechenland, Österreich und schließlich Deutschland. Diese Reise hat fast drei Monate gedauert. Und am schlimmsten war es in Pakistan und im Iran.

Frage: Was war da so schlimm?

MA: Im Iran war es so schlimm, weil, wenn die Polizei vom Iran dich erwischt, dann schicken die dich wieder zurück. Wir waren immer zu Fuß unterwegs. In der Nacht haben wir auf dem Berg geschlafen, das war ganz schlimm. Wir hatten Durst, wir hatten Hunger und (-) Leute sind unterwegs gestorben. Das ist nicht einfach. Man muss zwei, drei Tage und Nächte zu Fuß gehen, einfach gehen. Ohne etwas zu trinken zu bekommen oder was zu essen. Und dann, als ich in Griechenland war, dann war es besser. Und damals war die Grenze offen, drum sind wir einfach nach Deutschland gekommen.

Frage: Mahdi, jetzt hab ich noch eine Frage zu Deiner Flucht. Das geht ja nur, wenn man einen Schlepper hat, hattest Du auch einen solchen Schlepper?

MA: Natürlich, ich wüsste den Weg sonst ja nicht. Den Schlepper hatten wir von Pakistan bis in die Türkei. Und danach hat uns die Polizei den Weg gezeigt. Von Griechenland bis hierher.

Frage: Woher hattest Du das Geld? Wieviel hat das gekostet?

MA: Das hat bis Griechenland fast 4000 Dollar gekostet. Aber das Geld hatte ich. Ich habe es mir selbst durch arbeiten verdient.

Frage: Das heißt, wenn ich das richtig verstanden habe, hast Du in Afghanistan ein ganz gutes Leben geführt, ich mein, Du hattest Geld.

MA: Ja, in Afghanistan, ich hab ja am Anfang gesagt, dass ich keine finanziellen Probleme hatte. Und aus diesem Grund bin ich auch nicht da! Nur, weil mein Leben in Gefahr war. Ich konnte nicht dort leben. Deshalb bin ich da. Meine Familie hat auch gesagt, mein Vater, meine Mutter: „Dass wir zwei Deiner Brüder verloren haben, das wollen wir nicht mehr, wir wollen nicht noch einen Sohn verlieren. Deswegen sollst Du gehen. Du kannst hier nicht leben.“ Ich habe gefragt: „Was passiert mit Euch?“ Sie haben gesagt: „Wir haben unser Leben gelebt. Du musst gehen. Du bist jetzt bedroht. Wir möchten nicht, dass Du auch getötet wirst.“

Frage: Ich hätte da auch noch eine Frage, es ist ja so, Deine Eltern waren keine Akademiker, und sie haben ja auch nicht an Universitäten studiert, auf Englisch, und damit auch keinen Berührung zum Westen gehabt.

MA: Nein.

Frage: Das denke ich, ist ja auch ein wesentlicher Grund, warum die Taliban Dich aufs Korn genommen haben. Aber ich denke auch noch an andere, Du gehörst ja auch zu einer ethnischen Minderheit in Afghanistan, zur Volksgruppe der Hazarah.

MA: Das stimmt ja.

Frage: Die doch eine andere Form des Islam lebt, in der religiösen Praxis, als die Taliban. Die Hazarah sind eigentlich von allen anderen Volksgruppen in Afghanistan verfolgt. Das heißt, sie stellen ja auch einen Großteil der intellektuellen Schicht in Afghanistan dar. Und Du hast ja während Deiner Studienzeit Dich auch politisch in Kabul betätigt. Also es ist ja auch die Verbindung, politische Betätigung, ethnische Minderheit und dann auch noch im westlichen Sinne eine akademische Ausbildung, die Dich besonders gefährdet hat. Konnte Deine Familie in gewisser Weise nicht damit leben, dass Du gefährdet bist? Würdest Du sagen, dass das wichtige Punkte dabei sind?

MA: Ja. Das stimmt. Meine Familie im Dorf hat keine akademische Ausbildung oder englische Zeugnisse. Deswegen haben die Taliban mich bedroht. Nur, weil ich Englisch kann, meinten sie ich helfe den Amerikanern.

Frage: Warst Du denn in einer politischen Partei aktiv?

MA: Ja, das hab ich mir ja auch gedacht, dass wenn ich in meinem Dorf oder einer Stadt leben kann, kann ich, in Kabul wahrscheinlich, da war ich in einer Partei, die heißt  Kar wa Tawsia , die machen was gegen die Taliban. Die helfen den Frauen etwas zu lernen. Das Ziel dieser Partei ist, den bedrohten Gruppen einer Gesellschaft zu helfen. Gegen die Taliban. Die Taliban wollen nicht, dass Frauen etwas lernen. Die verbrennen Schulen. Diese Partei wollte immer gegen die Taliban kämpfen.

Frage: Was hast Du gemacht in dieser Partei?

MA: Ich war in dieser Partei als Sprecher. Nicht für die ganze Partei, in einer kleinen Gruppe von dieser Partei. Ich war zwei Jahre als Sprecher aktiv, danach als normales Mitglied weil ich die Zeit für mein Studium brauchte. Ein- bis zweimal im Monat habe ich Parteiveranstaltungen besucht.

Frage: Das war den Taliban auch bekannt?

