Ein|Ausblicke 09/2023

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01.11.2023

Ein|Ausblicke 10/2023

 

Im Oktober ging es nahtlos mit unserer Veranstaltungsreihe „Memoria Viva. Lateinamerika im Aufbruch” weiter. Außerdem waren Jennifer Haas, Magdalena Köhler und Tobias Fetzer im „Herzen Europas” und wir waren mit dem Verlag BUXUS EDITION auf der Frankfruter Buchmesse.

Von Bochum in das Herz Europas

Magdalena Köhler, Jennifer Haas und Tobias Fetzer im Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

Bereits im Sommer dieses Jahres hatte uns Max Lucks (Bochumer Bundestagsabgeordneter, Die Grünen) nach Straßburg eingeladen. Ab dem 9. Oktober erwartete uns ein umfangreiches Programm beginnend mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Hier konnten wir nach einer kurzen Führung sowie einem Film, welcher die Arbeit des EGMR beschreibt, Fragen an einem Mitarbeitenden richten. Besonders spannend fanden wir hier die einzelnen Verfahren, ihre Abläufe, sowie die Konsequenzen, die ein solches Verfahren für einen Staat haben kann. Uns wurde hier die Besonderheit und Einzigartigkeit dieser rechtlichen Instanz deutlich, die wie keine andere für Menschenrechte und deren Einhaltung steht.

 

Ein Blick auf das Europarlament © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

Nach einer kurzen Pause ging es dann weiter zum Europarat. Hier hatten wir Gelegenheit, Max Lucks eine Stunde lang Fragen zu Entwicklungen in Europa, den Menschenrechten, sowie zur Funktionsweise des Europarats zu stellen. Im Anschluss an dieses Gespräch hatten wir noch die Möglichkeit, eine Debatte des Europarats mit dem Titel „Die Herausforderung rechtsextremer Ideologien für Demokratie und Menschenrechte in Europa“ zu beobachten. Da der Europarat aktuell in den Räumlichkeiten des Europaparlaments tagt, hatten wir es danach zu unserem letzten großen Programmpunkt, einer Führung durch das Europaparlament, nicht weit.

Auch wenn unsere Reise nach eineinhalb Tagen endete, nehmen wir viel aus Straßburg mit. Neben einem tieferen Verständnis der Arbeits- und Funktionsweise der unterschiedlichen Einrichtungen war es vor allem der Raum, den Straßburg Europa und den Menschenrechten einräumt, und die Vielzahl von Menschen, die dafür kämpfen, dass die Menschenrechte mehr als ein Versprechen bleiben. Wir können eine solche Informationsreise nur weiterempfehlen.

Buchvorstellung: „Nationalstadion 1973. Autobiografischer Essay“ von Jorge Montealegre

Am 17. Oktober stellte er chilenische Schriftsteller und Journalist Jorge Montelaegre sein erst kürzlich in der BUXUS EDITION erschienenes Werk Ausgabe Nationalstadion 1973. Autobiografischer Essay vor. Der promovierte Amerikanist begann bereits mit 19 Jahren, als politischer Gefangener, das Schreiben von Gedichten.

G. Pohl, J. Montealegre, M. Sasse (v.l.n.r) © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG, Fotograf: Richard Lensit

Gemeinsam mit Dr. Irmtrud Wojak (Herausgeberin und Leiterin des Fritz Bauer Forums) und Mathias Sasse (Literaturwissenschaftler, Übersetzer des Buches für die BUXUS EDITION), sprach er über seine Erinnerung an den Militärputsch in Chile. Für Jorge Montealegre übersetzte Günter Pohl (Kenner zahlreicher Länder Lateinamerikas, der selbst länger in Ecuador lebte).

Aus dem Buch gelesen hat Reinhold Spratte, Wittener Künstler und Pädagoge, der die Cover der Buchreihe „Fritz Bauer Bibliothek“ gestaltet.

Jorge Montealegre setzt den Schwerpunkt in seiner Erzählung auf das Überleben, nicht auf den Horror und die Gewalt, die während seiner Zeit in Gefangenschaft allgegenwärtig waren. Er hebt die Bedeutung von Humor, welcher sich durch seine Erlebnisse 1973, aber auch sein Buch zieht, hervor. Denn Humor, so betont er, bewahrt die eigene Menschlichkeit. Im Gespräch mit dem Publikum zeigte sich, dass genau dieser Ansatz dazu anregt, das Buch zu lesen und dass der Humor des Autors in gewisser Weise auch seinen Leser*innen Mut macht.

Jorge Montealegre berichtete von den verschiedenen Formen des Widerstands, sei es durchs Singen, Zeichnen oder die kleinen Gesten des Teilens unter den Gefangenen, die er immer wiederhervorhebt. Hierfür ist vor allem das Wort „Decke“ ein Stichwort, das sich im spanischen Titel der Autobiographie wiederfindet: „Die Decken des Nationalstadions“ (Las Frazadas del Estadio Nacional). Welche große Bedeutung diese Decken für den Widerstand hatten, spielt in dem autobiografischen Essay eine besondere Rolle, denn mit ihnen konnte man sich schützen, darauf schlafen, sich und andere wärmen… und auch Gewalt dahinter verstecken.

