Bildet Banden!

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27.11.2019

Bildet Banden!
Eigentlich geht es um alles und sehr zentral um Menschenrechte

 

Was bleibt jungen Menschen im Angesicht der heranrollenden Klimakrise im Kampf gegen den Klimakiller Kohle und Großkonzerne wie RWE? Was tun, wenn allein reden und streiken nicht mehr reicht?

Das Aktionsbündnis Ende Gelände setzt seit 2015 auf Großaktionen des zivilen Ungehorsams. So wurden zuletzt im Juni 2019 die Nord-Süd-Kohlenbahn und die Hambachbahn, sowie der Tagebau Garzweiler selbst von über 6000 Klimaaktivist_innen besetzt und vier von sechs Produktionseinheiten zeitweilig gestoppt. Unterstützt wurde das Bündnis hier von den Schüler_innen von „Fridays for Future“, die eine Großdemonstraton entlang des Tagebaus organisierten.  Gegen zum Teil massive Polizeigewalt setzten  diese zumeist sehr jungen Menschen ihre Körper auf gewaltfreie  Art und Weise ein, um die klimaschädliche Kohleverstromung von RWE zumindest vorübergehend zu verlangsamen. Im November 2019 ist eine erneute Massenaktion zivilen Ungehorsams im Braunkohletagebau der Lausitz geplant.

Kathrin Henneberger  – Pressesprecherin und Aktivistin von Ende Gelände – erörtert im folgenden Interview, warum der Klimawandel zuerst die Menschen des globalen Süden, aber dann uns alle trifft und warum es heute immer wichtiger  wird, zivilen Ungehorsam zu leisten.

 

DC: Hallo Kathrin, vielen Dank für das Interview. Vielleicht kannst Du uns zunächst etwas über Dich erzählen. Du lebst im Rheinland und bist in Köln aufgewachsen. Dann hast Du ja eine enge Verbindung zu dieser Region und zum rheinischen Braunkohlerevier?

KH: Ja, ich bin in Köln geboren, im Rheinland aufgewachsen – und wie viele Kölner_innen bin ich ein leicht lokalpatriotischer Mensch. Ich mag das sehr gerne, dort zu leben. Aber was ich sehr früh kennengelernt habe, recht nahe an Köln, keine zwanzig Minuten entfernt mit der S-Bahn, ist die größte CO2-Quelle Europas, der Braunkohletagebau des Kohlekonzerns RWE. Als Kind habe ich von der Klimakrise erfahren und versucht, die Zusammenhänge zu verstehen. Es tat einfach sehr weh, festzustellen, dass einer der Hauptverursacher der Klimakrise mein Zuhause ist und so viel großes Leid für Menschen in anderen Regionen der Welt verursacht. Deswegen habe ich begonnen, mich gegen den Braunkohletagebau und gegen den Kohlekonzern RWE zu engagieren.

DC: Das sind schon weitsichtige Erkenntnisse für ein Kind. Wie alt warst Du da? Gab es da ein Schlüsselerlebnis?

KH: Ich war so dreizehn Jahre alt (lacht) und habe begonnen, im Pinguinkostüm über die Hohe Straße zu hüpfen und Flyer über die Klimakrise zu verteilen. Damals hat das noch nicht so viele Zuhörer_innen gehabt, aber deswegen freue ich mich umso mehr, dass die Jugendlichen, die heute aktiv sind, so stark zusammenhalten, so viele sind und einfach so verdammt laut werden.

DC: Aber wie bist Du dazu gekommen, mit dreizehn im Pinguinkostüm Flyer über die Klimakrise zu verteilen? Das wissen die meisten 13-Jährigen noch gar nicht, was eine Klimakrise ist.

KH: Mittlerweile schon. Damals bin ich über das Thema gestolpert und habe mich dann einfach mehr damit auseinandergesetzt. Kinder sind neugierig und eines führte zum anderen. Ich wurde über das Thema sehr schnell politisiert, aber es war nicht nur die Klimakrise, es war natürlich auch die Anti-Atom-Bewegung. Es waren die ganzen anderen Umweltkrisen, die ja zusammenhängen. Wir leben nicht nur in der Zeit der Klimakrise. Am Anfang ging es natürlich irgendwie um Pinguine und Wale. Dann habe ich sehr schnell festgestellt, hier geht es um alles und es geht auch sehr zentral um Menschenrechte.

DC: Hattest Du dann Unterstützung durch Deine Familie, sind sie auch aktiv, oder durch Freunde?

„Der Irakkrieg hat meine Generation politisiert“

KH: Meine Eltern sind nicht aktiv, aber sie fanden das immer ganz cool, was ich so mache. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass junge Menschen anfangen, Banden zu bilden. Bei mir war das die Schüler_innenvertretung in der Gesamtschule Rodenkirchen. Da waren wir einfach eine sehr starke Bande, eine kleine Gang, die sich stark politisch engagiert hat. Als ich fünfzehn war, brach der Irakkrieg aus, und das war etwas, was meine Generation sehr politisiert hat. Am Tag, als der Krieg begann, haben wir als Schüler_innenvertretung eine Vollversammlung einberufen und haben zum Streik aufgerufen. Und dann ist wirklich meine halbe Schule in die Stadt aufgebrochen und hat sich dort den großen Schüler_innenprotesten angeschlossen. Wir haben nur einen Tag gestreikt, nicht wie die Jugendlichen heute, die jeden Freitag streiken, aber das war einfach ein sehr zentraler Schlüsselmoment, der uns alle politisiert hat. Wie kann es sein, dass man einen Krieg anfängt, obwohl alle Beweise dagegensprechen, obwohl er völkerrechtswidrig ist, und alle machen mit? Und dann Teil dieser Bewegung zu sein von Millionen von Menschen und gegen diese Ungerechtigkeit aufzustehen – das war für uns alle sehr, sehr wichtig.