MA: Dieses Zeugnis hatte ich damals dabei, als mich die Taliban erwischt haben.

Frage: Ich meine nicht die Ausbildung, sondern die politische Tätigkeit.

MA: Da gibt’s ein Zertifikat von dieser Partei, das habe ich jetzt als Foto auch dabei. In diesem Zertifikat steht, dass ich zwei Jahre in dieser Partei aktiv war.

Frage: Das war den Taliban bekannt?

MA: Dieses Zeugnis war auch bei mir. Ja. Dann haben sie gesagt: „Du machst immer was gegen uns!“. Sie glauben, dass sie Muslime sind. Wenn man englisch lernt oder in einer Partei ist, die gegen die arbeitet, dann glauben die, die vernichten sie.

Frage: Die Partei, arbeitet die öffentlich, oder arbeitet die versteckt im Untergrund?

MA: Sie arbeiten öffentlich.

Frage: Ist diese Partei im Parlament vertreten?

MA: Im Parlament? Bin ich mir nicht sicher, aber ich glaube schon, ja. 2016 hat ein Attentat gegen diese Partei stattgefunden. In Kabul, der Hauptstadt. Und Mitglieder dieser Partei, ungefähr achtzig Leute, hauptsächlich Hassarah, wurden getötet. Und der Führer dieser Partei wurde auch verletzt. Die waren auch in Deutschland, die Führer von dieser Partei. Ein, zwei Mal waren die in Deutschland. Der heißt Zulfiqar Omid, wahrscheinlich kennt den in Deutschland sogar wer. Und dann, als ich in Deutschland war, nach zwei, drei Monaten, habe ich ein Interview gehabt beim BAMF. Ich weiß nicht, ich hatte zwei ähnliche Interviews. Im ersten Interview wurde ich gefragt, wie ich hier angekommen bin und wie meine Reise war. Und dann habe ich alles erzählt, und dann haben sie mich gefragt: „Hast Du irgendwas, das Deine Identität beweist?“ Und ich hab gesagt: „Ja, ich habe Tazkira, wie das bei uns heißt, sowas wie ein Personalausweis, und meine Zeugnisse von der Schule und vom Studium, hab’ ich alles.“ Und dann haben die gefragt: „Wo hast Du?“ „In Afghanistan.“ Und dann haben sie gesagt: „Schick das alles nach Deutschland zu uns.“ Und ich hab alles geschickt.

Meine Zeugnisse sind in Deutschland verloren gegangen

Frage: Hast Du das geschickt? Das kann ja gar nicht sein.

MA: Nein, mein Bruder.

Frage: Gibt es dafür einen Beweis?

MA: Ja, mein Bruder hat auch eine Quittung von der Post, dass er das abgeschickt hat, und hier, als ich das BAMF gefragt hab#, hab ich auch eine Bestätigung bekommen, dass die Zeugnisse hier angekommen  sind. Die haben gesagt: „Wir haben das ans Landratsamt geschickt.“ Dann hab ich das Landratsamt gefragt, dort sind die aber nicht angekommen. Irgendwie sind die in Deutschland verloren gegangen.

Frage: Waren das Originale?

MA: Ja. Alles waren Originale. Und dann, sechs Monate danach, hatte ich auch ein Interview, und dieses Interview war schon wieder so ähnlich wie am Anfang. Und ich hab’ dann nach meinen Zeugnissen gefragt, und sie haben gesagt: „Ja, sie sind da, irgendwann kommen sie. Keine Sorge, die sind nicht verloren gegangen.“

Frage: Sind sie dann wieder aufgetaucht?

MA: Nein, noch nicht. Ich warte jetzt seit eineinhalb Jahren. Sie sind verloren gegangen.

Und dann hatte ich ein Interview, da wurde ich gefragt, warum ich in Deutschland bin. Wieso ich in Deutschland bin? Und ich habe meine Geschichte erzählt, das, was ich jetzt gesagt habe. Weil ich nicht in Afghanistan leben konnte. Danach, nach zwei, drei Monaten, da habe ich eine Ablehnungsantwort bekommen. Ich habe allen die Geschichte gesagt, aber die ist nicht wahr.

Frage: Dass sie erfunden ist.

MA: Ja, dass sie erfunden ist. Und ich hab’ damals mit mir gelacht und gesagt: „Warum soll ich eine Geschichte erfinden, ich brauche sowas nicht.“  Welcher Mensch will seine Familie verlieren? Wo er zum Beispiel aufgewachsen ist, und welcher Mensch will 22 Jahre zurückgehen? Das will kein Mensch. Und ich wollte das auch nicht. Hier in Deutschland war es so, dass ich alles wieder von Anfang an starten musste. Ich konnte keine Sprache, und ich musste alles vom Anfang starten.

Frage: Du musstest neu beginnen.

