Behindertenrechte

Behindertenrechte sind Menschenrechte

Die Bedeutung

Dem Schutz der Rechte von behinderten Menschen wird nach wie vor zu wenig Beachtung geschenkt. In vielen Staaten wird das Thema sogar sträflich vernachlässigt. Das ist gleichbedeutend damit, die Menschen nicht zu berücksichtigen, die von Behinderungen betroffen sind. Dementsprechend spricht Human Rights Watch im Hinblick auf die weltweite Situation zu Recht von “ONE BILLION FORGOTTEN” (“EINE MILLIARDE VERGESSENE”).

Wir sollten uns also zunächst darüber im Klaren sein: Wenn wir über Behindertenrechte sprechen, dann sprechen wir über die Rechte von Menschen, die laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) circa 15% der Weltbevölkerung ausmachen.

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)

Das wichtigste internationale Dokument ist in diesem Zusammenhang das “Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung”, kurz “Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)”, das am 13. Dezember 2006 in New York von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde. Die UN-BRK wurde mittlerweile von insgesamt 173 Staaten ratifiziert, das heißt, für diese Staaten ist sie völkerrechtlich verbindlich. 14 Staaten haben sie unterzeichnet, unter anderem die USA, Usbekistan und der Tschad, und lediglich elf Staaten haben sie weder ratifiziert noch unterzeichnet, unter anderem Somalia, Eritrea und der Südsudan (Stand: 4. April 2017).

Aus historischer Perspektive ist die UN-BRK im Gefolge der “Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte” von 1948 entstanden. Zu betonen ist, dass die UN-BRK keine Spezialkonvention darstellt, in der Sonderrechte für behinderte Menschen festgelegt werden. Vielmehr präzisiert und ergänzt sie unter Berücksichtigung der besonderen Gefährdungslage von behinderten Menschen die bereits bestehenden menschenrechtlichen Standards. Ihre verhältnismäßig späte Verabschiedung ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass behinderte Menschen in den ersten drei Jahrzehnten nach der Gründung der Vereinten Nationen 1945 weitgehend ignoriert wurden. Sie wurden in kaum einem Menschenrechtsdokument explizit erwähnt, obwohl sie während der NS-Diktatur zu hunderttausenden zwangssterilisiert und ermordet wurden.

Vor diesem historischen Hintergrund ist die UN-BRK tatsächlich ein „Meilenstein auf dem Weg zum Menschenrechtsschutz (…)“ (Degener 2009).

Als Meilenstein zu werten ist jedoch nicht nur das verabschiedete Dokument, sondern auch dessen Erarbeitung, da daran behinderte Menschen nach dem Motto “Nothing about us without us!” (“Nichts über uns ohne uns!”) aktiv beteiligt waren und eine gewichtige Stimme hatten.

Das Verständnis von Behinderung in der UN-BRK

Im Zentrum der UN-BRK steht das menschenrechtsbasierte Verständnis, das behinderte Menschen grundsätzlich als gleichberechtigte Rechtssubjekte anerkennt. Darüber hinaus wird der Fokus vom Individuum auf das Verhältnis von Individuum und Umwelt gelenkt – auch das ein Meilenstein. Soziale Ausgrenzungen und Diskriminierungen werden so sichtbar. Damit wird Abschied genommen von einem verengten medizinischen und defizitorientierten Verständnis von Behinderung. Dementsprechend heißt es in der Erklärung der UN-BRK:

„(…) dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern (…)“ (Präambel Abs. e).

Nach diesem Verständnis sind die betroffenen Menschen nicht an sich behindert, sondern sie werden behindert. Das „Problem“ wird also nicht mehr in den Menschen selbst verortet, sondern in der Wechselwirkung zwischen den beeinträchtigten Personen und behindernden gesellschaftlichen Bedingungen.

Die acht Grundsätze der UN-BRK

Ausgehend von diesem menschenrechtsbasierten Verständnis werden gleich zu Beginn der UN-BRK acht allgemeine Grundsätze formuliert, die den „Geist des Übereinkommens“ (Degener 2009) darstellen. Stichpunktartig lassen sie sich wie folgt zusammenfassen:

– Achtung vor der innewohnenden Würde und der individuellen Autonomie
– Nichtdiskriminierung
– Teilhabe an und Einbeziehung in die Gesellschaft (Inklusion)
– Achtung und Akzeptanz vor der menschlichen Vielfalt
– Chancengleichheit
– Barrierefreiheit
– Gleichberechtigung von Mann und Frau
– Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von behinderten Kindern

