Fritz Bauers Vermächtnis | Irmtrud Wojak

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16.07.2023

Widerstand muss geübt werden

Zum 120.Geburtstag des Sozialdemokraten

Ein neuer Erinnerungsort entsteht

Am heutigen 16. Juli 2023 ist der 120. Geburtstag unseres Namensgebers Fritz Bauer. Pünktlich zu diesem Tag ist die ehemalige „Trauerhalle (Ost) Havkenscheid“ zu einem faszinierenden und gut ausgestatteten Bibliotheks- und Veranstaltungsort geworden. Jetzt ziehen nach und nach unsere Bücher in diese Fritz Bauer Bibliothek ein. Im Herbst beginnt das erste Veranstaltungsprogramm. Parallel dazu entstehen auf dem Gelände unsere Seminar-, Ausstellungs-, Magazin- und Büroräume plus ein Café.

Ein neuer interessanter Erinnerungsort entwickelt sich, wo das aktive NEIN zu Unrecht und Gewalt genauso großgeschrieben wird, wie das JA zur Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten.

Der Jurist und Anwalt der Menschenrechte, Fritz Bauer, in Stuttgart geboren, wird zum heutigen Tag in der Stuttgarter Zeitung mit einem Beitrag des Redakteurs Jan Sellner gewürdigt. Dieser hebt das Engagement von Schülerinnen und Schülern am Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasium hervor, wo Bauer zur Schule ging. Das Gymnasium vergibt jährlich einen „Fritz Bauer Preis für soziales Engagement“.

Dass sich die Schülerinnen und Schüler in diesem Jahr besonders mit dem Thema Widerstand auseinandersetzen, ist in Bauers Sinn.

Fritz Bauers Widerstand hat sich lebendig entwickelt

Sein Leben und Denken waren durch die tiefen politischen Einschnitte des zu Ende gehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt. Ebenso beeinflussten ihn der emanzipatorische Geist, der im Haus seiner Großeltern in Tübingen herrschte, der Heimatstadt seiner Mutter. Die Gedankenwelt des schwäbischen Idealisten, sein Widerstandsgeist, wurde vom Kampf um die rechtliche Gleichstellung der Juden in Deutschland und dem pazifistischen Schrei nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geformt. Als Student erlebte er den Aufstieg der Nazi-Bewegung in München. Bauer wurde Sozialdemokrat und kämpfte an der Seite Kurt Schumachers für den Erhalt der ersten deutschen Demokratie. Sein Schicksal als Verfolgter des Nazi-Regimes, der KZ-Haft überlebte und dann zehn Jahre als Flüchtling in Dänemark und Schweden, trieb ihn immer weiter voran.

„Ich bin zurückgekehrt“, sagte er später, „weil ich glaubte, etwas von dem Optimismus und der Gläubigkeit der jungen Demokraten in der Weimarer Republik, etwas vom Widerstandsgeist und Widerstandswillen der Emigration im Kampf gegen staatliches Unrecht mitbringen zu können. (…) Ich wollte ein Jurist sein, der dem Gesetz und Recht, der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienst leistet.“ (1)

Mit diesem Programm kehrte Bauer nach Deutschland zurück, um bei einem grundlegenden Neubeginn mitzuhelfen und die dringend erforderliche „geistige Revolution der Deutschen“ zu bewirken. Sie sollten „Gerichtstag halten über sich selbst, über die gefährlichen Faktoren in ihrer Geschichte“, wie Bauer sagte, „über alles, was hier inhuman war“. (2)

Den Optimismus zu bewahren, fiel Fritz Bauer und seinen nicht eben zahlreichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern aufgrund der gescheiterten Entnazifizierung – besonders in der Justiz – nicht leicht. Bauers Minderheitsposition in den Prozessen wegen NS-Verbrechen (er sah die Mehrheit der Angeklagten als Täter und nicht bloß als „Gehilfen“), sein Eintreten für das Völkerrecht, und seine Behauptung eines Rechts und einer Pflicht zum Widerstand, wenn die Menschenwürde verletzt wird, rührten an das schlechte Gewissen der Mehrheitsgesellschaft. Er zog sich die Wut und den Hass derjenigen zu, die ihre Ruhe haben und nach dem Zweiten Weltkrieg und Holocaust keine Verantwortung übernehmen wollten.