MA: Das heißt, dass ich zweiundzwanzig Jahre zurückgehe. Weil alles neu ist für mich. Und kein Mensch will das. Ich habe in dieser Zeit, zwei Jahre, hab ich so gut ich konnte Deutsch gelernt, ich weiß, dass es noch schwach ist, aber ich hab’ mein Bestes gegeben und ich habe mir gesagt, wenn ich in meinem Land nicht leben kann, und ich bin jetzt da, und die Deutschen helfen mir, und ich hab’ ein sicheres Leben hier. Ich hab’ mich erst mal sehr gefreut, und dann hab ich mir gedacht, das geht nicht, wenn ich hier ein sicheres Leben habe und ich schlafe einfach und bekomme Geld vom Land. Das macht kein Mensch. Ich hab mir gedacht, das ist nicht gut. Und dann hab’ ich mich entschieden, dass ich irgendwie arbeiten muss oder eine Beschäftigung finden muss. Das einfach auch die Zeit vergeht. Dann hab’ ich erst mal ein Praktikum bei einer Firma, bei Roche, gemacht, drei Monate, und dann eine Einstiegsqualifizierung, und jetzt mache ich eine Ausbildung seit Anfang September 2017 als Chemielaborant bei Roche.

Frage: Das ist ein Beruf, der auf dem aufbaut, was Du in Afghanistan schon mal studiert hast.

MA: Ja, das hat viel mit Chemie zu tun und mit dem, was ich schon studiert habe. Das ist sehr ähnlich, deshalb bin ich in diesem Beruf, und dieser Beruf gefällt mir.

Was anderes frage ich mich immer, als ich die Ablehnung vom BAMF bekommen habe, hab ich sie durchgelesen und mir gedacht, dass das alles nicht wahr ist. Ich habe diese Dinge nicht gesagt. Zum Beispiel, steht im Ablehnungsbescheid, dass ich nach Bedrohung noch drei Monate in meinem Dorf gelebt habe, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, zwei bis drei Wochen und diese Zeit braucht man, um so eine Reise, so eine lange Reise, zu organisieren. Das war einfach schwierig für mich zu verstehen. Und ich glaub einfach, niemand will seine Familie verlieren, wenn er keinen Grund hat. Eine Familie ist für jeden wichtig. Und für mich war sie auch wichtig. Und weil ich nicht dort leben konnte, deshalb hab ich alles verlassen und bin da und will ein sicheres Leben haben. Das war meine Geschichte und das ist natürlich schwierig zu verstehen, weil meine Sprache ist noch nicht so, also wenn ich auf meiner Muttersprache reden würde, könnte ich es besser sagen.

Frage: Mahdi, wir verstehen Dich schon ganz gut. Vielleicht kannst Du noch was zu Deiner Familie sagen, die ist ja für Dich sehr wichtig. Zu Deinen Eltern. Wie geht es Deinem Vater, wie geht es Deiner Mutter?

MA: Meine Mutter ist krank, damals war sie auch krank. Das kann man nicht ändern, sie hat Asthma, sie hat auch Herzprobleme, manchmal bekommt sie viele Schwierigkeiten, wenn das Wetter kalt ist, oder im Winter. Meinem Vater geht es gut, ja.

Frage: Du hast noch Geschwister, hast noch einen Bruder.

MA: Ja, einen Bruder und drei Schwestern, sie wohnen jetzt bei meiner Familie. Ja, bis jetzt geht es ihnen gut, aber das kann man nie sagen. Da gibt es keine Sicherheit in Afghanistan oder in meinem Dorf. Und jederzeit kann was passieren, eine Explosion, oder das wieder die Taliban kommen oder unterwegs. Es kann alles passieren.

In Afghanistan gibt es keinen sicheren Platz

Frage: In diesen drei Wochen zwischen der Morddrohung und Deiner Abreise, hast Du da auch mal überlegt, ob es in Afghanistan irgendeine andere Chance gibt, zu überleben? In einem anderen Ort oder einem anderen Beruf?

MA: In Afghanistan gibt es keinen sicheren Platz. Das wissen alle. Und diese Talibangruppen gibt es nicht nur in Maidan, wo ich wohne. Nicht nur in Kabul. Die gibt es überall in Afghanistan. Man kann sagen, ein viertel von Afghanistan beherrscht die Regierung und Dreiviertel beherrschen die Taliban. Die gibt es überall. Wenn ich nach Kabul gehe, da wird getötet, wenn ich in andere Städte gehe, Jallalabad oder Raznie die sind sogar noch gefährlicher als Kabul.

Frage: Maidan ist da noch gefährdeter, gibt’s da besonders viele Taliban?

MA: Ja. In Maidan und speziell unterwegs gibt es sehr viele, die wohnen dort.

Frage: Ich hätte noch eine Frage, ist Dir bekannt, oder Du hast ja noch Kontakt zu Deiner Familie,

MA: Ja.

Frage: Dass die Taliban aufgrund Deiner politischen Betätigung nach Deiner Ausreise noch nach Dir gesucht haben und nach Dir gefragt haben? Deine Familie in irgendeiner Form auch bedrängt haben?

MA: Also so etwas haben sie nicht erlebt, nein. Sie kennen meine Familie nicht. Sie wissen auch nicht, dass meine Familie dort wohnt, und das ist auch gut so. Wenn die das rausfinden würden, würde es für sie sehr schwere Schwierigkeiten geben.

Wenn ich in Kabul ankäme, dann brächten sie mich um

Frage: Dann noch eine zweite Frage, was denkst Du oder würdest Du erwarten, wenn Du morgen, übermorgen, Tage in dieser Zeit abgeschoben werden würdest und jetzt aus dem Flughafen in Kabul treten müsstest. Und wieder dort wärst.