DC: Da erfährt man dann auch viel Solidarität, die einen trägt. Wenn alle zusammen aufstehen.

KH: Auf jeden Fall. Meine erste Verhaftung war übrigens auch mit fünfzehn, das war auf einer Anti-Nazi-Demo. Ich wollte zusammen mit meiner Bande auf die Anti-Nazi-Demo in Köln fahren. Wir hatten in der Schule durchgenommen, was das „Dritte Reich“ alles bedeutet. Von meiner Familie habe ich auch sehr viel über die Geschichte erfahren, was alles in Köln passiert ist, und dann gedacht: „Das geht doch nicht, dass Nazis wieder hier demonstrieren.“ Also schließe ich mich natürlich dem Protest an, will das natürlich blockieren, zusammen mit ganz vielen anderen jungen Menschen. Wir haben es dann noch nicht einmal auf die Blockade geschafft. Wir wurden schon vorher alle eingesammelt und in die Gefangenensammelstelle gebracht. Und da habe ich das erste Mal erlebt, wie wichtig es ist, dass man nicht alleine ist, dass man zusammen zu solchen Veranstaltungen fährt, sich unterstützt. Damals hatten wir noch keine Aktionstrainings so wie wir sie heute für junge Aktivist_innen haben. Dass man in solche Situationen reingerät, wo man einfach plötzlich gar nicht weiß: „Ups, was mache ich denn in diesem Polizeiauto?“ Das war einer der Schlüsselmomente, wo ich gelernt habe: solidarisch zusammenzustehen, ist sehr wichtig in Bewegungen. Bewegungen funktionieren auch nur, wenn sich die Akteur_innen untereinander unterstützen, also Banden bilden und fester zusammenhalten gegen die Repression.

 

DC: 2008 warst Du Beisitzerin des Bundesvorstandes der Grünen Jugend und auch, glaube ich, deren Sprecherin? Du hast die Grüne Jugend im Koordinierungskreis bei Attac vertreten. Welche wichtigen Erfahrungen hast Du in dieser ja auch parteipolitischen Zeit gemacht?

KH: Ja, ich habe angefangen, auch Parteipolitik in der Grünen Jugend zu machen, weil es in der Zeit noch nicht Fridays for Future gab, und ich wollte Klimapolitik machen. Und die Grüne Jugend war die einzige Organisation, die das sehr stark gepusht hat. Ich wollte auch eigene Entscheidungen treffen, wie ich Politik mache. Bei sehr vielen Jugendorganisationen, gerade auch im Umweltbereich, ist es eher so, dass ihnen vorgegeben wird, welche Aktionen sie zu machen haben. In der Grünen Jugend ist es so, dass Aufmüpfigkeit zum Programm gehört. Es geht darum, Stacheln zu zeigen, selber zu entscheiden, welche Inhalte man vertritt. Auch lernt, sich gegenüber Älteren in der Partei oder gegenüber der Mutterpartei mit seinen Positionen durchzusetzen. Das war für mich sehr wichtig: Zu lernen sehr selbstbewusst ranzugehen und mir nicht von der älteren Generation sagen zu lassen, welche Inhalte jetzt realistisch sind oder nicht. Denn jede Generation hat ihre eigene Aufgabe, die manchmal nicht alle verstehen. Für meine Generation war das die Klimafrage. Ich habe angefangen, mich parteipolitisch zu engagieren, weil ich gemerkt habe, dass es darum geht, die Rahmenbedingungen zu ändern. Mit individuellem Verhalten kann man zwar viel erreichen, aber halt nicht alles. Man kann sein ganzes Leben darauf verwenden, zu versuchen, ökologisch korrekt zu leben, wird es aber nicht hundertprozentig schaffen, weil man einfach in einem System lebt, das einem Zwänge aufdrückt. Und mir geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass wir in einer CO2-neutralen Gesellschaft leben, aber gleichzeitig auch in einer sozial gerechten leben. Oder auch die Frage: Wie können wir die Wirtschaft, die Gesellschaft transformieren? Wie können wir das sozial gerecht begleiten? Das möchte ich nicht anderen überlassen, sondern da möchte ich selber mitgestalten und mitbestimmen.

„Die Klimabewegung gehört mit einer Bewegung für soziale Gerechtigkeit, für Menschenrechte zusammen“

DC: Wie wichtig ist es, verschiedene Bewegungen und Kämpfe zusammenzuführen? Geht das überhaupt?

KH: Ja, sie bedingen sich. Die Klimabewegung gehört zusammen mit einer Bewegung für soziale Gerechtigkeit, für Menschenrechte. Das geht nicht ohne einander.

DC: Von der Politik wird versucht, die Bewegungen gegeneinander auszuspielen. Jetzt zum Beispiel die Anti-Atomkraft-Bewegung gegen die Anti-Kohle-Bewegung. Und die Menschen, die sich für den Erhalt der Dörfer einsetzen, gegen die, die sich für den Erhalt vom Hambacher Wald einsetzen. Das funktioniert nicht immer, dieses Ausspielen, weil es im Grunde ein und dieselbe Bewegung ist.

KH: Genau. Als Bewegung leben wir eine Vielfältigkeit und stehen solidarisch zusammen. Also die Menschen, die den Hambi unterstützen, natürlich auch die, die Dörfer unterstützen und umgekehrt. Natürlich gibt es immer wieder Versuche von Politiker_innen der Gegenseite oder von deren wirtschaftlichen Verbündeten, Keile zwischen die Bewegungen, zwischen einzelne Akteur_innen, zu treiben. Aber das funktioniert einfach nicht. Wir sind da sehr, sehr untrennbar verknüpft. Es macht auch irgendwie keinen Sinn, für den Hambi zu sein und nicht gleichzeitig für die Dörfer zu streiten.

