Inlandsgeheimdienst handelte „unverhältnismäßig und rechtswidrig“

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15.03.2018

Inlandsgeheimdienst handelte „unverhältnismäßig und rechtswidrig“
RA Dr. Rolf Gössner erwirkt gerichtlichen Sieg zugunsten der Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit

Der Rechtsanwalt, Publizist und Bürgerrechtler Dr. Rolf Gössner erzielte erneut einen Erfolg vor Gericht. Dem Fritz Bauer Blog gab er ein Interview vor der Berufungsverhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen. Dieses entschied nach der Berufungsverhandlung mit Urteil vom 13. März 2018, dass die rund 40-jährige geheimdienstliche Überwachung von Rolf Gössner, die sein ganzes bewusstes Leben von der Studienzeit an umspannte, unverhältnismäßig und rechtswidrig war.

„Mit diesem Urteil hat das OVG NRW die Berufung der Bundesregierung und des Bundesamts für Verfassungsschutz zurückgewiesen und das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 03.02.2011 vollständig bestätigt“, heißt es in einer von der Internationalen Liga für Menschenrechte weiter verbreiteten Erklärung: „Auch das OVG NRW hat dem Inlandsgeheimdienst einen jahrzehntelangen Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen essentielle Grundrechte des Klägers und Betroffenen Dr. Rolf Gössner bescheinigt.“

Nach einer zähen, über zwölfjähriger Verfahrensdauer in zwei Instanzen, die Rolf Gössners ganzes Durchhaltevermögen herausforderte, führte das OVG NRW unter anderem aus, dass es im gesamten Beobachtungszeitraum von 1970 bis 2008 keine „tatsächliche Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen gegeben habe. Ebenso wenig gebe es Anhaltpunkte, dass RA Dr. Gössner angeblich linksextremistische Organisationen unterstützt habe. Die Beobachtung sei „angesichts der mit ihr einher gehenden Grundrechtseingriffe unverhältnismäßig gewesen“.

Rolf Gössners Prozessvertreter Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß (Freiburg), der den Prozess für die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union unterstützte, erklärte dazu: „Die beiden Urteile des Verwaltungsgerichts Köln und des OVG Nordrhein-Westfalen sind Meilensteine im Kampf gegen einen übergriffigen Inlandsgeheimdienst. Ein Geheimdienst hat im Meinungsbereich nichts zu suchen. Das gilt für alle Bürger und Bürgerinnen – insbesondere auch für Berufsgeheimnisträger; denn unter Überwachungsbedingungen ist der Schutz von Berufsgeheimnissen nicht zu gewährleisten.“

In seiner persönlichen Erklärung vor dem OVG, die hier vollständig nachzulesen ist, führte Rolf Gössner aus:

„Die Einlassungen des Bundesamts für Verfassungsschutz vor Gericht sind von Kalte-Kriegs-Denken durchdrungen, sind illiberale Zeugnisse einer Geheiminstitution, die sich unter der Etikette ‚Verfassungsschutz’ zu einer ideologischen und inquisitorischen Gesinnungsüberprüfungsbehörde aufgeschwungen hat, wie sie mit der Verfassung und den Grundrechten auf Meinungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit nicht vereinbar ist. Auf einem solchen Niveau vor Gericht in einem einseitig ideologisch aufgeladenen Verfahren zu streiten, ist geradezu kafkaesk, hat einen zensurierenden und demokratiefeindlichen Beigeschmack, der wohl kaum zu einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft passt – und die die Beklagte vorgibt, schützen zu wollen.“

Abschließend bedauerte RA Dr. Gössner, „dass durch diese unsinnige und absurde Überwachungsgeschichte so viel Lebenszeit und -kraft vergeudet wurde und dass zwei Gerichte mit einem solch aufwändigen Verfahren schon im zweiten Jahrzehnt damit beschäftigt werden mussten. Doch dieser Aufwand ist leider notwendig, um wenig­stens ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, Rehabilitierung zu erlangen und solch ausufernde Geheimdiensttätigkeit rechtsstaatlich zu bändigen“. (PDF der Erklärung)

Die Entscheidung des OVG hat, wie RA Dr. Krauß erklärt, für die Datenspeicherungspraxis der Verfassungsschutzbehörden, vor allem für die sechzehn Landesverfassungsschutzämter, durchaus Bedeutung, was auch die massive Kritik des Verfassungsschutzes an den Richtern der ersten Instanz erklärt. Die Landesverfassungsschutzämter “sind die eigentlichen Datenlieferanten für die Dateien des Bundesamts“, so Krauß, „und das von diesem betriebene gemeinsame nachrichtendienstliche Informationssystem NADIS. Deren Datenspeicher quellen über. Eine Untersuchung der noch von der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen eingesetzten task force hatte 2014 ergeben, dass 40 Prozent der vom Verfassungsschutz gespeicherten Daten zu Unrecht gespeichert und gelöscht werden müssen. Mit dem nun vorliegenden Urteil wächst der Druck auf die Geheimdienste, ihre Rolle als geheime Meinungspolizei  zurück zu nehmen, wenn nicht gar zu unterbinden.“

Die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Das OVG hat wegen „grundsätzlicher Bedeutung“ die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Ob das Bundesamt für Verfassungsschutz den Weg der Revision beschreitet, ist offen, und solange ist das Urteil des OVG nicht rechtskräftig. Die unverhältnismäßige und rechtswidrige Überwachungsgeschichte und ihre gerichtliche Aufarbeitung sind also noch nicht beendet.

Az: OVG NRW 16 A 906/11 und VG Köln 20 K 2331/08

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