MA: Das kann ich mir nicht mehr vorstellen. Wenn ich in Kabul am afghanischen Flughafen käme, dann hab ich natürlich Papiere von Deutschland. Dass ich von Deutschland gekommen bin. Dann gibt es dort aber auch Taliban, wenn auch nicht in der Öffentlichkeit. Die Situation in der Regierung ist so, dass überall auch ein Taliban mit drin ist. Nicht öffentlich. Aber er kann die Papiere verschicken oder einsehen. Wenn die sehen, ich komme aus Deutschland, dann ist das für sie eine Kriminalität. Nach Deutschland zu reisen, ist für sie eine Kriminalität. Dann bringen sie mich unbedingt  um.

Frage: Das heißt, Rückkehrer aus Deutschland, aus einem Land des Westens, Leute die zurückkehren von hier, werden allein schon aufgrund dafür bedroht, dass sie in Deutschland gewesen sind und geflüchtet sind.

MA: Ja. Das ist für sie ein Grund, Menschen umzubringen.

Frage: Wie hast Du den Schlepper gefunden?

MA: Den Schlepper habe ich nicht selbst gesucht, weil ich ja nicht vom Dorf nach Kabul fahren konnte.

Frage: Also Du hattest Angst, dass Du wieder von den Taliban erwischt wirst.

MA: Natürlich, weil sie sind immer unterwegs. Sie stoppen jeden Bus und schauen sich die Leute an. Dann habe ich mein Geld meinem Bruder gegeben und der ist nach Kabul gefahren um Geld von Afghani zu Dollar zu wechseln. Weil die Schlepper wollten Dollar. Afghani ist zuviel. Zum Beispiel 4000 Dollar auf Afghani ist ein großes Volumen an Geld. Und dann hat mein Bruder dieses Geld zu Dollar gewechselt und dann hat er einen Schlepper in Kabul kennengelernt. Aber man sieht den Schlepper nicht. Nicht offensichtlich. Der kommt nicht und sagt, dass er ein Schlepper ist. Er sagt, dann und dann soll ich in Pakistan sein und da kommt dann ein anderer Mensch und sagt: „Jetzt kommt mit uns.“ Wenn irgendwie Polizei kommt, von Pakistan oder Iran, dann flüchten sie erst mal selbst. Sie wollen nicht von der Polizei erwischt werden. Und dann kam nach 50 km ein anderer Mensch. Und du kennst diesen Menschen auch nicht.

Frage: Das ist also eine Organisation.

MA: Ja, genau, das ist eine Organisation. Das Geld bezahlst du am Anfang. Und dann bringt dich diese Organisation bis in die Türkei. Wir haben nie einen bestimmten Mann kennengelernt, der gesagt hat, dass er ein Schlepper ist und dass sie gesagt hätten: „Ich führe dich jetzt in die Türkei.“ Und sie haben immer ungefähr hundert Meter weit weg von uns gestanden und uns so den Weg gezeigt, oder uns gesagt: „Diese Richtung führt Euch in die Türkei.“ „Diese Stelle.“ Wenn wir an dieser Stelle waren, kam ein Bus, und wir stiegen in diesen Bus ein. Das war eine Organisation. Das war so.

Frage: Das heißt, den Schlepper selbst, der das Geld bekommen hat, dem hat dein Bruder das Geld übergeben? Oder wie war das?

MA: Sie machen das so: Wenn ich zum Beispiel in der Türkei bin, dann bekommen sie das Geld.

Frage: Also bekommen sie das nicht am Anfang?

MA: Nein.

Frage: Ach so.

MA: Wie kidnappen ist das. Wenn mein Bruder das Geld nicht überweist, lassen sie mich nicht gehen.

Frage: Hat dein Bruder das Geld schon vorher das Geld auf ein Konto, da in Kabul?

MA: Also sie sagen, wenn ich in Pakistan bin, das kostet zum Beispiel 500 $. Und wenn ich im Iran bin, dann kostet es 700 $. Und wenn ich in der Türkei bin, kostet es 2000 $ und wenn ich in Griechenland bin, kostet es 4000 $. Je nachdem in welchem Land ich bin, muss mein Bruder da Geld geben. Zum Beispiel, wenn ich im Iran bin, musste mein Bruder 700 $ überweisen.

Frage: Also ist zwischen Deinem Bruder in Kabul und den Schleppern eine Kommunikation.

MA: Mein Bruder trifft die Schlepper auch nicht.

Frage: Er trifft die nicht? Aber er zahlt dafür? Er kriegt nur die Anweisungen dafür?

MA: Nein, er trifft niemanden.

Frage: Also, wie ich das verstanden habe, sagst Du Deinem Bruder: „Ja, es ist alles gut gegangen, im Iran, in Pakistan, oder wo auch immer, es hat funktioniert.“ Das sagst Du Deinem Bruder und dann schickt er das nächste Paket Geld per Überweisung an den Schlepper.

MA: Ja.

Frage: Das heißt, er hat die Bestätigung von Dir?

MA: Ja, genau, so ist das. Und als ich zum Beispiel in der Türkei war, habe ich meinem Bruder gesagt: „Ich bin in der Türkei.“ Bis aber mein Bruder das Geld nicht überwiesen hat, haben wir keine Chance, das Haus des Schleppers zu verlassen. Wie ein Gefängnis ist das.

Frage: Wie eine Geisel sozusagen.