DC: Herr Laschet1 hat in einer Pressekonferenz ungefähr gesagt, „Ja, jetzt müssen wir halt den Wald erhalten, dafür muss jetzt ein Dorf weg.“ Jetzt können wir halt die Dörfer nicht erhalten.

KH: Ja. Herr Laschet ist jemand, der versucht immer zu spalten, weil er Angst vor der Stärke unserer Bewegung hat. Und Laschet versucht natürlich immer noch, die Konzerninteressen von RWE mit durchzusetzen. Und dadurch, dass sie jetzt im Hambi so einen starken Druck erfahren haben, haben sie natürlich große Angst. Deswegen sind sie dort eingeknickt. Unser Ziel ist es, dass sie genauso eine große Angst bekommen, wenn sie anfangen, die Dörfer anzufassen. Und deswegen werden wir uns jetzt auch sehr darauf konzentrieren, uns an die Seite der Dörfer zu stellen.

 

“Die Klimakrise ist kein Problem der Zukunft. Sie ist grausame Realität!”

DC: Du hast ja gerade schon gesagt, Klimagerechtigkeit ist nicht nur eine ökologische Frage, sondern auch eine soziale Frage. Aber warum ist Klimagerechtigkeit auch explizit ein Kampf für Menschenrechte oder auch ein Kampf gegen Rassismus?

KH: Die Klimakrise ist kein Problem der Zukunft. Sie ist grausame Realität, besonders in den Ländern des globalen Südens. Und dort trifft sie nicht alle Menschen gleich. Das entscheidet, über welchen Wohlstand man verfügt, über welchen Bildungsstatus, welchen Zugang man zur Infrastruktur hat, wie die medizinische Versorgung ist. Ob man Erwerbsarbeit hat oder ob man Land besitzt. Und da sieht man ganz klar, wen es zuerst trifft: Das sind zum Beispiel Frauen indigener Gemeinden, die davon abhängig sind, dass ihnen die natürlichen Ressourcen zur Verfügung stehen. Das sind zum Beispiel Frauen, die in den Ländern des globalen Südens in ländlichen Regionen von Subsistenzwirtschaft leben. Nicht weil  Frauen “schwächer” sind als Männer, sondern weil sie einfach weniger Zugang zu Infrastruktur haben, zu Bildung zum Beispiel. Deswegen muss ganz klar benannt werden, dass die Auswirkungen der Klimakrise jene treffen, die bereits in Armut leben und   sich weniger vor der Klimakrise schützen können. Das sind meistens Menschen, die nicht weiß und nicht aus dem Norden sind. Deswegen sind die Auswirkungen und Verursachungen der Klimakrise auch eine sehr klare Frage von Rassismus und von Menschenrechten.

Es können auch nicht alle Menschen gleich entscheiden, was nun passiert. Welche Maßnahmen ergreifen wir, um die Klimakrise aufzuhalten? Das tut aktuell ein sehr kleiner Teil der Weltbevölkerung, der auch primär weiß, der primär männlich ist und der auch sehr wohlhabend ist. Und der „Rest“ der Bevölkerung, der hat gerade leider nichts in dem Thema zu sagen. Wenn wir davon sprechen, dass wir die Klimakrise aufhalten wollen, dann müssen wir auch darüber sprechen, wie wir unsere Wirtschaft radikal verändern können. Wie können wir ein ganz anderes Wirtschaftssystem aufbauen? Eines, das nicht Menschen ausbeutet, nicht die Natur ausbeutet. Und wie können wir es schaffen, unsere Gesellschaft zu demokratisieren? Entscheidungsstrukturen zu schaffen, die wirklich alle Menschen teilhaben lassen? Weil es natürlich auch nichts nützt, wenn man die alten Entscheidungsstrukturen, die nicht transparent und demokratisch sind und von patriarchaler Macht geprägt, wenn man die einfach mit mehr Frauen besetzt. Wir brauchen ganz andere Entscheidungsstrukturen. Und deswegen bedeutet die Klimakrise aufhalten, dass man auch für Feminismus einsteht, für die Rechte der Frauen einsteht. Dass Frauen aktiv in den Entscheidungsstrukturen beteiligt werden.

„Wir haben es noch nicht geschafft, auf UN-Ebene für globalen Klimaschutz einzutreten“

DC: Und darum ist es auch so wichtig für Dich, dass Du Dich weiter global vernetzt und auch bei den UN-Klimakonferenzen teilnimmst? Kannst Du da ein bisschen zu erzählen?

KH: Genau! Ich habe ungefähr vor zehn Jahren begonnen, an den UN-Klimakonferenzen teilzunehmen. Und ich sehe die Klimakonferenzen auch sehr kritisch, in dem Sinne, dass wir jetzt die 25. UN-Klimakonferenz haben und es bisher noch nicht geschafft haben, wirklich auf UN-Ebene für globalen Klimaschutz umzusetzen. Wir haben es noch nicht geschafft, über diesen Weg die Welt zu retten, kann man so sehr platt sagen. Aber gleichzeitig sind sie auch wichtig, weil sie Vertreterinnen aus dem globalen Süden die Möglichkeit geben, die Stimme zu erheben, und uns die Möglichkeit, uns zu vernetzen. Was ich auch von den UN-Klimakonferenzen mitgenommen habe, ist unglaublich viel Wissen von Frauen, besonders von indigenen Frauen aus Ländern des globalen Südens, die ich sonst nicht getroffen hätte. Wir haben global Banden gebildet oder unterstützen uns global sehr stark mit gemeinsamen Projekten, mit gemeinsamen Machtkämpfen gegen patriarchale männliche Strukturen, die leider auch aufgrund der Kolonialisierung global stattfinden. Deswegen ist es einfach sehr, sehr wichtig, dass wir nicht nur regional schauen, wie wir aktiv werden können, sondern wie wir die einzelnen, meistens Graswurzelbewegungen global verbinden können und dann gemeinsam eine andere solidarische Welt aufbauen? Ganz egal, was patriarchale Machtstrukturen dazu sagen.