Fritz Bauers politische Prognose 1968 und der Widerstand heute

Bauers Prognose im Aufbruchsjahr 1968 fiel nüchtern aus:

„Wir Emigranten hatten so unsere heiligen Irrtümer. Dass Deutschland in Trümmern liegt, hat auch sein Gutes, dachten wir. Da kommt der Schutt weg, dann bauen wir Städte der Zukunft. Hell, weit und menschenfreundlich. (…) Dann kamen die anderen, die sagten: ‚Aber die Kanalisationsanlagen unter den Trümmern sind doch noch heil!‘ Na, und so wurden die deutschen Städte wieder aufgebaut, wie die Kanalisation es verlangte. (…) Was glauben Sie, kann aus diesem Land werden? Meinen Sie, es ist noch zu retten? (…) Nehmen Sie die ersten Bonner Jahre! Keine Wehrmacht! Keine Politik der Stärke! Nun betrachten Sie mal die jetzige Politik und die Notstandsgesetze dazu! Legen Sie meinethalben ein Lineal an. Wohin zeigt es? Nach rechts! Was kann da in der Verlängerung herauskommen?“ (2)

Angesichts dieser Prognose liegt die Frage nahe, wo wir jetzt stehen. Womöglich bereits am Ende der Verlängerung, politisch am Kipppunkt, wie beim Klima?

Schließlich bekommt eine rechtsextreme Partei im Bundestag aufgrund ihrer steigenden Zahlen gerade ebensolche inflationäre Medienauftritte, wie die Angst davor zu wachsen scheint. Weil das „demokratisch“ sei, schließlich wurde sie gewählt, heißt es. Die „Letzte Generation“, deren ziviler Ungehorsam und Widerstand sich gegen die Zerstörung des Planeten richtet und die ein schnelleres Handeln dagegen einfordert, wird hingegen kriminalisiert. Sie soll als „terroristische Vereinigung“ eingestuft werden und ihre Mitglieder bestraft werden. Womöglich sollen ihretwegen Gesetzeslücken gesucht und geschlossen werden. Weil ihr Widerstand nicht anschlussfähig ist, heißt es.

Ausgerechnet der Protest und zivile Widerstand derjenigen, die sich aktiv gegen die rechtsextreme Okkupierung des Umwelt- und Klimaschutzes als “Heimatschutz” positionieren, die den völkisch-nationalistischen Kern der rechtsextremen „Klimapolitik“ und ihre ideologischen Ziele entlarven, sollen „terroristisch“ sein.

Einmal abgesehen davon, dass ziviler Ungehorsam oder Widerstand geübt werden, weil es offenbar keine Mehrheit für die Abschaffung einer bestimmten Notlage gibt: Die Zeit, wo Ungehorsam und Widerstand nur im Erfolgsfall „erlaubt“ sind, sollte doch wohl endgültig vorbei sein. Es ist die Angst vor der eigenen Courage und dem Feind im eigenen Land, die solche Denkweise diktiert. Sie ruft fälschlich nach der Staatsautorität und will diese bemühen, während es doch um das eigene Umdenken und Handeln geht, das sich an den Menschenrechten orientieren sollte.

Widerstand muss geübt werden

Immer wieder hat Fritz Bauer sich gegen dieses staatsautoritäre Denken positioniert. Wissend, dass es viel schwerer ist, sich gegen den Feind im eigenen Haus zu positionieren, als ihn anderswo zu suchen. Von ihm können wir lernen, dass der Widerstand in den Tagen des großen Unrechts den kleinen Widerstand im Alltag voraussetzt; er muss geübt werden.

Abgesehen davon, dass zu bezweifeln ist, dass dem Rechtsextremismus mit Geboten und Verboten beizukommen ist – es hieße, ihn mit den eigenen Mitteln und seiner eigenen Ideologie zu bekämpfen, was schon immer zum Scheitern verurteilt war – ist eines sicher: mit der „Letzten Generation“ werden die Falschen kriminalisiert. Justiz und Politik täten gut und besser daran, die Zivilgesellschaft und den Ungehorsam gegenüber dem Rechtsextremismus des angeblichen „Heimatschutzes“ mit seiner rassistischen Weltsicht zu bestärken.

Eine Revolution wäre das nicht – oder vielleicht doch, eine im Denken à la Fritz Bauer.

 

Anmerkungen

(1) Zitat aus einem unbetitelten Artikel von F. Bauer für die Deutsche Post, Jg. 14 (1962), H. 24, S. 657f.

(2) Fritz Bauer, Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns. Frankfurt/M. 1965, S. 66f.

(3) Zitat aus Gerhard Zwerenz: Gespräche mit Fritz Bauer, in: Streit-Zeit-Schrift, VI, 2, Frankfurt a. Main, September 1968, S. 89-93, hier S. 92f.

Kontakt: info@fritz-bauer-forum.de

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