Die Tortur:
Trailor zum Film
von Dieter Reifarth

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23.10.2018

Der Widerstandskämpfer und Schriftsteller Jean Améry starb vor 40 Jahren
Zur Publikation des Films DIE TORTUR von Dieter Reifahrt bei absolut Medien

Im Hinblick auf die nationale deutsche Erinnerungskultur, die sich Mitgefühl und Empathie auf die Fahnen schreibt, den Widerstand der Opfer und Überlebenden indessen weitgehend aus dem Blick verloren und noch keinen Ort dafür gefunden hat, ist vorweg zu sagen: Die Folter war nicht die Ursache dafür, dass Jean Améry am 17. Oktober 1978 von eigener Hand aus dem Leben schied. Die grenzenlose Hilflosigkeit, die das Opfer der körperlichen Überwältigung durchleidet und von der in dem Essay „Die Tortur“ aus dem Jahr 1965 die Rede ist, hat Jean Améry nicht bezwungen. Im Gegenteil stellte sich der Schriftsteller der äußersten Verletzung, die ein Mensch dem Menschen zufügen kann, mit einem Essay über die Folter, der seinem von Anfang an gegen die Nationalsozialisten geleisteten politischen Widerstand entsprach.

Jean Améry wurde 1912 in Wien als Sohn einer assimilierten jüdischen Familie geboren und floh 1938 vor den Nazis nach Belgien. Er ist 31 Jahre alt und Mitglied der Widerstandsbewegung in Belgien, als er am 23. Juli 1943 beim Verteilen antinazistischer Flugblätter in Brüssel verhaftet wird. In Fort Breendonk, einem so genannten Auffanglager unter brutaler SS-Verwaltung (heute belgisches Nationalmuseum), wird er inhaftiert, verhört und schwerstens gefoltert. 1944 wird er in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. 1945 erlebt er die Befreiung im Konzentrationslager Bergen-Belsen in der Nähe der niedersächsischen Stadt Celle.

Im Jahr 1966, nach dem Ende des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, erschienen Jean Améry’s Erinnerungen unter dem Titel Jenseits von Schuld und Sühne – Bewältigungsversuche eines Überwältigten in Form von fünf Essays, darunter der Text „Die Tortur”, den er für das SDR Radio selber vorgelesen und aufgenommen hat.

Von absolut Medien wurde jetzt auf einer DVD der höchst einfühlsame Film DIE TORTUR von Dieter Reifarth (58’38) publiziert, sowie als Ergänzungen DIE FESTUNG DERLOVEN (gelesen von Jochen Nix, 56’12), JEAN AMÉRY – BETRACHTUNGEN (von Jean Améry-Biografin Irène Heidelberger-Leonhard, 35’12) und vier Audiodateien, gelesen von Jean Améry für den SDR zwischen 1964 und 1966: „An den Grenzen des Geistes“ (58’37), „Wieviel Heimat braucht der Mensch“ (58’32), „Ressentiments (58’26) und „Über Zwang und Unmöglichkeit Jude zu sein (58’15).

Der von Améry gelesene Text „Die Tortur“ bildet den Erzähltext, die auditive Grundlage, des gleichnamigen Filmessays von Dieter Reifarth, der von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) mit dem Prädikat besonders wertvoll ausgezeichnet wurde. Reifarth ist für den Film an den dunklen Ort der Folter gereist. Wer seinen in der Festung Breendonk entstandenen Bildern folgt, wird sich indessen bald bewusst, dass es nicht das Unheimliche des authentischen Ortes ist, sondern der in äußerst sachlichem Ton vorgetragene Text Amérys über die unüberwindbaren Konsequenzen der Folter, der den Filmessay zu einer aktuellen politischen Stellungnahme macht.

Als Filmzuschauer_innen begegnen wir dem historischen Ort und seinen Besucher_innen, die seltsam zögerlich und entfernt wirken, zunächst ebenfalls distanziert. Amérys mit einprägsamer Stimme vorgetragener Text – „Dort geschah es mir, die Tortur“ – macht die Folter von damals jedoch schnell und in aller Schärfe zu einem ganz und gar gegenwärtigen Ereignis.

Was anfangs als erinnerungskultureller, filmisch dokumentierter Besuch am historischen Folterort wie eine Pflichtübung erscheint, geht rasch weit darüber hinaus und wird zu einem Akt politischen Handelns. Indem der Filmemacher auf Améry vertraut und die Erzählung des Überlebenden den am authentischen Folterort entstandenen Bildern hörbar zu Grunde legt, gelingt es Dieter Reifahrt, das Unerhörte greifbar nahe zu bringen: „Es wird aufgeheult unter der Tortur. Vielleicht in dieser Stunde, in dieser Sekunde.“ Der existenzielle Schmerz, den Améry als persönliche Erfahrung ungeheuer sachlich reflektiert, steigert sich in der Isolation der Festung, durch deren düstere Foltertrakte seine Erzählung die Zuschauer_innen des Films mit fast unerträglich sanfter Stimme begleitet, nicht mehr. Ein größerer Schmerz ist unmöglich, entscheidend der erste Schlag, der den Gefolterten in die totale Hilflosigkeit eines Objekts prügelt und den Gegenmensch erstehen lässt. Wer diese Ungeheuerlichkeit erlebt hat, wird nie darüber hinwegkommen, die Folter ist unüberwindbar. „Ich weiß nicht, ob die Menschenwürde verliert, wer geprügelt wird, aber er verliert das Weltvertrauen.“ Und etwas später: „Wer gefoltert wurde, bleibt gefoltert.“