„Leider bleibt uns auch immer noch nichts anderes übrig, als uns halt mit unseren Körpern vor die Bagger zu stellen“

DC: Jetzt kommen wir mal zu Ende Gelände2. Ende Gelände hat sich 2014/2015 –  gegründet kann man nicht sagen – formiert? Aus welchem Spektrum heraus kam die Bewegung?

KH: Ende Gelände hat sich als europäisches Klimabündnis gefunden, weil wir gesehen haben, dass niemand so richtig über Kohle spricht. Gerade hier in Deutschland. Kohle ist einer der Hauptverursacher von CO2 in Deutschland. Wenn wir mit Sofortmaßnahmen eine Notbremse ziehen und die Klimakrise aufhalten wollen, dann müssen wir ran an die Kohle. Dann müssen wir sofort aussteigen. Das ist unsere lokale Verantwortung hier in Deutschland. Aber niemand hat darüber wirklich gesprochen. Das war so ein bisschen ein Tabuthema. Und auch große Verbände, aber auch Parteien haben sich da sehr schwer getan, weil natürlich sofort die Frage kommt, was ist mit den Beschäftigten? Wie findet man da Lösungen? Inwieweit findet man sich dann plötzlich in einem Streit mit den Gewerkschaften? Deswegen gab es sehr starken Widerstand, überhaupt das Thema anzugehen. Aber für uns war es wichtig und für uns war es auch wichtig, ein Akteur zu sein, der sehr klar sagt, was eigentlich aus der Perspektive der Klimakrise passieren muss. Dass wir einfach keine Zeit mehr haben und jetzt raus aus der Kohle müssen. Hätten wir freundlich darum gebeten, hätte uns keiner zugehört. Und niemand hätte verstanden, warum uns das so wichtig ist. Deswegen haben wir uns entschieden, einfach in die Kohlegruben zu gehen und uns mit unseren Körpern vor die Bagger zu stellen. Um damit sehr klar zu machen, dass wir Klimaaktivst_innen jetzt Verantwortung übernehmen. Dass wir nicht mehr daneben stehen und zusehen wollen, wie die Art und Weise, wie wir hier leben, in anderen Regionen der Welt so viel Leid verursacht, und dass es einfach unsere Verantwortung ist, dagegen jetzt vorzugehen. Leider blieb uns in dieser Situation nichts anderes übrig und leider bleibt uns auch immer noch nichts anderes übrig, als uns mit unseren Körpern vor die Bagger zu stellen. Weil die Politiker_innen einfach nicht handeln oder nicht genug handeln und die Wirtschaftsverbände auch nicht unbedingt zuhören.

DC: Deshalb ist es auch so wichtig, dass sich so viele tausend Menschen bei Ende Gelände mit ihren Körpern – wie Du sagst, auch auf eigene Gefahr – zum Teil vor die Polizei und vor die Bagger und in die Grube und auf die Schienen stellen.

KH: Am Anfang waren wir nicht 6.000, so wie das letzte Mal, sondern da waren wir nur etwas über 1.000. Und dann wurden es jedes Jahr mehr Aktivist_innen, die aus ganz Europa gekommen sind. Es war jedes Mal eine sehr internationale Aktion. Das letzte Mal waren wir deutlich über 6.000, die in den Tagebau geflutet sind. Das zeigt auch, dass immer mehr Menschen diesen Schritt wagen. Denn es macht keinen Spaß, in eine Kohlegrube zu gehen, es birgt natürlich Gefahren. Aber dieses Risiko einzugehen und zu sagen: „Mir ist es das jetzt wert, durch die Polizeiketten zu fließen in den Tagebau rein, all das auf mich zu nehmen, um den klaren Punkt zu setzen: Wir müssen jetzt raus aus der Kohle und es kann einfach nicht so weitergehen.“

Was ich über die Jahre auch beobachtet habe: Am Anfang waren es Aktivist_innen in meinem Alter, junge Aktivist_innen, das letzte Mal habe ich sehr viele Eltern getroffen, Eltern von kleinen Kindern, die gesagt haben: „Meine Kinder sind noch zu klein dafür, aber ich gehe jetzt für meine Kinder in die Grube.“ Da hat Fridays for Future einfach unglaublich viel bewirkt. (…) Man hat dann einfach gesehen, die Kinder begreifen, worum es geht und dann die Eltern. Denn es ist nicht normal, dass  Eltern für ihre Kinder in die Kohlegrube gehen. Wir leben in einer ganz absurden Welt, wo so etwas nötig zu sein scheint.

DC: Es gab ja auch einen „Bunten Finger“, wo auch Eltern mit kleinen Kindern, Kinderwagen und Menschen mit Gebrechen und Handicap, Rollstuhlfahrer_innen mitgefahren sind und sich schützend vor die anderen Finger gestellt haben.

KH: Genau, das war uns dieses Mal sehr wichtig. Also eine Rollstuhlfahrerin hatte sich bei uns gemeldet und gesagt so: „Hey, ich will mitmachen.“ Und dann haben wir gesagt: „Okay, dann machen wir das möglich.“ Dann haben sich natürlich noch mehr gemeldet, als sie das gehört haben, und wir haben den „Bunten Finger“ gegründet. Das war jetzt das erste Mal, der wird das nächste Mal aber auch wieder stattfinden, um all jenen, die aus welchen Gründen auch immer nicht mit in die Grube können, nicht die Abhänge mit runterrutschen können, eine Möglichkeit zu geben, teilzuhaben. Wir versuchen sozusagen, Aktivismus so zu machen, wie wir ihn auch leben, wie wir eigentlich die Gesellschaft haben wollen: dass alle daran teilnehmen können. (…)

DC: Kannst Du was über die nächsten Aktionen von Ende Gelände erzählen, soweit das geht?

