Der lange Schatten einer Ordensaffäre

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11.02.2024

Ein Rückblick aus aktuellem Anlass

Von Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) – Dem Chefredakteur des Israelitischen Wochenblattes in Zürich, Kurt Roschewski, flatterte im März 1964 ein Text auf den Tisch, der ihm den Atem verschlug. Er offerierte ihn seiner Leserschaft mit den Worten: „Dieser Tage erhielten wir aus Frankfurt die folgende Mitteilung“:

„Man fragt sich, welcher Teufel die Ordenskanzlei des deutschen Bundespräsidenten geritten hat, als sie einen Mann zur Auszeichnung mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland vorschlug, dessen Namen im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Verfolgung in höchst unangenehmer Erinnerung ist. Wir meinen den ehemaligen Direktor im IG-Farbenkonzern und vormaligen SS-Obersturmbannführer Dr. Ing, Heinrich Bütefisch.

Bütefisch wurde vom alliierten Militärtribunal in Nürnberg 1948 wegen der nachgewiesenen Beteiligung an der Versklavung und Tötung der Zivilbevölkerung, von Kriegsgefangenen und Konzentrationslager-Insassen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Bütefisch war mitverantwortlich für die Verwendung und die Behandlung von Häftlingen des Lagers Auschwitz-Monowitz in den Unternehmungen des IG Farben Konzerns am selben Ort. An der Verbindung zwischen SS und IG Farben profitierten diese beiden in großem Ausmaße. Als Mitglied des Freundeskreises von Himmler unterstützte Bütefisch im Auftrag seiner Firma die SS auch durch direkte Finanzbeiträge.

Durch eine solche Ordensverleihung, die man kaum für möglich gehalten hätte, wird das Ansehen der deutschen Bundesrepublik nicht gerade gestärkt. Man muss sich fragen, wie es geschehen konnte, dass Bundespräsident Lübke so unvollständig über die Vergangenheit Dr. Bütefischs  unterrichtet wurde und dass ihm dessen Mitwirkung  an den verabscheuungswürdigen Vorkommnissen in Auschwitz unbekannt blieb.“

Diesen Artikel schickte ich an das Israelitische Wochenblatt der Schweiz, nachdem es mir nicht gelungen war,  die zuständigen Stellen in Deutschland mit einer Schlagzeile auf der ersten Seite der in Frankfurt am Main erscheinenden Wochenzeitung Die Tat wachzurütteln und zur Rücknahme dieser Beleidigung von Millionen Opfern des Holocaust zu bewegen. Mein Artikel auf der ersten Seite der Ausgabe vom 21. März 1964 lautete folgender Maßen: 

“Es war in der Woche der Brüderlichkeit. In vielen Städten der Bundesrepublik fanden würdige Veranstaltungen statt. Staatsmänner und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gaben gut klingende Erklärungen ab. In der Frankfurter Paulskirche wurde in Anwesenheit des Bundespräsidenten Dr. Lübke dem verdienstvollen Wissenschaftler Prof. Dr. Fritz Kauffmann der „Paul-Ehrlich und Ludwig-Darmstädter-Preis“ verliehen. Bei dieser Gelegenheit mahnte der Bundespräsident zur Ehrfurcht und wies auf die „schrecklichen und verabscheuungswürdigen Vorkommnisse“ hin, die jetzt im Auschwitz-Prozess zur Sprache kommen.

Doch welch fataler Zufall: Einige Tage zuvor war dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Ruhrchemie AG, Dr. Ing. Heinrich Bütefisch, das Große Bundesverdienstkreuz verliehen worden. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Gerhard Kienbaum hatte es ihm im Namen des Bundespräsidenten in Oberhausen überreicht – demselben Dr. Heinrich Bütefisch, der 1948 vom Militärgerichtshof in Nürnberg zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war, weil er nachweislich für die Ausbeutung von 300.000 Häftlingen des KZ-Lagers Auschwitz verantwortlich gewesen ist. Er hatte vornehmlich jüdische Männer und Frauen von den SS-Sklavenhaltern für ein geringes Entgelt „gemietet“. Es ist derselbe Dr. Bütefisch, der als SS-Sturmbannführer und Wehrwirtschaftsführer dem Freundeskreis Himmlers angehörte und im Auftrag der IG-Farbenindustrie der SS größere Geldsummen zur Verfügung gestellt hatte, u.a. einmal 100.000 Reichsmark. (Siehe Die Tat Nr. 10 vom 7. 3. 1964)