Mathias Sasse, Übersetzer des Buches ins Deutsche, kam ebenfalls im Gespräch zu Wort. Er sprach von der wertvollen persönlichen Begegnung mit Jorge Montealegre, bevor er seine Übersetzungsarbeit aufnahm, und er begleitete den Autor während der gesamten Lesereise. Aufgrund des persönlichen Kontakts  konnte er auch manchmal schwierige persönliche Fragen stellen und erfahren, wie der heute zu seinen Erlebnissen steht und wie sich der Umgang damit verändert hat, dass es eine persönliche und eine wissenschaftliche Perspektive dabei gibt.

Für uns ist das Buch und die Geschichte von Jorge Montealegre ein wichtiger Beitrag zu der Frage, was die Geschichten vom Überleben prägt und ausmacht, nicht zuletzt eine Antwort auf die Frage danach, was Menschen unter extremen Bedingungen befähigen kann, human zu handeln.

BUXUS EDITION auf der 75. Frankfurter Buchmesse

Das Plakat der 75. Frankfurter Buchmesse © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

Halle 3.1. Stand H61, hinter diesem unscheinbaren Namen waren wir dieses Jahr mit unserem hauseigenen Verlag BUXUS EDITION erstmals auf der Frankfurter Buchmesse mit einem kleinen Stand vertreten. Zu sehen gab es die Bücher aus der Reihe „Literatur und Menschenrechte“, die gemeinsam mit dem BERG INSTITUTE (Madrid) entsteht, sowie die Biografien der Reihe „Fritz Bauer Bibliothek“ mit den Coverbildern des Wittener Malers Reinhold Spratte. Besonders gefreut haben wir uns, dass unser Autor Jorge Montealegre in Frankfurt zu einer Veranstaltung eingeladen war.

Ausgestellt haben wir unsere Reihe auf einem Gemeinschaftsstand, persönlich waren wir nur am Samstag vor Ort. Dieser war für uns allerdings ein erfolgreicher Tag, denn wir sind mit einigen Besucher*innen ins Gespräch gekommen, hatten einen spannenden Austausch über aktuelle Themen und speziell über die Relevanz der Themen unseres Namensgebers Fritz Bauer. Hier nochmal der Link zu unseren Büchern in unserem Webshop, wo ihr auch unsere Veranstaltungen findet.

Buchvorstellung: „Am Ende wartet das Vergessen. Eine Geschichte aus Kolumbien“ mit Héctor Abad

Das ebenfalls autobiografische Werk Am Ende wartet das Vergessen erschien zwar bereits im April 2022 bei uns, in unserer Veranstaltungsreihe „Memoria Viva. Lateinamerika im Aufbruch“ durfte diese beeindruckende Hommage an einen der bedeutendsten Ärzte Lateinamerikas und Kämpfer für die Menschenrechte indes nicht fehlen. So kam am 24. Oktober 2023 der preisgekrönte kolumbianische Schriftsteller Héctor Abad Faciolince in die Fritz Bauer Bibliothek, um die deutsche Ausgabe seines Buches El Olvido Que Seremos vorzustellen. Irmtrud Wojak, Reinhold Spratte und Günter Pohl begleiteten den Autor wie schon bei der vorherigen Veranstaltung durch den Abend.

R. Spratte, I. Wojak, H. Abad, G. Pohl (v.l.n.r) © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG, Fotograf: Richard Lensit

Vor allem die tief empfundene Liebe des Autors zu seinem Vater, Héctor Abad Gomez, wurde an diesem Abend deutlich, wenn der Autor sich an seine Kindheit in der Stadt Medellín erinnerte. Das Buch ist aus der Perspektive Héctor Abads als Kind geschrieben und im anschließenden Gespräch berichtete der Autor davon, dass er lange brauchte, um eine Stimme zu finden, dieses Buch überhaupt schreiben zu können. Als sein Vater 1987 ermordet wurde, war er 27 Jahre alt, erst 18 Jahre später entstand sein Buch, das sich wie ein Entwicklungsroman liest. Abad schilderte im Gespräch, dass der Ich-Erzähler die Vielstimmigkeit der Erinnerungen der Familie in sich vereine. Eigentlich kenne das jede*r von uns: An seine eigene Kindheit erinnert man sich zu großen Teilen nur aus Erzählungen, man selbst hat vieles vergessen, was durch die gemeinsame Erinnerung am Leben erhalten wird. Ein weiteres großes Thema des Abends war der Einsatz des Vaters für die Menschenrechte – als Mediziner, aber auch als jemand, der sich nicht scheute, zu sagen, was er denkt, und der sich für die Schwächeren in der Gesellschaft einsetzte. Obwohl Héctor Abad Gomez wusste, dass es nicht nur für ihn, sondern auch für seine Familie gefährlich war, nannte er die Verbrechen der kolumbianischen Paramilitärs in Radiosendungen und Zeitungen beim Namen. Man spürte die Bewunderung, die Héctor Abad für seinen Vater hat, deutlich. Die akute Gefahr für den Vater und die Familie wurde ihm erst später, als junger Mann, wirklich bewusst.