KH: Unser Widerstand als Klimabewegung hat gerade erst begonnen. Und die nächste Aktion wird in der Lausitz stattfinden und nächstes Jahr wird es natürlich weitergehen. Ende Gelände war eines der ersten Klimabündnisse, die massenhaft den zivilen Ungehorsam gemacht haben und mittlerweile gibt es viele. Mittlerweile gibt es  u.a. „Sand im Getriebe“, Free the Soil, AufBäumen und am Boden bleiben. Dann gibt es natürlich neue Bewegungen wie Extinction Rebellion, also es hat sich sehr viel getan. Europaweit gibt es jetzt ähnliche Bündnisse und da ist natürlich die spannende Frage, wie können wir als Klimabewegung in unserer Vielfalt zusammenkommen? Wie können wir weiter gemeinsam Druck machen und Klimaschutz durchsetzen? Indem wir Kohlekraftwerke stilllegen, indem wir vielleicht auch mal andere Ziele der fossilen Industrie stilllegen. Es ist ja nicht nur die Kohle. Wir müssen auch ran an Öl, wir müssen ran an die Autokonzerne und da als Akteur einfach klar pushen.

„Ich lasse mich nicht so einfach von einem Kohlekonzern einschüchtern“

Aus Protest gegen Kohlekraft und wegen der in Bonn stattfindenden Weltklimakonferenz dringen Aktivisten der Initiative EndeGelände in den Tagebau Hambach ein und versuchen auf einen Bagger zu gelangen. Bild: Polizei kesselt Aktivisten in der Grube.

DC: RWE hat dieses Jahr versucht, Dich – wahrscheinlich exemplarisch, weil Du die Sprecherin von Ende Gelände bist – mit einem Hausverbot einzuschüchtern? Man wollte Dich zwingen, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben.

KH: (lacht) Genau. Ich war auf der Hauptversammlung von RWE. Die kritischen Aktionäre haben mir ein Rederecht gegeben und deswegen habe ich eine Rede gehalten und den weißen alten Männern aus dem RWE-Vorstand, die wenige Meter von mir entfernt saßen, sehr klar gemacht, wie dringlich die Klimakrise ist und was wir vorhaben und was sie eigentlich tun sollten. Das fanden sie nicht so witzig, dass da plötzlich diese junge Frau von Ende Gelände stand und an ihnen Kritik geübt hat. Und dann haben sie ihre Anwälte auf mich angesetzt und ich bekam ein Hausverbot und eine Unterlassungserklärung, die ich unterzeichnen sollte. Diese habe ich nicht unterschrieben, ich lasse mich nicht so einfach von einem Kohlekonzern einschüchtern. Aber die Situation zeigt auch, dass RWE sich nicht zu schade ist, solche Repressionen zu fahren und dass sie glauben, mit solchen Einschüchterungsversuchen Erfolg zu haben. Und das sehen wir global: Große Konzerne versuchen immer, ihre Kritiker_innen einzuschüchtern, aber das dürfen wir einfach nicht zulassen. Als Umweltbewegung werden wir da sehr stark dagegenhalten.

DC: Hast Du noch weitere Repressionen oder Bedrohungen gegen Dich oder Menschen in Deinem Umfeld erlebt?

KH: Ja. Die Polizei hat auch versucht, ihre Scherze zu treiben. Ich habe jetzt eine Anzeige wegen eines Tweets. Wir machen uns immer so ein bisschen lustig über andere Länder, wo Menschen wegen Tweets angezeigt werden. Im Rheinland werden sie auch angezeigt. Ich, weil ich einen Mobilisierungs-Tweet losgelassen habe, wo ich gesagt habe: „Hey, kommt alle am Sonntag zum Waldspaziergang in den Wald.“ Das hat die Polizei angezeigt und auf diesem Waldspaziergang ist sie dann gezielt auf mich zu und hat mich rausgepickt und mir noch eine andere Anzeige gegeben. Das war ein gezielter Versuch, wie kann man die pressesprechende Person von Ende Gelände piesacken, ärgern, einschüchtern? Meine Anwälte kümmern sich darum. Von so etwas darf man sich nicht einschüchtern lassen. (…)

Was mich immer sehr erschreckt, ist – also es verwundert mich nicht, aber es ist trotzdem erschreckend –, wie gerade auf Social Media, auf Facebook und Twitter besonders eher männliche Personen, wenn man das anhand der Account-Namen überhaupt identifizieren kann, meinen, sie hätten das Recht, Drohungen auszusprechen. Das fängt an mit „Du blödes Mädchen“ und geht bis hin zu Vergewaltigung- oder Prügelandrohungen. Es ist gerade im Rheinland, wenn man schaut – besonders bei Facebook kann man das sehr schnell sehr offen nachlesen –, dass da auch viele Menschen sind, die sich dem RWE-Konzern irgendwie nahe fühlen und mit sehr toxischer männlicher Aggressivität meinen, über ihre Social Media-Accounts Drohungen aussprechen zu können. Gegen mich, wenn ich mich irgendwo äußere oder wenn sie irgendwo ein Interview von mir gefunden haben, gegen andere Klimaaktivist_innen. Mir passiert das halt besonders im Rheinland, anderen Klimaaktivist_innen passiert es in ihren Regionen oder bundesweit. Greta wird international angefeindet. Und das ist, glaube ich, auch ein Spiegel unserer Gesellschaft. Wieviel Hass in vielen Menschen steckt und wieviel Aggression einfach da vorhanden ist gegenüber Menschen…

DC: Gegenüber Menschen, die anders denken.

KH: Ja.

„Es gibt immer Augenblicke, wo Akteur_innen die Gesetzeslage überschreiten müssen, um auf großes Unrecht aufmerksam zu machen“

DC: Was bedeutet ziviler Ungehorsam für Dich?