Der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ist am 7. September 1951 durch den damaligen Bundespräsidenten Prof. Heuss in dem Wunsche gestiftet worden, verdienten Männern und Frauen des deutschen Volkes  und des Auslandes Anerkennung und Dank sichtbar zum Ausdruck zu bringen, wie es in der Präambel des Erlasses heißt. Über alle Ordensvorgänge, die nach den aufgestellten Richtlinien vertraulich behandelt werden, wacht die Ordenskanzlei des Bundespräsidialamtes. Es wäre gewiss nicht uninteressant einmal zu analysieren, wer sich im Laufe der letzten Jahre so große persönliche Verdienste um Staat und Volk erworben hat, um mit dem Großkreuz, dem Großen Bundesverdienstkreuz oder dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet zu werden. Dass ehemalige Hitlergenerale wie Speidel und Heusinger und der ehemalige Regierungsrat im Nazi-Innenministerium, der spätere Staatssekretär Dr. Globke, zu den Dekorierten gehören, haben wir bereits früher mit Empörung zur Kenntnis nehmen müssen. Und sie sind ganz gewiss nicht die einzigen, die trotz ihrer Mitwirkung an Maßnahmen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates zu den „neuen Herren“ geworden sind.

Jetzt also gehört auch der Dr. Heinrich Bütefisch zu der Elite der Ordensträger. Diese Auszeichnung zur Zeit der Woche der Brüderlichkeit und des Auschwitz-Prozesses mutet uns wie eine teuflische Satire an. Was soll man dazu sagen, dass in Frankfurt einigen der übelsten Menschenschinder und Totschläger von Auschwitz der Prozess wegen der  „schrecklichen und verabscheuungswürdigen Vorkommnisse“ gemacht wird, um die Worte des Bundespräsidenten zu gebrauchen,  und dass zur gleichen Zeit im Namen des Bundespräsidenten einem gerichtsnotorisch als Sklavenausbeuter Bestraften des Großen Bundesverdienstkreuz verliehen wird? Was sagt die Öffentlichkeit, was sagen die übrigen Träger des Verdienstordens zu diesem unwürdigen Akt, der uns die Schamröte ins Gesicht treibt?

Oder soll damit etwa die „Aussöhnung“ eingeleitet werden, von der Bundeskanzler Erhard auf dem CDU-Parteitag in Hannover gesprochen hat?

Der Orden für Bütefisch ist ein makabrer Beitrag zur Wochen der Brüderlichkeit, dessen Beurteilung auch auf jene zurückfällt, die diese unglaubliche Verhöhnung der Auschwitz-Opfer inszeniert haben.”

Der Chefredakteur der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz, Kurt Roschewski,  kommentierte meine Schilderung der Ordensaffäre Bütefisch  in der Ausgabe vom 27. März 1964 wie folgt:

Israelitisches Wochenblatt, 7. März 1964

„Da der Redaktion des ‚Israelitischen Wochenblattes’ zum Zeitpunkt des Eintreffens der Mitteilung aus Frankfurt  die Ordensverleihung an Dr. Bütefisch aus anderen Quellen noch unbekannt war, sah sie sich veranlasst, mit deutschen Stellen in Verbindung zu treten, um eine Bestätigung  dieser Nachricht zu erhalten.

Diese Bestätigung haben wir erhalten.

Die Ordenskanzlei zeigt sich zudem außerordentlich bestürzt über diese Panne. Es werden nunmehr Erhebungen darüber angestellt, weshalb in den routinemäßig eingeholten Berichten über den zu Ehrenden dessen Verknüpfung mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht enthalten war.

