Suche nach dem Recht
„Nichts ist Vergangenheit, alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“
Fritz Bauer
Die Geschichte der Zukunft lässt sich nicht vorherbestimmen. In Anlehnung an Rainer M. Rilkes “Wiedererholtes Herz ist das bewohnteste” entstehen auf unseren Wanderungen filmische und fotografische Serien, manchmal Textsequenzen. Es geht darum, sich auf Ungewohntes einzulassen, möglichst frei von Zielsetzungen und (Vor-)Urteilen. Denn wenn das Ziel bereits feststeht, wie kann es dann neue Erkenntnisse geben? Alles orientiert sich in dem Fall nach dem vorhandenen Erkenntnisstand. Unsere Idee ist, Neues zu lernen, und was noch unbekannt ist und nicht wahrgenommen wurde, kann hinzugefügt werden.
Unversperrte Ansichten
Im Wesentlichen sind die Wanderungen eine Methode, den Blick frei zu bekommen. Durch kulturelle Vorgaben von Deutungsmustern ist unsere Perspektive oft schon festgelegt, so dass wir kaum die Distanz haben, Beschränkungen der eigenen Erfahrungsmöglichkeiten aufzuheben. Ziel ist es, an Orten unterschiedlichster Erinnerungen die Geschichte mutig neu zu entdecken – die eigene Perspektive offen zu halten.
CHILE- Suche nach dem Recht an Orten von Verbrechen
LONDRES 38, SANTIAGO DE CHILE
Dieser Ort in der Straße Londres 38, mitten in Santiago de Chile, wurde als Gefängnis, Folter- und Mordstätte benutzt. Hier begann für viele Menschen das Schicksal der gewaltsam „Verschwundenen“ (Desaparecidos), eine systematische Praktik des chilenischen Staatsterrorismus seit 1973.
Bis heute ließ sich nicht genau rekonstruieren, wieviele Menschen hier inhaftiert waren. Die Namen von 96 Gefangenen sind bekannt, die meisten von ihnen junge, politisch engagierte Aktivist_innen der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei Chiles sowie des Movimiento de Izquierda Revolucionaria. 83 von ihnen waren Männer und 13 Frauen, zwei von ihnen schwanger.
Die Geschehnisse an diesem Ort wollte die Diktatur verbergen, indem sie die Hausnummer 38 durch 40 ersetzte. Ehemalige Häftlinge und ihre Angehörigen verhinderten, dass das Schicksal der an diesem Ort gequälten Menschen aus dem Gedächtnis der Stadt gelöscht wurde.
VILLA GRIMALDI – PARQUE POR LA PAZ, SANTIAGO DE CHILE
Die „Villa Grimaldi“ wurde 1973 von den chilenischen Militärs – angeblich indem sie den Eigentümer unter Druck setzten – gemietet, um hier eines der zahlreichen Gefängnisse und Folterlager einzurichten, von wo aus politische Oppositionelle zum „Verschwinden“ gebracht, das heißt ermordet wurden. Zynische wurde das Geheimdienst-Gefängnis Terranova genannt.
Etwas 4500 Gefangene wurden hier in den folgenden fünf Jahren festgehalten, 236 von ihnen sind ermordet worden oder weiterhin verschwunden, 1978 wurde die Folterstätte wieder geschlossen.
Als auf dem Grundstück Mitte/ Ende der 1980er Jahre eine Wohnanlage gebaut werden sollte, löste dies eine Protestwelle aus und die beteiligten Bürger_innen erwirkten, zusammen mit der „Ständigen Versammlung für die Menschenrechte“ der Stadtteile Peñaloén und La Reina, dass das Grundstück enteignet und ab 1994 in einen Ort zur Erinnerung verwandelt wurde.
Ein Rosengarten erinnert an die verschwundenen und ermordeten Frauen, die aufgrund ihres Widerstands gegen die Militärdiktatur festgenommen wurden. In Vitrinen werden Gegenstände verwahrt, die an das Leben und die Träume der gequälten Häftlinge erinnern. Die vielleicht bewegendste Inschrift auf einem der Mosaiksteine am Boden: „Patio de los Abedules. Lugar de celdas y tortura de prisioneros. En este asiento se vivenció solidaridad, lealtad y compañerismo.“ („Birkenhain. Ort der Zellen und Folter von Gefangenen. Hier wurden Solidarität, Loyalität und Kameradschaft gelebt.“)
1997 wurde der Parque por la Paz für Veranstaltungen zur Erinnerung und Stärkung einer Kultur des Respekts vor den Menschenrechten eröffnet.
Zur Webseite des Parque por la Paz
URL: https://www.fritz-bauer-forum.de/forschung/entdeckungstouren/