KH: Es gibt immer wieder in der Geschichte der Menschheit Augenblicke, wo man leider nichts mit lieben Bitten erreichen kann. Es gibt immer Augenblicke, wo Akteur_innen bewusst die aktuelle Gesetzeslage ein wenig überschreiten müssen, um auf großes Unrecht aufmerksam zu machen. Mein Vorbild ist da sehr klar die Frauenbewegung vor 100 Jahren, die dafür gestritten hat, dass es ein Frauenwahlrecht gibt. Das war damals etwas Unvorstellbares. Aber Frauen haben sich zusammengefunden, sie haben Banden gebildet, haben auch mit zivilem Ungehorsam ihr Recht zu wählen, erkämpft. Was wir, was meine Generation tut, wir sehen uns einfach konfrontiert mit der Klimakrise, mit der großen Ungerechtigkeit der Klimakrise, gleichzeitig mit einer Politik, die versagt, einer Gesellschaft, die versagt. Die sich auf „Das machen wir halt so, und so sind die Gesetze“ beruft. Wir übertreten die Gesetze, indem wir den Tagebau übertreten und uns vor die Bagger stellen, um einfach ein sehr deutliches Symbol zu setzen: Was hier passiert, ist Unrecht und wir begehren dagegen auf.

„In Deutschland geht es nicht allen Menschen gut, wir haben große Gefälle von sozialer Gerechtigkeit“

DC: „Uns geht es doch gut in Deutschland“, das hört man ja auch immer. „Warum Widerstand leisten, wenn es uns hier doch so gut geht?“ Sollte dennoch Widerstand wieder Pflicht sein?

KH: In Deutschland geht es nicht allen Menschen gut. Wir haben große Gefälle von sozialer Gerechtigkeit. Wohlstand ist sehr ungleich verteilt. Wir müssen auch in Deutschland einfach sehr, sehr viel tun. Wir haben ein sehr repressives Hartz-IV-System. Für mich bedeutet Klimagerechtigkeit auch, dass wir unsere Gesellschaft zukunftsfähig machen. Denn wir werden weniger Arbeitsplätze haben in Bereichen, die nur darauf ausgelegt sind, dass man kurzfristig Konsumgüter produziert. (…)

Klimagerechtigkeit in Deutschland bedeutet auch, dass wir unsere Sozialsysteme umbauen und zukunftsfähig machen. Dass wir eine existentielle Grundsicherung für alle Menschen haben, statt diese Hartz-IV-Repressionssysteme. Dass wir es schaffen, gut bezahlte Jobs in der Pflege zu haben, in der Kinderbetreuung, in der Bildung. Und weniger Jobs in Bereichen, die nur kurzfristige Konsumgüter produzieren. Dass wir weniger Jobs haben werden im Bereich der Autoindustrie, aber gleichzeitig mehr Jobs im Bereich ÖPNV-Infrastruktur, also öffentlicher Nahverkehr. Klimagerechtigkeit bedeutet nicht nur, dass wir eine CO2-neutrale Gesellschaft haben und ansonsten bleibt alles wie es ist, sondern dass wir eine sozial gerechte und basisdemokratische Gesellschaft erkämpfen und eine gleichberechtigte Gesellschaft. (…)

DC: Das würdest Du wahrscheinlich auch den Menschen sagen, die in der Braunkohleregion um ihre Jobs fürchten und von RWE auch benutzt werden?

KH: Wir brauchen gerade im Rheinland im Braunkohlerevier jetzt eine soziale Transformation. Da ist unglaublich viel Potenzial, wenn wir in erneuerbare Energien investieren. Wenn wir neue Technologien in diese Region bringen. Wenn wir diese Region eher als Zukunftswerkstatt sehen. Wie kann eine Gesellschaft aussehen? Wie können wir neu miteinander leben? RWE versucht, die Gewerkschaften gegen Klimaaktivist_innen aufzustacheln. Das Traurige daran ist, dass RWE als Kohlekonzern am Ende des Tages die Arbeitsplätze egal sind, sondern es nur darum geht, große Gewinne für ihre Aktionäre zu erwirtschaften. Deswegen darf man sich da nicht auf große Kohlekonzerne verlassen. Statt dieser Art der Energiegewinnung brauchen wir zum Beispiel mehr Energie in Bürger_innenhand, also Energiegenossenschaften, dezentrale erneuerbare Energieversorgung. (…)

DC: Macht es Dich nicht ungeheuer wütend oder frustriert es Dich nicht, wenn nach der letzten Ende Gelände-Aktion über ein Möhrenfeld debattiert wird, das, wie ich gehört habe, schon längst abgeerntet war, aber nicht über die heftige Polizeigewalt gegen Menschen oder auch über die Ungerechtigkeiten, die der Klimawandel mit sich bringt? Ein Möhrenfeld, das auch bei den Politiker_innen plötzlich viel wichtiger ist als alles  andere?

KH: Ja, die Geschichte mit Bauer Willi ist total absurd und es ist unglaublich, wie die Medien, aber auch Politiker_innen darauf eingegangen sind. Diese Story und wie diese Story besonders in Medien wie der BILDrepräsentiert worden ist, zeigt, dass wir einen Nerv getroffen haben. Und dass die dann halt Ablenkung versucht haben. Dass sie nicht darüber schreiben, warum stellen sich  diese Klimaaktivist_innen vor die Kohlebagger und warum ist das so dringlich, sondern sie schreiben lieber über ein paar Möhren, die noch nicht einmal Bauer Willi gehören und über einen alten weißen Mann, der sich da hinstellt und sehr, sehr viel jammert, obwohl er gar nicht selber betroffen ist. Der einfach nur sehr viel Aufmerksamkeit haben wollte (…).

DC: Wie gehst Du dann mit so einer Wut oder Frustration um, die Du auch oft erlebst? Oder erlebst Du die nicht?

