14.06.2018
“Stranger“
Wie eine südkoreanische Krimiserie die Macht der konstitutionellen Demokratie feiert
In der 16. und letzten Episode von “Stranger” (USA), auch bekannt unter dem englischen Titel “Secret Forest“, einer TV-Krimiserie von Soo-youn Lee (60 Min., Korea 2017), die im vergangenen Sommer ganz Südkorea in Atem hielt, zieht die Hauptfigur nach der Aufdeckung von massiver Korruption in allen Schichten des koreanischen öffentlichen Lebens – der Justiz, Polizei, Politik und Wirtschaft – öffentlich Bilanz. Das Resultat ist keineswegs ein happy end. Zu viele Leben wurden verloren, zu viele tiefe Wunden wurden geschlagen. Aber der Wahnsinn hat seinen Lauf genommen und der Kern menschlichen Anstands ist bewahrt geblieben; genug, um Hoffnung zu wecken, dass für zukünftige Generationen etwas gesünderes daraus enstehen kann. Aber es ist nicht einfach, wie Hwang Shi-mok, der fiktive koreanische Staatsanwalt, betont. Wenn die Demokratie an einem seidenen Faden hängt, gibt es nur einen Grund zum Optimismus:
“Die mächtigste Waffe, die Justizbehörden besitzen, ist das Verfassungsrecht. Solange die Verfassung besteht, können wir weiterkämpfen. ”
Dieser Satz veranlasste mich, zur Fernbedienung zugreifen und das Video zurückzuspulen, um sicher zu sein, dass ich richtig gehört hatte. Dass diese Aussage eine so unmittelbare Reaktion auslöste, sagt viel über die Zeit aus, in der wir leben. Der Satz könnte heutzutage fast übergall auf der Welt gesprochen werden – von Aktivisten in Hongkong, die gegen Chinas rücksichtslose Verfolgung und brutale Unterdrückung von Andersdenkenden kämpfen; von Beamten des U.S. Justizministeriums, die sich bemühen, unparteiische Hüter des Gesetzes zu bleiben und sich gegen die kühnen Vorstösse eines Präsidenten wehren, der sich weniger von seinem demokratischen Mandat, als von seinen autokratischen Instinkten leiten lässt; in Russland, wo sich eine mutige Gruppe von Dissidenten gegen eine mächtige kriminelle Elite stemmt; oder in Burma und in Syrien, wo alle Höllenfeuer der Verdammnis gleichzeitig zu brennen scheinen. Nur die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts erscheinen apokalyptischer in ihrem Ausmass – ihre Schrecken definiert durch die erschütternde Zahl der menschlichen Opfer, die Monstrosität des Holocaust und den Einsatz von zwei Atombomben gegen die Zivilbevölkerung Japans.
Doch wie eine kostbare Zeitkapsel, die im Sand vergraben ist, bleibt die Hoffnung weiterhin bestehen. Verfassungsstaaten sind unvollkommene, aber schöne Geschöpfe, zugleich zerbrechlich und widerstandsfähig.
Ihre zentralen Dokumente beschreiben unsere höchsten Ideale, das Beste in uns auf’s Wesentliche reduziert. Mit einigen sorgfältig formulierten Worten zeichnen sie den Weg für eine humanistische Gesellschaft – grundlegende Prinzipien, die die Menschenwürde und das menschliche Leben schützen, die Respekt fordern, Diskriminierung und Hass kraftvoll zurückweisen. Demokratische Verfassungen markieren unsere hoffnungsvollen Anfänge und bilden ein eisernes Bollwerk gegen ein autoritäres Ende. Wir rufen sie regelmässig an, oftmals als letzte Instanz. Selbst in Zeiten gröβter Unruhen und düsterer Fehlschläge existiert dieses Fundament und sein demokratischer Geist. Wie Staatsanwalt Hwang Shi-mok es treffend formuliert: Solange unsere rebellische Seele erhalten bleibt, werden wir, das einfache Volk, den Kampf gegen die Autokratie gewinnen.