MA: Ja.

Frage: Aber das Konto, von Deinem Schlepper, das war Deinem Bruder ja bekannt?! Er musste das Geld ja überweisen.

MA: Nein, das Geld wurde vor meiner Flucht von meinem Bruder an eine neutrale Person übergeben und erst nach meiner Ankunft in Griechenland an den Schlepper übergeben. Wenn ich nicht dort angekommen wäre, hätte mein Bruder das Geld zurückbekommen.

Die Taliban haben ihn getötet

Frage: Heißt das dann, dass Dein Bruder immer nach Kabul reisen musste, um das zu machen oder konnte er das von Maidan aus machen, das Geld überweisen?

MA: Er musste nur einmal nach Kabul reisen, weil er das Geld vor meiner Flucht ja in Dollar umgetauscht hatte und der neutralen Person gegeben hat.

Frage: War das für ihn nicht so gefährlich wie für Dich?

MA: Aus den Gründen, die ich hatte, nein. Ethnische Gründe, ja, diese Schwierigkeiten haben alle Hazarah. Die haben alle Angst, wenn sie von Maidan nach Kabul fahren und dann wieder zurück. Aber ich hatte außer diesen ethnischen Gründen auch noch viele andere Gründe, wie ich gesagt habe.

Frage: Die beiden Brüder sind umgebracht worden?

MA: Ja, einer ist klar, weil die Taliban ihn getötet haben.

Frage: Da gibt’s auch ein Grab, wir haben da ein Foto von dem Grab. (siehe Abb. links)

MA: Ja ein Grab. Er und seine Familie und zwanzig andere sind umgebracht worden. Und der andere, wissen wir noch nicht. Irgendwie ist er unterwegs verlorengegangen. Seitdem wissen wir gar nichts von ihm.

Frage: Das heißt, er wird vermisst.

MA: Vermisst. Ja.

Frage: Seit wann ist er vermisst?

MA: Seit sieben, acht Jahren. Sechs Jahren, ja, als ich in Kabul in der Schule war. Meine Familie hatte mir damals nichts gesagt, von ihm. Ich habe es erfahren, als ich mit meinem Studium fertig war. Da habe ich alles erfahren. Damals konnten wir nicht so einfach telefonieren. So ein Telefon hatte ich nicht.

Frage: Heißt das, dass Du während Deiner Studienzeit in Kabul gelebt hast, und nicht in Maidan?

MA: Ja. In meiner Schulzeit und Studienzeit war ich in Kabul. Das hatte ich ja am Anfang gesagt.

Frage: Ja. Wo hast Du da gelebt?

MA: Mit meinem Cousin, er ist der Sohn von meiner Tante.

Frage: Der wohnte in Kabul, und Du hast bei ihm Unterkunft gefunden?

MA: Ja, er wohnte in Kabul.

Frage: Wo bist Du hier in Deutschland angekommen? In München?

MA: Ja, erst mal in München und dann nach einer Woche haben sie uns nach Miesbach beschickt. Eineinhalb Monate war ich in Miesbach und dann haben sie uns nach Feldafing transportiert.

Frage: Wieso hast Du nicht auch mal in Kabul in einer Apotheke gearbeitet?

MA: Ich habe kurz in Kabul in einer Apotheke gearbeitet. Nicht so lange, vielleicht einen Monat.

Frage: Wäre das für Dich eine Möglichkeit gewesen, als Apotheker in Kabul? Vielleicht eine Stelle zu finden? Dadurch hättest Du dieses Reiseproblem nicht mehr gehabt.

MA: Ich wollte aber eigentlich den Leuten, die in meinem Dorf sind, helfen. In Kabul gibt es Möglichkeiten, ja, aber in meinem Dorf gibt es keine Möglichkeiten. Und ich wollte eigentlich diese Apotheke nicht aufmachen, um meine finanzielle Situation zu verbessern, sondern ich wollte den Leuten helfen, die keine Möglichkeit haben. Die sterben  immer so früh, weil sie keine Medikamente bekommen. Sie bekommen auch keine Gesundheitsinformationen. Diesen Leuten wollte ich eigentlich helfen.

Frage: Was von Feldafing natürlich noch schwieriger ist, als von Kabul aus.

MA: Ist sehr schwierig, ja.

Frage: Gab es vorher schon eine Apotheke in dem Dorf?

MA: Nein. In unserem Ort gibt es keine.

Frage: Und Ärzte gibt es die?

MA: Ärzte gibt es auch nicht. Sie müssen immer nach Kabul fahren.

Frage: Nicht dass ich das mit irgendetwas verwechsle, war nicht in Kabul diese Apotheke wegen Deiner Tätigkeit bedroht?

MA: Die Apotheke in Kabul? Also, in Kabul, die Gründe, dass ich in dieser Partei war, wurde ich streng bedroht. Weil ich in dieser Partei bin und gegen die Taliban arbeite. Aus diesem Grund war das in Kabul eine Schwierigkeit für mich.

Frage: Hattest Du, während Du in Kabul warst, in Deiner Studienzeit, hattest Du da Kontakt zu Taliban?

MA: In meiner Schulzeit? Nein.

Frage: Und später? Als Du studiert hast?