Wie kann ein Mensch dem Mitmenschen solches antun?Zweiundzwanzig Jahre nach der Erfahrung schreibt und spricht Améry aus, dass die Folter das Fürchterlichste ist, das ein Mensch in sich bewahren kann, und er erinnert daran: „Es wird aber dergleichen in sehr vielen Menschen aufgehoben.“ „Wer sind alle die anderen?“

„Die Folter war die Apotheose des Nationalsozialismus“

Der Schriftsteller erlebt schon damals die Relativierung des Nationalsozialismus, hört den Zuruf, es sei der Totalitarismus, der Kommunismus gewesen. Auch anderswo wurde gefoltert, in Vietnam, Algerien, Russland, Ungarn, Spanien, Polen, Rumänien, Jugoslawien…, schreibt und erzählt Améry, aber die Folter ist für ihn die Apotheose des Nationalsozialismus. Der Kommunismus habe eine Idee vom Menschen versinnbildlicht, der Faschismus aber war „nur eine Schlechtigkeit … das Wort Humanität war ihm verhasst“, die Nationalsozialisten folterten wie andere, aber „mit dem guten Gewissen der Schlechtigkeit … weil sie Folterknechte waren“.

Der Film DIE TORTUR hält sich so wenig wie sein Erzähler Améry lange bei den stumpfen Werkzeugen des Hasses und der Macht auf, bei den Peinigern der Gemarterten. Er folgt vielmehr ständig der drängenden Frage des Schriftstellers und Überlebenden, was die Folter mit dem Menschen macht, welche Fragen sie aufwirft, wie ein Mensch damit weiterleben kann, denn „man wird die Folter nicht los, wie die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Widerstandskraft.“

Der Essay gipfelt in dem vermutlich am häufigsten zitierten Satz von Jean Améry: „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt.“ Wie also kann der Mensch dies dem Mitmenschen antun? Die Frage bleibt offen und eine dauernde Herausforderung, wie im Abspann des Films zwei nüchterne Feststellungen dokumentieren. Dort heißt es nämlich: 161 Staaten haben die UN-Konvention gegen Folter und grausame, unmenschliche, erniedrigende Behandlung oder Strafe ratifiziert. In 140 Ländern hat Amnesty International während der vergangenen Jahren Folter oder Misshandlung dokumentiert.

DIE TORTUR, ISBN: 978-3-8488-2010-8 – EAN: 978-3-8488-2010-8; FSK: Infoprogramm; Länge: 58; Bild: PAL, S/W, 16:9; Sprache: Deutsch; Untertitel: englische, französische, niederländische Untertitel (bei DIE TORTUR); Regionalcode: codefree

Für 14.90 € ist der Film zu kaufen auf der Webseite von absolut Medien

Fotos: Header und DVD-Cover von www.aboultmedien.de

 

Titelverzeichnis

Film
„Die Tortur“ 58’38
„Die Festung Derloven“ 56`12
Jean Améry – Betrachtungen“ 35‘12

DIE TORTUR
Kapitel
01. Fort Breendonk
02. Tortur
03. Verhaftung und Verhör
04. Der erste Schlag
05. Weltvertrauen und Körperschmerz
06. Das „Auffanglager“ Breendonk
07. Die Folter
08. Die Peiniger
09. Verdrängt man ein Feuermahl?
10. Widerstandskraft
11. Abspann
DIE FESTUNG DERLOVEN
01. Derloven (Breendonk)
02. Eugen Althager
03. Die Tortur
04. Odette
05. Die Zelle
06. Die Hinrichtung
07. Abspann

JEAN AMÉRY – BETRACHTUNGEN
01. Derloven / Tortur
02. Brief ins Ungewisse
03. Odette
04. „Jenseits von Schuld und Sühne“
05. Ressentiments
06. Jude sein
07. Selbstmisstrauen
08. Der Name
09. Existentielle Gleichgewichtsstörung
10. Freitod
11. Abspann
Vier Radio Lesungen von Jean Améry
„Jenseits von Schuld und Sühne“
1. Audiofile „An den Grenzen des Geistes“ 58‘37
2. Audiofile „Wieviel Heimat braucht der Mensch“ 58,52
3. Audiofile „Ressentiments“ 58‘26
4. Audiofile „Über Zwang und Unmöglichkeit Jude zu sein“ 58‘15

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