Eine der Auskunftstellen für die Ordenskanzlei ist das Bundesamt für Verfassungsschutz. Es bietet Anlass zu höchster Besorgnis, dass diesem Amt die Vergangenheit eines durch das Gericht verurteilten Naziverbrechers nicht bekannt sein soll!  Bevor es erwiesen ist, wollen wir nicht annehmen, dass dies auf die Kollusion der in diesem Amt noch immer tätigen Gestapo- und SS-Angehörigen zurückzuführen ist. Der Vorfall ist aber immerhin ein deutliches Indiz für die wiederholt kritisierte Einäugigkeit des Amtes für Verfassungsschutz in der Ausübung seines Mandates: Dieses Amt sieht die Bedrohung der deutschen demokratischen Verfassung anscheinend nur von links her und glaubt, die Gefahren von rechts her vernachlässigen zu können. Unbestreitbar ist das völlige technische Versagen in diesem Fall.

Unsere Intervention bei den deutschen Stellen hat dazu geführt, dass diese sofort,  und es sei dies mit aller Klarheit anerkannt, eine Untersuchung des Vorfalles angeordnet haben. In dieser Ordensverleihung müssen alle Inhaber des Bundesverdienstkreuzes eine Beleidigung sehen. Und sie stellt, sollte sie nicht sofort rückgängig gemacht werden, eine völlige Entwertung dieser hohen Auszeichnung dar. Die Untersuchung über die Entstehungsgeschichte dieses peinlichen Vorfalles muss dazu führen, dass die personelle, ideologische und psychologische Basis für eine Wiederholung restlos ausgemerzt wird.“

In der nächsten Ausgabe des Israelitischen Wochenblattes, sie erschien am 3. April 1964, würdigte Roschewski die – wie er formulierte – mutige Entschiedenheit, mit der Bundespräsident Lübke bei der Rücknahme des Verdienstordens gehandelt habe. „Wir stehen nicht an, die Promptheit, mit welcher eingegriffen wurde, in aller Form anzuerkennen. Es ist ein erfreuliches Zeichen, dass in diesem Fall die positiv-demokratischen Tendenzen innerhalb der Bundesrepublik sich mit Klarheit haben durchsetzen können. Indem wir dies anerkennen, verringern wir in keiner Weise die Besorgnis,  die uns angesichts der Tatsache erfüllt, dass dieser Ordensvorschlag und dass diese interimistische Ordensverleihung überhaupt erfolgen konnten.“ Es sei bezeichnend, dass die Freunde Bütefischs nicht die geringsten Bedenken gehabt hätten, diese Ordensverleihung anzuregen. Das sei schwerwiegend, weil es ein Licht auf die Geistesverfassung führender deutscher Industriekreise werfe und es sei besonders schwerwiegend, wenn man wisse, welchen Einfluss diese Kreise immer noch auf die deutsche Politik zu nehmen in der Lage seien.

„Auf einen weiteren schwerwiegenden Punkt in dieser Affäre haben wir in unserem letztwöchigen Kommentar bereits hingewiesen: das geradezu beängstigende Versagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dem solche Verleihungsvorschläge jeweils zur Begutachtung vorgelegt werden. Mit dem Widerruf dieser Ordensverleihung an einen Nazi-Verbrecher darf es nicht sein Bewenden haben. Die deutschen Behörden, die am Wiederaufbau des deutschen Ansehens in der Welt arbeiten, die neue Generation in Deutschland, die ein Anrecht auf die Befreiung von den grauenhaften Hypotheken der Vergangenheit hat, Europa und die Welt, die an der Festigung des demokratischen Geistes in Deutschland ein vitales Interesse haben – sie alle haben einen Anspruch darauf, dass die Grundlagen für die Wiederholung von ähnlichen Vorfällen, wie die Affäre Bütefisch eine darstellt, nicht nur erschüttert, sondern auch völlig zerstört werden. Dazu gehört die restlose Distanzierung vom Geist und von den Männern, die für die grauenhaften Verbrechen der Vergangenheit verantwortlich sind – von den Verbrechern in Uniform, den Verbrechern in den Ministerialkanzleien und den Verbrechern an den Direktionsschreibtischen der deutschen Industrie.“