MA: Nein. Das erste Mal, als ich von Kabul zu meinem Dorf unterwegs war. Sie suchen immer, ob sie von irgendwem etwas bekommen. Sie haben unseren Bus gestoppt und alle untersucht. Haben dann alle Zeugnisse von mir gesehen.

Frage: Das heißt, Du musstest Deine Tasche auf machen.

MA: Ja, alle mussten das machen. Alle Passagiere.

Frage: Waren die Taliban bewaffnet?

MA: Ja, die sind immer bewaffnet.

Frage: Mit wie vielen Personen bist Du hierher gekommen? Wie viele Personen wart ihr?

MA: Von Afghanistan waren wir drei oder vier. In der Türkei kamen die anderen Leute dazu. Und in Griechenland waren wir zwei-, dreitausend Leute. Es kamen auch alle von anderen Ländern dazu.

Heimweh hat man natürlich

Frage: Hast Du denn oft Heimweh nach Afghanistan, wie geht´s Dir da?

MA: Heimweh hat man natürlich, aber jetzt ist es besser. Weil, erst mal freut es mich, dass ich hier ein sicheres Leben habe. Meine Familie, wenn ich einmal oder zweimal im Monat telefonieren kann, dann sagen die auch: „Wenn es dir dort gut geht, dann ist das alles für uns. Wir wollen auch deine Sicherheit. Dass Du lebst. Wenn Du da bist, und die Taliban bringen Dich um…“

Frage :Aber Deine Familie ist jetzt einigermaßen sicher in Afghanistan?

MA: Also das kann ich nicht sagen! Es gibt keinen sicheren Platz in Afghanistan.

Frage: Kannst Du sagen, was Deine Schwestern machen? Haben die einen Beruf?

MA: Ja, sie haben auch studiert. Ich habe viele Schwestern. Ich habe sechs Schwestern. Drei sind verheiratet, aber sie leben nicht mehr bei meiner Familie , sie haben nichts gelernt und kein Studium. Die anderen drei, studieren in Kabul und leben auch dort..

Frage: Was haben die studiert?

MA: Eine ist Ärztin jetzt, sie arbeitet in Kabul, in einem Krankenhaus. Eine ist noch nicht fertig, die studiert noch. Sie studiert Labormedizin. Und die andere hat Sprache studiert. Also wir haben zwei unterschiedliche Sprachen in Afghanistan. Pashto und Dari. Wenn man wirklich als Übersetzer arbeiten will, als jemand im Fernsehen oder im Radio, dann muss er oder sie diese Sprachen studieren. Und eine meiner Schwestern macht das.

Frage: Sind da Deine Schwestern nicht auch von den Taliban bedroht, weil sie studiert haben?

MA: Sie müssen nicht immer fahren oder reisen. Aber wenn die Taliban sie erwischen, sind sie natürlich bedroht. Die Taliban spritzen auch manchmal Frauen, die studieren, Säure ins Gesicht. Das ist ganz schlimm. Sie verbrennen auch Schulen.

Frage: Wie ist deine Situation hier jetzt? Hast Du Angst, dass Du abgeschoben wirst?

MA: Diese Angst habe ich immer, und manchmal träume ich, dass, wenn ich wieder in Afghanistan bin, werde ich sofort umgebracht. Und diese Angst habe ich immer, ja. Und deshalb kann ich mich manchmal nicht gut konzentrieren. Das merkt man.

Solange du lebst, musst du etwas tun

Frage: Und woraus schöpfst Du derzeit Kraft? Was gibt dir Energie.

MA: Ich weiß auch nicht. Jetzt, bei Roche, habe ich viele Freunde und sie fragen mich auch ab und zu: „Woher kommt diese Energie?“ „Wir haben alles, wir sind ruhig, wir haben keine Gedanken, wir lernen einfach und bekommen eine Note von drei oder vier“, sagen sie. „Aber woher kommt Deine Energie? Du hast so viele Gedanken, Du hast Heimweh, Du hast hier keine so gute Situation, Du hast eine Ablehnung und hast Angst, dass Du wieder abgeschoben wirst. Woher kommt die Energie, dass Du wieder so eine Note bekommst?“ Ich weiß es nicht, Woher diese Energie kommt. Manchmal denke ich mir, ein guter Grund dafür ist, dass ich hier ein sicheres Leben habe. Niemand bedroht mich und ich bin mir sicher, dass wenn ich in Deutschland bin, kann ich leben. Und deshalb, wenn man lebt, muss man etwas für sein Leben tun. Und das mache ich.

Frage: Aber wenn manchmal der Gedanke kommt, wenn du wieder abgeschoben wirst, was passiert dann?

MA: Aber trotzdem gebe ich mir diese Energie immer vorwärts zu gehen, egal ob du abgeschoben wirst. Solange du lebst, musst du was tun. Einfach nur schlafen, geht nicht.

Frage: Es ist sicher auch gut, dass deine Eltern Dich haben gehen lassen. Sie haben Dich unterstützt. Sonst wär es viel schwerer.

MA: Ja. Sie haben gesagt: „Wir wollen Dein Leben. Wir wollen nicht, dass Du tot bist.“ Deshalb sagen sie: „Wenn es Dir dort gut geht, sind wir auch froh.“

Frage: War es denn in Afghanistan eine schwere Entscheidung zu studieren? Oder ist Dir dein Studium leicht gefallen, in Afghanistan? Warst Du ein guter Schüler?