Der Menschenrechtskatalog der UN-BRK

Neben der Erklärung und den Grundsätzen im allgemeinen Teil findet sich in dem Übereinkommen ein umfangreicher Menschenrechtskatalog für die einzelnen Lebensbereiche. Beispielhaft genannt werden können:

Artikel 12 “Gleiche Anerkennung vor dem Recht”;
Artikel 16 “Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch”;
Artikel 19 “Selbstbestimmt Leben und Einbeziehung in die Gemeinschaft”;
Artikel 21 “Recht der freien Meinungsäußerung und Zugang zu Informationen”;
Artikel 24 “Bildung”;
Artikel 27 “Arbeit und Beschäftigung”;
Artikel 28 “Angemessener Lebensstandard und sozialer Schutz”;
Artikel 29 “Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben” und
Artikel 30 “Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport”.

Menschenrechtverletzungen in exklusiven Verhältnissen

„Wer sich theoretisch oder praktisch mit Menschenrechten auseinandersetzt, wird häufig um eine enttäuschende Erkenntnis nicht umhin können: Menschenrechte werden in der Realität nicht umgesetzt oder massiv verletzt“ (Degener 2009).

Dieses Zitat erinnert uns, dass die Grundsätze der UN-BRK auf dem Hintergrund von Erfahrungen gesellschaftlicher Verhältnissen herausgearbeitet wurden, in denen sie nur allzu oft missachtet werden. Mit anderen Worten: Die Kernforderung der UN-BRK nach sozialer “Inklusion” beruht auf sozialer “Exklusion” voraus.

„Auf der ganzen Welt haben Menschen mit Behinderungen schlechtere Aussichten auf ein gesundes Leben, einen niedrigeren Bildungsstand, geringere ökonomische Teilhabe und höhere Armutsraten als Menschen ohne Behinderungen“ (World Health Organization & World Bank 2011).

An diesem Sachverhalt hat sich durch die UN-BRK, die bei weitem noch nicht umgesetzt ist, im Wesentlichen nichts geändert. Behinderte Menschen werden weltweit nach wie vor entrechtet, bevormundet, diskriminiert, benachteiligt und ausgegrenzt.

Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die Gegenüberstellung zwischen dem menschenrechtlichen Anspruch der UN-BRK und der menschenrechtsverletzenden Wirklichkeit lässt eine tiefe Kluft erkennbar werden. Diese zeigt sich nicht nur in den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern auch in Ländern des globalen Nordens.

So heißt es beispielsweise in einem Kommentar der Monitoring-Stelle UN-BRK, die die Umsetzung der UN-BRK überwacht, dass Deutschland „(…) von einer inklusiven Gesellschaft, welche die Rechte von Menschen mit Behinderung immer achtet, nach wie vor noch weit entfernt ist“ (Montoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention 2016). Valentin Aichele, der Leiter der Monitoring-Stelle, stellt im Hinblick auf die in Deutschland hochumstrittene schulische Inklusion sogar fest: „Im Bundesdurchschnitt haben wir heute mehr Exklusion als 2009, und diese Entwicklung ist klar konventionswidrig“ (Aichele 2016).

Der Kampf um des Menschen Rechte

Die skizzierte Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bildet den Ausgangspunkt für den Widerstand und den notwendigen „Kampf um des Menschen Rechte“ (Bauer), der auch als Kampf für die Einlösung der Rechte von behinderten Menschen geführt werden muss. Er richtet sich gegen Menschrechtsverletzungen und für eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können.

Die gemeinnützige BUXUS STIFTUNG setzt sich dafür ein, dass die UN-BRK nicht zu einer Ansammlung von toten Buchstaben verkommt, sondern den Worten auch Taten folgen.

Literatur

Aichele, Valentin (2016): „Menschenrechts-Beauftragter kritisiert die Entwicklung der Inklusion in Deutschland als „klar konventionswidrig“ [Abruf am 10.07.2017 unter http://www.news4teachers.de/2016/03/un-berichterstatter-aichele-kritisiert-die-entwicklung-der-inklusion-in-deutschland-als-klar-konventionswidrig/].

Bielefeldt, Heiner (2009): Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. 3. Aufl.

Degener Theresia (2009): Menschenrechte und Behinderung. In: Dederich, Markus; Jantzen Wolfgang (Hrsg.): Behinderung, Bildung, Partizipation. Enzyklopädisches Handbuch der Behindertenpädagogik. Behinderung und Anerkennung. Stuttgart: Kohlhammer. S. 160-176.

Human Rights Watch (2013): ONE MILLION FORGOTTEN. PROTECTING THE HUMAN RIGHTS OF PERSONS WITH DISABILITIES. [Abruf am 08.06.2017 unter: https://www.hrw.org/sites/default/files/related_material/2013_%20Disability%20One%20Billion_Brochure%20%28low%20res%29.pdf].

Montoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention (2016): Kommentar zum Nationalen Aktionsplan 2.0 der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behidnertenrechtskonvention. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.

Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) (2017): Convention on the Rights of Persons with Disabilities. [Abruf am 08.06.2017 unter: http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/CRPD/OHCHR_Map_CRPD.pdf].

World Health Organization & World Bank (Hrsg.) (2011): World report on disability. Geneva, Switzerland: World Health Organization.


Links zur UN-Behindertenrechtskonvention

Deutscher Originaltext

Abruf unter: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_b_de.pdf

Deutscher Originaltext in Leichter Sprache

Abruf unter: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_leichte_sprache_de.pdf

Deutscher Originaltext in Gebärdensprache

Abruf unter: http://www.bmas.de/DE/Gebaerdensprache/UN-Konvention/Die-UN-Konvention-in-Einzelvideos/die-un-konvention-in-einzelvideos.html

Schattenübersetzung

Abruf unter: http://www.netzwerk-artikel-3.de/index.php/vereinte-nationen

Englischer Originaltext:

Abruf unter: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_en.pdf


Weiterführende Literatur und Dokumente

Aichele, Valentin (2008): Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihr Fakultativprotokoll. Ein Beitrag zur Ratifikationsdebatte. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. [Abruf unter: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/policy_paper_9_die_un_behindertenrechtskonvention_und_ihr_fakultativprotokoll.pdf].

Bielefeldt, Heiner (2012): Inklusion als Menschenrechtsprinzip: Perspektiven der UN-Behindertenrechstkonvention. In: Moser, Vera; Horster, Detlef (Hrsg.): Ethik der Behindertenpädagogik. Menschenrechte, Menschenwürde, Behinderung. Eine Grundlegung. Stuttgart: Kohlhammer Verlag. S. 149-166.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2011): Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft. Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. [Abruf unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a740-nationaler-aktionsplan-barrierefrei.pdf?__blob=publicationFile].

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015): Beantwortung der Fragen aus der „List of Issues“ im Zusammenhang mit der ersten deutschen Staatenprüfung. [Abruf unter: http://www.gemeinsam-einfach-machen.de/BRK/DE/StdS/Vertragsausschuss/Staatenpruefung/Staatenpruefung_node.html].

Dederich, Markus (2010): Exklusion. In: Dederich, Markus; Greving, Heinrich; Mürner; Christian; Rödler, Peter (Hg.): Inklusion statt Integration? Heilpädagogik als Kulturtechnik. Gießen: Psychosozial‐Verlag, S. 11‐27. 2. Aufl.

Degener Theresia (2009): Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor. In: RdJB – Recht der Jugend und des Bildungswesens, Heft 2. S. 200-219. [Abruf unter: https://www.studentenwerke.de/sites/default/files/un_behindertenrechtskonvention_degener2.pdf].

Deutsches Institut für Menschenrechte (2015): Parallelbericht an den UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Anlässlich der Prüfung des ersten Staatenberichts Deutschlands gemäß Artikel 35 der UN-Behindertenrechtskonvention. Berlin: Deutsches Institut für Menschen rechte. [Abruf unter: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Parallelberichte/Parallelbericht_an_den_UN-Fachausschuss_fuer_die_Rechte_von_Menschen_mit_Behinderungen_150311.pdf].

Deutsches Institut für Menschenrechte (2015a): Umsetzung der UN-BRK in Deutschland erstmals vom Fachausschuss geprüft – Ausschuss über Sonderstrukturen besorgt. [Abruf am unter: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/aktuell/news/meldung/article/umsetzung-der-un-brk-in-deutschland-erstmals-vom-fachausschuss-geprueft-ausschuss-ueber-sonderstru/].

Ernst von Kardorff (2013): Aufhebung von Benachteiligungen behinderter und chronisch kranker Menschen. Berlin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Berlin [Abruf am 18.06. 2015 unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Handlungsempfehlungen_Kardorff_20131129.pdf?__blob=publicationFile].

Jantzen, Wolfgang (2015): Inklusion als Paradiesmetapher. Zur Kritik einer unpolitischen Diskussion und Praxis. [Abruf unter: http://userpages.uni-koblenz.de/~proedler/autsem/ipame.pdf].

UN-Fachausschuss (2015): Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands. [Abruf am 04.06.2015 unter: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/UN-Dokumente/CRPD_Abschliessende_Bemerkungen_ueber_den_ersten_Staatenbericht_Deutschlands_ENTWURF.pdf].

Autor: Stefan Schuster, MA (Hamburg)

Stefan.Schuster@buxus-stiftung.de

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