KH: Wut erlebe ich eigentlich gar nicht. Ich bin einfach sehr verärgert über die Politiker_innen und ich möchte denen das nicht durchgehen lassen. Ich möchte sie zur Verantwortung ziehen und ich bin besonders verärgert über die aktuelle Landesregierung von NRW, die vor einem Jahr den Hambi geräumt hat und nun versucht, das zu vertuschen, wer welche Absprachen gehabt hat. Ich bin verärgert über einen Kohlekonzern, der einfach so weitermachen will wie bisher. Und dann auch noch versucht, sehr viel Geld als Entschädigung dafür zu erhalten, dass er vielleicht etwas weniger abbaggert. Ich möchte all denen das einfach hier im Rheinland nicht mehr durchgehen lassen, dass das eine Region ist, die so viel Leid verursacht. Deswegen geht es für mich darum, denen das Handwerk zu legen und diese Machstrukturen aufzubrechen und gemeinsam mit allen Menschen wirklich demokratisch dafür zu sorgen, dass wir Klimagerechtigkeit umsetzen.

„Was wir als Klimasofortmaßnahme wirklich brauchen, ist, dass jetzt, 2019, Kohlekraftwerke abgeschaltet werden“

 

DC: Wie ist Deine Einschätzung zu den Ergebnissen der Kohlekommission und zum Klimapaket?

KH: Die Ergebnisse der Kohlekommission sind für die Tonne. Sie werden noch nicht einmal umgesetzt, ein Kohlegesetz wird vermutlich dieses Jahr nicht mehr kommen, nächstes Jahr auch nicht, und es reicht einfach nicht. Es reicht nicht für das Zwei-Grad-Ziel. Das Ziel ist eine Milliarde Tonnen CO2 am Zwei-Grad-Ziel vorbei. Und dieses Zwei-Grad-Ziel ist einfach sehr gefährlich, weil auch dort schon Kipppunkte des Klimasystems anfangen, überschritten zu werden. Was wir als Klimasofortmaßnahme wirklich brauchen, ist, dass jetzt, 2019, Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Und das ist problemlos möglich. Die Industrie versucht sich aber, den Kohleausstieg noch zu vergolden, und sie sieht nicht ein, auf ihre kurzfristigen Profite zu verzichten. Hier wäre die Politik gefragt, sie zu maßregeln. Das tut sie aber nicht, und deswegen ist es die Bevölkerung, die jetzt einschreiten muss, die massiven Druck durch große Demonstrationen aufbauen muss, durch zivilen Ungehorsam, sich durch vielfältige andere Arten von Aktionen einmischen muss. Erst so werden wir es schaffen, dass Kohlekraft wirklich der Vergangenheit angehört. Gleichzeitig war die Kohlekommission eine sehr intransparente Kommission, die hinter verschlossenen Türen getagt hat. Das sie überhaupt in dieser Art und Weise angesetzt wurde, da war von Anfang an klar: Das ist ein sehr vergiftetes Angebot, diese Kohlekommission, da wird nichts Gutes bei rauskommen. Wenn wir Klimaschutzmaßnahmen ergreifen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass da ein guter Weg hinführt.

DC: Und das Klimapaket?

KH: Das ist genauso.

„Wir müssen sehr hart daran arbeiten, schnell eine klimaneutrale Gesellschaft zu werden“

DC: Hast Du konkrete Forderungen oder hat Ende Gelände konkrete Forderungen an die Politik? Eine hast Du ja gerade gesagt, ein sofortiges Abschalten aller Kohlekraftwerke. Gibt es weitere konkrete Forderungen?

KH: 1,5 Grad. Unsere Forderungen sind eigentlich ganz einfach: Wir möchten, dass die Politik aufhört, uns mit Beruhigungspillen wie dem Klimapaket oder der Kohlekommission abzuspeisen. Und dass sie die Ernsthaftigkeit der Lage begreift. Wir wollen, dass wir alles dafür tun, um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten. Denn ab 1,5 Grad werden die Kipppunkte überschritten. Wir haben diesen Sommer erlebt, was in den arktischen Regionen passiert. Von Bränden, die eigentlich für 2090 vorhergesagt worden sind. Deswegen ist es so wichtig, dass wir begreifen, wie ernst die Lage ist und dass wir jetzt Sofortmaßnahmen ergreifen müssen. Es geht um dieses Jahr und es geht um die nächsten zwei, wo wir unsere ganze Art zu wirtschaften und zu konsumieren grundlegend verändern müssen. Wir müssen sehr hart daran arbeiten, möglichst schnell eine klimaneutrale Gesellschaft zu werden. Wenn wir dieses Zeitfenster, das Mini-Zeitfenster, das nur im Jetzt existiert, wenn wir das verpassen, dann werden wir das Klimasystem bald nicht mehr unter Kontrolle haben. Denn wenn erst einmal die Permafrostböden auftauen oder wenn erst einmal die kontinentalen Eisschilde wie auf Grönland beginnen, sehr schnell abzuschmelzen, oder wenn es beginnt, dass der Amazonas sich immer weiter zur Steppe verwandelt, dann sind das Prozesse, die wir als Menschen nicht mehr aufhalten können. Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt handeln. Wir haben keine fünf Jahre mehr, wir haben keine zehn Jahre mehr, wir haben nur noch 2019, 2020, das muss uns sehr bewusst sein.

DC: Dann geistert immer diese zwei Prozent-Zahl durch die Medien. Dass Deutschland zu zwei Prozent für die CO2-Emissionen verantwortlich ist, was von vielen zum Argument genommen wird, dass Deutschland hier keine Rolle spielen kann. Was entgegnest Du diesen Menschen?