MA: In Afghanistan ist es viel schwieriger als hier. Man besucht die Schule zwölf Jahre, danach, wenn man weitergehen möchte, dann muss man eine gesamte Prüfung von diesen zwölf Jahren machen. Das heißt Concour, und diese Prüfung ist wirklich schwierig. Und nicht alle können diese Prüfung bestehen. Nur wenige Leute können diese Prüfung bestehen. Und hier ist es so, je nachdem, Gymnasium oder Realschule, hat man die Entscheidung, welchen Weg man geht. Bei uns ist es so, man lernt alles in der Schule, alle Fächer, bis in die zwölfte Klasse, und dann kommt eine schwierige Prüfung, und wenn man diese Prüfung besteht, dann kann man weitermachen. Und gegen diese Schwierigkeit habe ich immer gekämpft.

Frage: Also das heißt, Du hast diese Prüfung bestanden?

MA: Ja.

Frage: Hast Du sie mit einer guten Note bestanden?

MA: Ja, die Note war nicht so schlecht.

Frage: Und das Studium anschließend? Das Studium muss ja auch eine Prüfung gewesen sein, zum Beispiel.

MA: Ja, wenn man diese Prüfung besteht, dann kann man verschiedene Richtungen auswählen. Welche Richtung will man gehen. Und dann gibt es natürlich während des Studiums viele Prüfungen.

Frage: Du hast aber das Studium auch abgeschossen? Du hast ein Zertifikat, dass Du Dein Studium abgeschlossen hast?

MA: Ja, zwei Jahre und vier Semester.

Frage: Dieses Studium ist dann mit einem Diplom sozusagen abgeschlossen?

MA: Ja, genau.

Frage: Mahdi, hast Du mir mal erzählt, dass Dein Studium ausreicht, um eine Apotheke in Maidan zu eröffnen, aber nicht in Kabul? Kann das sein?

MA: Ja, das ist so. Wenn man zwei Jahre studiert, kann man nicht in der Hauptstadt von Afghanistan als Apotheker arbeiten. Man müsste nochmal zwei Jahre studieren, dann bekommt man eine Lizenz, und dann kann man auch in Kabul als Apotheker arbeiten.

Frage: Also das heißt im Moment dürftest Du in Kabul keine Apotheke eröffnen.

MA: Nein.

Frage: Aber auf dem Land schon?

MA: Auf dem Land schon. Aber ich könnte wieder zwei Jahre studieren, und dann könnte ich.

Frage: Ich hab noch eine Frage zu der Partei. Was war das für eine Partei? Welche Ideale hatte die oder welche politische Richtung oder was steckte dahinter?

MA: Die Partei war wie eine Opposition.

Frage: Hat diese Partei auch eine ethnische Gruppe vertreten?

MA: Also ich bin mir nicht ganz sicher, jetzt gibt es auch andere ethnische Gruppen in dieser Partei.

Frage: Zu Deiner Zeit?

MA: Zu meiner Zeit waren es meistes von unserer Gruppe, Hazarah, sagt man, aber von anderen, Sayed und Tatjik gibt es da auch.

Frage: Und was waren die Ziele dieser Partei? Was wolltet Ihr erreichen?

MA: Das Ziel dieser Partei ist Demokratie. Was die Taliban gar nicht wollen, Demokratie. Ja, sie sind einfach Demokraten und wollen, dass die Leute studieren können, auch die Frauen. Und sie sagen, es soll Gleichberechtigung geben. (Foto links: M. Ahmadi erhält eine dankesurkunde seiner Partei)

Frage: Du hattest mir auch mal etwas davon erzählt, dass Du Englischunterricht gegeben hast in Kabul.

MA: Ja, das hab ich die zwei Jahre. Während ich in der Schule war, hab ich  zwei, drei Stunden am Nachmittag Englischunterricht gegeben. Nicht in einem Studium oder einer Schule, sondern in einem Kurs, in den die Leute gehen, um eine Sprache zu lernen.

Ich hab vor zwei Monaten ein B1-Zertifikat vom Goethe-Institut bekommen

Frage: Wie schwer ist es denn jetzt in der Ausbildung mit der Sprache? Wie geht das voran? Ist es schwierig für Dich, alles zu kapieren, oder so?

MA: Ja, Sprache ist natürlich schwierig. Ich glaub die deutsche Sprache ist am schwierigsten. Eine sehr schwierige Sprache, ja. Aber wenn ich jetzt etwas durchlese oder einen Text lese, verstehe ich mehr, als ich spreche. Wenn ich spreche, kann ich nicht diese Grammatikpunkte in meinem Kopf, das kommt nicht so schnell. Aber wenn ich ein Buch lese, und einen Text lese, dann verstehe ich mehr.

Frage: Was hast Du jetzt für eine Deutschqualifikation?

MA: Ich habe vor zwei Monaten ein B1-Zertifikat vom Goethe-Institut bekommen. Dass ich B1 Stoffe bestehen kann. Also ich habe diese Prüfung bestanden.

Frage: Aber es fällt Dir nicht schwer, diese Ausbildung zu machen, oder dem zu folgen, dem ganzen Ausbildungsinhalt und so weiter? Es fällt Dir nicht schwer? Das ist ja ein großes Problem bei manchen. Die jetzt hier diesen Status haben, die wenig Deutsch sprechen und die Arbeitgeber sagen ja oft, das ist ein Riesenproblem. Hast Du denn auch Probleme, bei dieser Ausbildung?