Sechzig Jahre ist es her, seit Kurt Roschewski in der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz den Deutschen auf diese bewegende Art und Weise ins Gewissen redete. Es war derselbe Kurt Roschewski, der im März 1964 bei der Ordenskanzlei in Bonn angerufen hatte, um sich zu vergewissern, dass tatsächlich ein ehemaliger Ausbeuter von Auschwitzhäftlingen mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden ist. Welchen Grund hatten die Mitarbeiter der Ordenskanzlei, gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel zu behaupten, ein Unbekannter habe auf die NS-Vergangenheit von Bütefisch hingewiesen? Sechzig Jahre nach den Geschehnissen von damals hat es der deutsche Historiker Norbert Frei anscheinend nicht der Mühe für wert gefunden, hinter die Kulissen zu leuchten und nach möglicherweise verwischten Spuren zu suchen. Somit steht weiter die Vermutung im Raum, dass der jüdische Anteil an der Aufdeckung des größten Ordensskandals der Nachkriegsgeschichte aus politischen Gründen und ganz bewusst verschwiegen worden ist und bis heute weiter verschwiegen wird.

Was den Appell der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz betrifft, die Deutschen sollten niemals die Lehren der Vergangenheit vergessen, so scheint ein großer Teil der nachgewachsenen Generationen entschlossen, sich den Gefahren von rechts entschieden zu widersetzen. Es ist Gefahr im Verzug. Die Neonazis in der AfD und die in der Werteunion versammelten Konservativen vom rechten Flügel der CDU werden demnächst in mehreren Landesparlamenten über eine Mehrheit verfügen. Der brandenburgische AfD-Abgeordnete Lars Hürich hat bereits gefordert, sobald die AfD regiere, werde sie „diesen Parteienstaat abschaffen“. Den Umfragen nach liegt die AfD in Brandenburg derzeit bei rund 30 Prozent. Damit wäre sie mit Abstand stärkste Kraft im nächsten Landtag.

An den Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier habe ich am 7. Februar 2024 folgenden Brief gerichtet:

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

mir geht es darum, der von der Ordenskanzlei 1964 in die Welt gesetzten Lüge den Garaus zu machen, ein unbekannter Anrufer habe den damaligen Bundespräsidenten Lübke veranlasst, die Ehrung des ehemaligen Sklavenausbeuters von Auschwitz und späteren stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Ruhrchemie AG in Oberhausen, Heinrich Bütefisch, mit dem Großen Bundesverdienstkreuz  rückgängig zu machen. Das geht nur mit Ihrer Hilfe.

Den beiliegenden Dokumenten können Sie entnehmen, dass damals der Chefredakteur des „Israelitischen Wochenblattes“, der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz, Kurt Roschewski, angerufen und die Rücknahme des Ordens bewirkt hat. Die Ordenskanzlei hat wider besseren Wissens gehandelt, als sie den SPIEGEL auf eine falsche Fährte setzte, und der Historiker Norbert Frei hat es 60 Jahre später dabei belassen.

Die Angehörigen der jüdischen Familien, die unter dem Rassenwahn der Nazis gelitten haben, haben ein Anrecht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Zur Wahrheit gehört auch eine klare Antwort auf die Frage, warum die Ordenskanzlei des deutschen Staatsoberhauptes der Öffentlichkeit bis heute die jüdische Urheberschaft an der Aufdeckung des Skandals um die Ehrung eines Unwürdigen verschweigt.

Mit freundlichen Grüßen, 

Kurt Nelhiebel 

Autor: Kurt Nelhiebel (Bremen)
Webseite des Autors: www.kurt-nelhiebel.de
Kontakt: info@fritz-bauer-blog.de

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