KH: Das ist Humbug. Deutschland hat zum ersten eine klimahistorische Verantwortung. Seit der Industrialisierung verfeuern wir unglaublich viel Kohle, besonders Braunkohle, Steinkohle und andere fossile Brennstoffe. Es geht nicht nur darum, was wir jetzt gerade emittieren, sondern es geht darum, was wir die ganzen letzten 150 Jahre ausgestoßen haben und damit die aktuelle Klimakrise verursacht haben. Das hat uns gleichzeitig sehr viel Wohlstand gebracht, die Industrialisierung, aber auf Kosten der Menschen in Ländern des globalen Südens und auf den Kosten der Zukunft unserer Kinder.

Deutschland gehört global immer noch zu denen, die am meisten CO2 emittieren, hier muss man auf den Ausstoß pro Kopf schauen. Klar, wenn man China als Land nimmt und es gleichsetzt zu allen anderen Ländern, dann sind da die Emissionen gestiegen. Aber wenn man sich das pro Kopf anschaut, dann sind die Emissionen in China noch sehr gering. Und gleichzeitig liegen sie in Deutschland aktuell bei ungefähr elf Tonnen pro Kopf. Wir dürften eigentlich nur um die eine Tonne pro Kopf pro Jahr emittieren. Deutschland ist pro Kopf noch sehr klar einer der sehr starken Emittenten und hat deswegen auch eine sehr starke Verantwortung.

„Im Hambacher Forst haben wir begonnen, eine andere Welt zu leben“

DC: Was bedeutet der Hambacher Wald für Dich?

KH: Der Hambacher Forst, Hambi genannt, der ist nicht nur ein Ort des Widerstandes, sondern der ist auch ein Ort, wo wir begonnen haben, eine andere Gesellschaft zu leben. Indem wir zuerst solidarisch zusammenstehen, unterschiedliche Akteur_innen. Der Hambi ist in zweierlei Hinsicht ein Symbol. Auf der einen Seite ist er ein Symbol für all die Ökosysteme, die weltweit unter sehr starken Druck geraten und beginnen, zu kollabieren. Weil auch der Hambi wie alle anderen mitteleuropäischen Wälder beginnt, unter der Hitze und der Dürre in den letzten Jahren zu leiden und einfach nicht gut damit klarkommt, plötzlich in einer anderen Klimazone zu leben. Auch wenn man durch den Hambi spaziert, in diesem Sommer, im letzten Sommer, hat man gemerkt, der Wald leidet massiv unter der Klimakrise. Deswegen steht er für mich sehr symbolisch dafür, was gerade mit unseren alten Wäldern global passiert.

Und dann ist der Hambi gleichzeitig ein unglaubliches Symbol der Hoffnung. Vor einem Jahr, vor eineinhalb Jahren, haben wir nicht geglaubt, dass wir den Hambi retten können. Das war ein sehr verzweifelter Kampf, den wir da geführt haben. Wir sind davon ausgegangen, dass die Landesregierung, dass der Kohlekonzern, ihn mit aller Macht räumen wird, was sie dann auch getan haben, und ihn dann auch roden wird. Und dann die Erfahrung zu machen, wenn wir wirklich alle zusammenkommen, am Ende 50.000 demonstrieren, dass wir ihn dann retten können. Denn erst als die 50.000 demonstriert haben, erst dann war das Thema in der Kohlekommission aktuell. Und erst dann wurde in der Kohlekommission das Wort wünschenswert hineingeschrieben. Dass der Wald wünschenswert zu erhalten ist. Und daran kann man halt sehen, okay, wenn wir 50.000 brauchen, um den Hambi zu retten, wie viele brauchen wir, um das ganze Klimasystem, um alle Ökosysteme zu retten? Da brauchen wir Millionen, wenn nicht gar Milliarden Menschen, die sich einmischen, die demonstrieren, protestieren und die beginnen, selber Politik zu machen.

DC: Und jetzt bist Du mit Deinen 32 Jahren schon lange aktiv. Wenn Du jetzt die 14, 15-jährigen Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future siehst, die auf die Straße gehen, welchen Rat gibst Du ihnen mit?

KH: Sie sollen auf sich selbst hören. Weil jede Generation selber lernen und sich selber finden muss. Ich habe es immer als unglaublich nervig empfunden, wenn die ältere Generation sich bei mir eingemischt hat. Sehr wichtig ist, dass wir solidarisch zusammenstehen. Also wenn es halt junge Klimaaktivist_innen gibt, die zum Beispiel ein Rhetoriktraining brauchen oder Pressetraining, dann machen wir die Kurse. Unser Wissen ist deren Wissen. Da ist keine Frage. Was ich aber an der Fridays for Future-Bewegung einfach grandios finde gerade: dass da unglaublich viele sehr junge Frauen sind, die sehr klar darum kämpfen, gehört zu werden. Denn Frauen werden im Bereich Klima- und Energiepolitik immer noch nicht gleichberechtigt gehört. Dass sie da sehr laut vertreten sind, das gibt mir unglaubliche Hoffnung, dass wir es noch schaffen, gemeinsam diese andere Welt aufzubauen, von der wir träumen.

DC: Möchtest Du abschließend noch was sagen? Ist noch irgendein wichtiger Punkt nicht berücksichtigt worden?

KH: Weiß nicht. Ich habe bestimmt wieder ganz viel vergessen. Aber eigentlich ist alles gut.

DC: Okay. Dann danke ich für das Interview.

KH: Danke Euch.

Interview: Daniela Collette (Bochum)
Fotos: ©Ende Gelände
Redaktion: Dr. Irmtrud Wojak
Kontakt: info@fritz-bauer-blog.de

Anmerkungen:

Armin Laschet (CDU) ist seit Juni 2017 Ministerpräsident des Bundeslandes Nordrhein Westfalen (NRW).

Ende Gelände ist eine Klimaschutzgruppe, die mit Massenaktionen des zivilen Ungehorsams gegen den Klimawandel und für Klimagerechtigkeit kämpft.

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