Erinnern ist Widerstand

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28.01.2024

Neujahrsempfang des Friedensplenum Bochum

28. Januar 2029

Für den heutigen 19. Neujahrsempfang des Friedensplenum Bochum im Bahnhof Langendreer wurde die Leiterin des Fritz Bauer Forums Dr. Irmtrud Wojak (Foto) gebeten, einen Gedanken von Fritz Bauer über die Bedeutung „des kleinen Widerstandes im Alltag“ vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung zur erläutern. Hier ihre Rede im Wortlaut:

>>>Die Einladung des Friedensplenums Bochum, heute hier zu sprechen und dabei einen Satz des Juristen und Auschwitz-Anklägers Dr. Fritz Bauer aufzugreifen, freut mich sehr. Sie zeigt, dass das Fritz Bauer Forum in der sozialen Bewegung, im weiten demokratischen politischen Spektrum von Bochum, angekommen ist.

Wir sind dankbar für das Interesse und für die Unterstützung, die wir auch im vergangenen Jahr in Bochum erlebt haben. Dass wir uns als Forum im Aufbau, das weiterwachsen will, am Kampf für Demokratie und Menschenrechte aktiv beteiligen können, verdanken wir besonders privatem, zivilgesellschaftlichem Engagement, und das ist gewiss in diesem Umfang nicht selbstverständlich. Umso mehr freuen wir uns, dass in unserer Fritz Bauer Bibliothek, die im August fertiggestellt wurde, zahlreiche Veranstaltungen mit Bochumer Kooperationspartner*innen und Künstler*innen stattfinden konnten, zu denen wir Gäste aus dem In- und Ausland begrüßten. Und natürlich hoffen wir, weitere Unterstützer*innen in Bochum und darüber hinaus zu finden, auf die ein solches Projekt stets angewiesen ist.

Heute soll es – vielen Dank an das Friedensplenum für diesen Vorschlag – um Fritz Bauers Satz gehen:

„Der große Widerstand an den bösen Tagen des barbarischen Unrechts setzt Kampf gegen das kleine Unrecht im Alltag voraus.“

Angesichts des bedrängenden, um nicht zusagen beängstigenden politischen Rechtstrends in Deutschland und vielen Staaten der Welt, angesichts des zunehmenden Hangs, in der schwierigen und bedrohlich wirkenden globalen Lage nach einem autoritären Machthaber oder heilsversprechenden Gesetzgeber zu rufen, hat dieser Satz Fritz Bauers aktuelle Bedeutung.

Er erinnert einerseits daran, dass das nationalsozialistische Unrechtsregime nicht von einer deutschen Widerstandsbewegung von innen her gestürzt wurde. Andererseits appelliert er an die Gegenwart und unser Handeln. Wenn wir nicht früh genug den Widerstand gegen das kleine Unrecht im Alltag einüben, so der Jurist, dann könnte es passieren, dass wir wieder ähnlich unvorbereitet vor den Tagen des großen, des barbarischen Unrechts stehen, wie wir dies in Deutschland ab 1933 schon einmal erlebt haben.

Bauer sprach dabei aus persönlicher Erfahrung. Er hatte das Aufkommen und rasche Anwachsen der Nazi-Bewegung miterlebt, die ersten Versammlungen und Radauaufmärsche als Student in München gesehen. Der Mord an Außenminister Walther Rathenau, der Hitler-Putsch und eine Justiz, die auf dem rechten Auge blind war, bestärkten ihn in seinem politischen Engagement gegen rechts. Er erlebte, wie die Medien, insbesondere der Hugenberg-Konzern als Steigbügelhalter, den Nazis großflächig Raum gaben und sie mit ihrer Berichterstattung geradezu hochjubelten. Sie trugen damit ebenso zur Radikalisierung bei, wie die sogenannte bürgerliche Mitte mit den Parteien, die meinten, ihre Parolen am rechten Rand schärfen zu müssen. Dies taten sie mit dem naiven und verantwortungslosen Argument, es gelte linke Koalitionen zu verhindern und den Nazis dadurch den Wind aus den Segeln zu nehmen. Tatsächlich wurde er dadurch nur noch schärfer, indem sie die NS-Bewegung salonfähig machten. Wer muss da aktuell nicht an Thüringen 1930 und Thüringen 2020 denken? Oder an Sachsen 2024, wo ein Redner der Rechtsextremen die Rede am Holocaustgedenktag und Tag der Befreiung des KZ Auschwitz hält? Nicht zuletzt an eine FAZ, die kritische Recherche ihrer Journalisten-Kollegen relativiert und am Tag vor dem Holocaustgedenktag schreibt: „Wie der ‚Correvtiv‘-Bericht der AfD hilft … Die Partei wächst und wächst“. Die Brandmauer ist da längst eingerissen.