MA:  Nein, diese Probleme habe ich nicht. Ich bekomme die Noten, so wie die Deutschen bekommen, zum Beispiel, drei, zwei, was meine Klasse bekommt. Wir sind zwanzig Leute in einer Klasse, und meine Note ist nicht so schlecht, dass ich mir denke, dass ich nicht mehr weitermachen kann. Sie bekommen auch zwischen zwei und drei, Chemie ist allgemein ein schwieriges Thema und andere Deutsche bekommen auch zwischen zwei und drei bei jeden Test oder Prüfungen, und ich bekomme auch zwischen zwei und drei.

Frage: Bist Du der einzige Nicht-Muttersprachler der Klasse?

MA: Ja, ich bin der einzige.

Frage: Also alle anderen haben Deutch als Muttersprache?

MA: Ja. Und am Anfang war es schwierig, aber jetzt wird es jeden Tag leichter.

Frage: Da kann ich zwei Geschichte dazu beisteuern. Mahdi kam eines Tages und hat gefragt: „Was heißt halt?“ Und dann sagte ich: „Halt heißt, stopp, nicht weiter gehen.“ „Das kann nicht sein, der Lehrer hat gesagt: „Das ist halt so!“ Dann gab es eine zweite Sprachverwirrung, „Was heißt Hammer?“ „Ein Hammer ist ein Werkzeug. Mit dem schlägt man einen Nagel in die Wand.“ Dann wieder Mahdi: „Kann nicht sein, weil die Schüler sagen immer: „Hammer nit!“ Also Bayerisch musst Du lernen. Also nochmal sehr erschwert.

MA: Ja.

Frage: Wir haben einen, ich darf das sagen, Mahdi, einen Lehrer der leider nur Bayerisch spricht, und mit dem hast Du ein bisschen Probleme. Dass Du den verstehst.

MA: Ja. Ja, manche Lehrer haben ihren bestimmten Dialekt und sie versuchen Hochdeutsch zu sprechen, aber sie haben trotzdem ihren Dialekt. Und das fällt mir ein bisschen schwer, ja.

Frage: Aber glaube mir, es gibt in den neuen Bundesländern schlimmere Dialekte.

MA: Das glaub ich auch, ja.

Ich hab kein Interesse, eine Geschichte zu erfinden

Frage: Mahdi, was wünscht Du Dir?

MA: Ich wünsche mir erstmal, dass ich in Deutschland bleiben darf oder kann, weil damit kann ich leben. Da bin ich sicher, wenn ich in Deutschland bleiben kann. Sonst kann man mit Schwierigkeiten immer selbst kämpfen und weiter gehen. Also eine Geschichte, die ich immer von Dir höre, „Leben ist immer, Schwierigkeiten zu lösen.“

Frage: „Probleme lösen“, ja.

MA: Ja, „Probleme zu lösen.“

Frage: Nicht ich habe das gesagt, das war ein viel klügerer Mann.

MA: Ja, aber ich höre das immer von Dir. Ich weiß nicht, wer das gesagt hat. Ja, mein größter Wunsch ist, hier in Deutschland zu bleiben, und ich wünsche mir, dass Deutschland mein zweites Heimatland sein wird.

Frage: Was wir tun können, werden wir tun. Danke, dass Du uns das alles erzählst. Wirklich beeindruckend, was Du erzählst. Mutig, sehr mutig.

MA: Ich bedanke mich auch bei Euch. Ich erzähle immer gern, weil das sind die Wahrheiten, die ich in meinem Leben erlebt habe. Und ich habe kein Interesse, eine Geschichte zu erfinden.

Frage: Ist Dir das schon begegnet, außer die Erfahrung mit dem BAMF, dass Dir jemand gesagt hat: „Das glaub ich Dir nicht.“?

MA: Also das war für mich auch eine Überraschung, wie entscheidet jemand, der mich gar nicht gesehen hat. Und er liest mein Interview, oder meine Texte, was ich gesagt habe, und dann entscheidet er einfach, dass die nicht wahr sind.

Frage: Haben die das begründet? Und wie?

MA: Die haben das geschrieben, und ich hab das damals einmal durchgelesen. Die Worte sind auch einfach schwierig für mich und sie haben gesagt: „Du könntest, wenn Du nicht in Maidan wohnst, auch in Kabul wohnen.“ Oder in einer anderen Stadt. Und das war ein Text, und ich konnte nichts dagegen sagen. Und jetzt sage ich, dass es nirgendwo in Afghanistan sicher ist, erstmal.

Die Transkription des Interviews wurde der Lesbarkeit halber redigiert und von Mahdi Ahmadi gegengelesen, dem wir herzlich für sein Enagement und dafür, dass er seine Geschichte mit uns teilt, danken. Er hat unseren größten Respekt dafür, was er leistet.

Film: Jakob Gatzka
Transkription: Antonia Samm
Redaktion: Mahdi Ahmadi, Walter Föhr, PD Dr. Irmtrud Wojak
Foto im Header: Farin Sadiq
Kontakt: info@buxus-stiftung.de
© BUXUS STIFTUNG gGmbH

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