Ausgehend von einer Textstelle Buches, die sich dem Umgang mit jüdischen Nachbarn widmete, entspann sich eine interessante Gesprächsrunde zum aktuellen Krieg im Nahen Osten. Héctor Abad kritisierte den Angriff der Hamas auf Israel als furchtbares Pogrom, diese Erkenntnis und ihre Bedeutung sei aber schnell überdeckt worden durch die harte Reaktion Israels auf den Angriff. Er kritisierte, dass es keine Verurteilung des antisemitischen Pogroms aus kolumbianischer Sicht gibt, dass der kolumbianische Präsident sich dieser Verurteilung verweigerte. Der Angriff auf einen Kibbuz und ein Festival von jungen Leuten sei ein terroristischer Akt. Gleichzeitig sei aber auch die harte Reaktion Israels und die Bombardierung von Wohngebieten der Zivilbevölkerung völkerrechtlich zu verurteilen.

Abschließend gab es noch einige Fragen aus dem Publikum, was sich zu einem interessanten Gespräch über Vater-Sohn-Beziehungen und die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit entwickelte. Irmtrud Wojak fasste den Abend zusammen: Der Titel des Buches laute „Am Ende wartet das Vergessen“ – doch dank dieses Buches ist Héctor Abad Gomez eben nicht vergessen und seine beeindruckende ebenso wie ermutigende Geschichte im Einsatz für die Menschenrechte findet mit der deutschsprachigen Ausgabe des Buches weitere Aufmerksamkeit.

Wir danken Héctor Abad Faciolince für die Reise nach Bochum und für die spannenden Einblicke, die ein sehr persönliches Bild nicht nur seines Vaters, sondern auch von ihm gezeichnet haben. Ein eindrücklicher Abend, den sicherlich keine*r der Anwesenden so schnell vergessen wird. Ebenso danken wir Günter Pohl für die hervorragende Übersetzung des Abends ins Deutsche und Reinhold Spratte dafür, dass er die Erzählerstimme im Buch bei seiner Lesung hat lebendig werden lassen.

Workshop und Film: „Menschenrechte in Kolumbien: Zwischen Ideal und Realität“

Rückwärts betrachtete, haben die Menschen- und Bürgerrechte in Kolumbien eine bis in die Zeit des 19. Jahrhunderts reichende Tradition. Dennoch ist die Kluft zwischen diesen in der Verfassung garantierten Rechten und der gesellschaftlichen Wirklichkeit weiterhin riesig. Der Historiker und Journalist Joachim Jachnow befasste sich am 26. Oktober im Rahmen eines Workshops mit dem Thema der „Menschenrechte in Kolumbien: Zwischen Ideal und Realität“.

Der Workshop leuchtete den Hintergrund der Geschichte des Buches von Héctor Abad und der Ermordung seines Vaters durch paramilitärische Todesschwadronen aus. Eine Gewaltgeschichte seit Kolonialzeiten, in der es immer um Land geht, mit anderen Worten um Landraub, Flucht und Enteignungen, die die Gesellschaft und insbesondere die indigene Bevölkerung seit Jahrhunderten betreffen und gegen die sie sich mit immer neuen Mitteln zu wehren versucht. In der Welt des Entwicklungsromans von Héctor Abad kommt dieser historische Hintergrund nicht vor, die gehörte nicht zu der behüteten Kindheit des jungen Abad, prägt aber die Geschichte seines Heimatlandes bis in die Gegenwart.

Am Abend wurde der Film El Olvido que Seremos / Memories of My Father gezeigt. Der preisgekrönte Film basiert auf dem Roman von Héctor Abad Faciolince und erzählt die Geschichte seines Vaters, es ist ein bewegender Film, in dem allerdings die politischen Hintergründe der Ermordung von Hector Abad Gomez durch rechte Paramilitärs zu kurz kommen. Insofern ist er aber eine getreue Wiedergabe des Buches aus der Sicht einer sehr behüteten Kindheit und Jugend in Medellín.

Redaktion: Fritz Bauer Forum

Kommende Veranstaltungen

Veranstaltungsreihe „Memoria Viva. Lateinamerika im Aufbruch“ in Kooperation mit Amnesty International Bochum

02. November, 17.30 – 21.30 Uhr: Peru: Workshop und Film

07. November, 17.30 – 21.30 Uhr: Uruguay: Workshop und Film

10. November, 19:00 – 21:00 Uhr: Peru: Panel-Diskussion

16. November, 17:30 – 21:30 Uhr: Mexiko: Workshop und Film

30. November, 18:30 – 20:30 Uhr: Chile: Vortrag und Diskussion

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