Fritz Bauers Anliegen war es nach 1945, dass wir die Chance nicht wieder verspielen sollten, die unsere Demokratie bedeutet. Er sei nach Deutschland zurückgekehrt, sagte er 1949, um der jungen Generation etwas von der Opposition und dem Widerstandsgeist der Weimarer Republik zu vermitteln, er wollte der Demokratie nicht bloß Lippendienst leisten.

Dieses von Bauer oft und variantenreich wiederholte Anliegen, Widerstand und Ungehorsam zu leisten – wohlgemerkt, wenn die Menschenrechte verletzt werden und der Staat sich zum Anwalt des Unrechts macht – war das Plädoyer eines Anwalts der Menschenrechte für die beste Staatsform. Für die Demokratie, in der das Volk die Herrschaftsgewalt ausübt und die sich durch die Geltung der Menschenrechte und Gleichheit vor dem Recht auszeichnet.

Einige können sich vielleicht schon denken, worauf ich hinauswill. Wir haben 2019 in Bochum – mit großer Unterstützung und auf eine Einladung des „Bochumer Bündnis gegen rechts“ hin – erstmals unser Projekt der interaktiven Fritz Bauer Bibliothek mit ihren Geschichten vom Widerstand und Überleben öffentlich vorgestellt. Darunter sind auch einige Geschichten aus Bochum, die von dem gefahrvollen Widerstand gegen das NS-Regime erzählen. Sie zu dokumentieren und neu nachzuerzählen, trägt dazu bei, dass an die NS-Verbrechen und vor allem an die mutigen Gegnerinnen und Gegner der NS-Herrschaft und der gescheiterten Entnazifizierung erinnert wird: an Lore Agens und Else Hirsch, an Klaus Kunold und Franz Vogt.

Unser Anliegen geht – wie der Appell der Überlebenden „Nie wieder!“ und Fritz Bauers Aufforderung, gegen das kleine Unrecht im Alltag zu kämpfen – aber darüber hinaus. Konkret gesagt: Wir erinnern an die Verbrechen der Vergangenheit und die NS-Täter, an den Widerstand der Opfer und Überlebenden des NS-Regimes. Um Empathie und Mitgefühl zu bestärken und um die Ursachen von Gewalt und Terror besser zu verstehen und sie künftig rascher erkennen zu können.

Wir nehmen das „Nie wieder!“ aber auch beim Wort, indem wir an das mutige Handeln aus der Geschichte anknüpfen, das heißt, dem zivilen Ungehorsam, der Opposition und dem Widerstand von heute mehr Raum geben. Die Überlebenden betrachten wir nicht nur als „die Opfer von damals“, denen wir mehr oder weniger pflichtschuldig Mitgefühl und Empathie entgegenbringen, sondern wir wollen ihre Lage durch unser Handeln teilen. Um es – zurückkommend auf Fritz Bauer – noch pointierter zu sagen:

Was wir den Überlebenden schulden, ist ja keine wie auch immer geartete höhere Moral. Den Überlebenden von damals und heute schulden wir den alltäglichen Kampf, der in den Tagen des barbarischen Unrechts Notwehr oder Nothilfe ist, und der – so Bauer – „nicht erst zu beginnen (braucht), wenn der Unrechtssaat etabliert ist.“ Er hielt dazu fest:

„Die Bundesrepublik ist kein Unrechtsstaat. Aber Unrecht gibt es hier und anderwärts, und die Würde des Menschen und seine Rechte sind immer und überall in Gefahr, im Namen einer Staatsräson verkürzt zu werden. Das Widerstandsrecht eskaliert mit wachsendem staatlichem Unrecht. Deswegen ist die Widerstandsidee auch zu keiner Zeit und in keinem Staat überholt, mag sie auch im Alltag sich auf den gerichtlichen Kampf ums Recht, auf Kritik und Opposition, auf Demonstration, auf die im Grundgesetz und in anderen Normen festgelegten Bahnen einer freien Bewusstseins- und Willensbildung beschränken“.

Das Fritz Bauer Forum in Bochum, das in diesem Jahr baulich fertiggestellt und 2025 mit verschiedenen Veranstaltungen eröffnet wird, baut auf diesen Widerstandsbegriff Fritz Bauers auf. Dass Widerstand im Grunde Kampf für die Menschenrechte ist und immer schon war, sich eine andere Definition schwerlich finden lässt.

Es wird auch nicht zufällig in Bochum errichtet, sondern hat eine Vorgeschichte im Verein „Erinnern für die Zukunft“ mit der Einladung der Überlebenden des Holocaust aus Bochum und Wattenscheid, in der Geschichte der Chile-Solidarität und des Kampfes gegen die Straflosigkeit der Verbrechen der Zivil- und Militärdiktaturen in Lateinamerika, in der Unterstützung durch das „Bochumer Bündnis gegen rechts“ und durch das Friedensplenum Bochum. Hinzugekommen sind jüngst verstärkt Kooperationen mit Initiativen und anderen Einrichtungen, mit Amnesty International und dem Bochumer Bündnis „Solidarität und Erinnerung“, in dieser Woche mit den IPPNW, die 2023 ebenfalls ein neues Projekt angestoßen haben: „To Survive is to resist“ – Geschichten der Überlebenden von Atomwaffeneinsätzen und -tests.

Aktuelle Beispiele für den „Kampf gegen das kleine Unrecht im Alltag“ gibt es ebenso viele wie für den großen Widerstand an den bösen Tagen barbarischen Unrechts. Sie unterscheidet das Ausmaß an Gefahren oder der Risiken, die Menschen eingehen und deren Folgen sie erdulden (müssen), sei es als Geflüchtete auf dem Mittelmeer und im Kampf für das Recht auf Asyl, im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus, im Kampf für die Presse- und Meinungsfreiheit, für das Recht auf Land und Wasser, im Kampf für Klimagerechtigkeit und mehr soziale Gerechtigkeit. Entscheidend ist dabei heute so wenig wie damals, dass es nicht genügende Stimmen des Widerstands sind, sondern vielmehr, dass es sie gibt. Und vor allem, dass wir diese Geschichten vom Widerstand und vom Überleben sammeln und weitererzählen.

Im Fritz Bauer Forum tun wir dies auf vielfältige Weise in Podcasts, in Filmen, Büchern, Workshops und auch in Recherchen zu unserer interaktiven Fritz Bauer Bibliothek mit ihren Widerstands- und Überlebensgeschichten aus der ganzen Welt: Angefangen bei Carola Rackete und Horst und Brigit Lohmeyer in Deutschland über Naji Al Alli im Libanon, Nujeen Mustafa aus Syrien, Lucinda Evans in Südafrika, Wilfredo Estanislao Saavedra Marreos in Kolumbien, Scott Warren in den USA bis zu Joshua Wong in Hongkong usw. usf.

 Wir sehen es als unsere Aufgabe, dass diese aktuellen Stimmen des Widerstands zu hören sind, dass ihre Anstrengungen sichtbarer werden und sie sich so gegenseitig bestärken können. Dazu möchten wir heute gern alle einladen: Lasst uns den Appell „Erinnern ist Widerstand“ aufgreifen. Damit die Erinnerung der Überlebenden des Holocaust an den fehlenden Widerstand von damals sich nicht wiederholt.<<<

Bild im Header: Alexander Grey (Unsplash)

Kontakt: info@fritz-bauer-blog.de

 

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