Ein|Ausblicke 12/2023

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30.12.2023

Ein|Ausblicke 12/2023

2023 – Was uns Mut macht(e)

Ein krisengeschütteltes Jahr endet: Der Krieg in der Ukraine geht in das dritte Jahr, der Angriff der Hamas auf Israel und in der Folge die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen seit dem 7. Oktober, faschistische und rechtsextreme Regierungen weltweit, eine immer stärker werdende autoritäre Partei in Deutschland, Tote an den europäischen Außengrenzen, die Einschränkung und Aushebelung von Menschenrechten weltweit und dazu die menschengemachte Klimakrise. Wie da den Mut bewahren und weiter positiv in die Zukunft blicken?

Antworten auf diese wichtige Frage haben wir 2023 zusammen mit Menschenrechtsaktivist*innen und Wissenschaftler*innen sowie Politiker*innen aus verschiedenen Ländern gesucht und auch geben können. Insgesamt haben wir 35 Veranstaltungen durchgeführt und dabei Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu Wort kommen lassen. Wir haben zusammen mit dem US-Abgeordneten Jamie B. Raskin, mit dem chilenischen Kommunikationswissenschaftler Jorge Montealegre und mit der Stuttgarter Elisabeth Käsemann Stiftung drei Bücher veröffentlicht und die Fritz Bauer Biografie von Irmtrud Wojak ist in spanischer Sprache erschienen. Dazu kommen 15 Podcast-Folgen zum Thema Menschenrechte. Darüber hinaus sind 7 Artikel in Zeitschriften entstanden, die sich mit dem Fritz Bauer Forum und unserer Arbeit befassen. Außerdem 46 Videos von Veranstaltungen und Filminterviews mit Menschenrechtsaktivist*innen auf unserem YouTube Kanal und 7 Überlebensgeschichten für die interaktive Bibliothek sowie 13 Geschichten, die hierfür noch in Bearbeitung sind. Auch im universitären Kontext konnten wir dieses Jahr Fuß fassen und jeweils ein Seminar an der Ruhr-Universität Bochum sowie an der Universität Witten/Herdecke anbieten. Insgesamt konnten wir 30 unterschiedliche Stellen für Kooperationen begeistern sowie 6 ehrenamtliche Mitarbeiter*innen für das Fritz Bauer Forum gewinnen. Nicht zuletzt entstanden bereits viele Ideen für Projekte und Veranstaltungen im Laufe des Jahres 2024.

Wir sind froh und dankbar, dass wir mit der Fritz Bauer Bibliothek einen Ort des Dialogs aufbauen können, wo die aktuellen Konflikte auf vielfältige Weise zur Sprache kommen und wozu auch künstlerische Werke zählen. Das kann Mut machen, denn die Offenheit der Diskussionen, die in der Bibliothek stattfinden, ist Ausdruck der Anerkennung des anderen. Wir haben in dem Zusammenhang oft gehört, hier entstehe ein Kraftort. Dafür setzen wir uns ein und dafür benötigt unsere Trägerin, die gemeinnützige BUXUS STIFTUNG, weitere Unterstützung durch Spenden  (Sparkasse Bochum / IBAN: DE06 4305 0001 0022 0023 98 – Stichwort: Aufbau FRITZ BAUER FORUM).

Angesichts der laut Wähler*innenbefragungen sich ausweitenden autoritären und radikalnationalistischen Tendenzen in der Mitte der Gesellschaft ist es notwendig, stark und kritikfähig zu sein. Unser Namensgeber Fritz Bauer brachte es auf den Punkt: „Der große Widerstand an den bösen Tagen des barbarischen Unrechts setzt Kampf gegen das kleine Unrecht im Alltag voraus.” Da werden wir 2024 guten Mutes wieder anknüpfen. Wir lassen uns die Demokratie nicht wegnehmen.

Hier noch ein kleiner Rückblick auf die letzten Veranstaltungen und unsere Lateinamerika-Reihe “Memoria Viva”.

Vortrag und Diskussion: Hajo Funke „Solidarität am Rande des Abgrunds“

Prof. Dr. Hajo Funke in der Fritz Bauer Bibliothek © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

Der Überfall der Hamas am 7. Oktober sowie die Reaktion der israelischen Regierung beschäftigen uns, wie viele Menschen, seit Beginn. Aber wie lässt sich der Kreis der Gewalt durchbrechen? Was muss geschehen, um den Konflikt zu entschärfen und eine nachhaltige Lösung zu finden? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, haben wir am 12. Dezember den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Hajo Funke zu einem Vortrag in die Fritz Bauer Bibliothek eingeladen.

Vor circa 30 Personen ging Funke zunächst auf die Bedeutung von Solidarität ein. „Vor dem Hintergrund von zehntausenden Toten und 66 Tage Krieg“, so Funke „brauchen wir Solidarität.“ Dabei plädiert er nicht für eine emotionalisierte, einseitige Solidarität, sondern für eine umfassende Solidarität mit der Zivilbevölkerung beider Parteien. Die Anerkennung des anderen müsse der Kern eines neuen Handelns in diesem Konflikt sein, denn klar sei; „Weder der Terror der Hamas noch die Bombardierung des Gaza-Streifens (in seiner aktuellen Form) seien gerechtfertigt.“ Während sich in Berlin wenige Tausend mit Israel auf der einen und mit den Palästinenser*innen auf der anderen Seite solidarisieren, so Funke, stelle sich die Frage, warum nicht beide Seiten gleichermaßen und zusammen ein Ende des Konflikts fordern. Keine der beiden Seiten dürfe gegen die andere ausgespielt werden. Dies ist aber nicht die einzige Kritik, die Funke formulierte. Die deutsche Sicht beziehungsweise die Sicht aus Deutschland heraus räume den tatsächlich Betroffenen zu wenig Raum ein und bilde kaum die Realität ab, in der es versöhnliche Stimmen gibt, die sich schon lange und auf beiden Seiten für eine wirkliche Lösung einsetzen.

Intensive Kritik übte Funke an der Regierung Netanjahu. Diese vereine eine Mischung aus extremem Nationalismus, extremer Religiosität sowie cliquenhaften Eigeninteressen. Mit Netanjahu werde es keine Waffenruhe geben, analysierte Funke, er brauche diesen Krieg, um im Amt zu bleiben. Funke bezieht sich dabei auch auf die vor dem Konflikt wachsende Demokratiebewegung, die sich im Zuge der Justizreformen bildete. Dazu lässt er auch den Historiker Saul Friedländer zu Wort kommen, der in seinem erst kürzlich erschienenen Tagebuch „Blick in den Abgrund“ schrieb, dass die Regierung Netanjahu wie ein Ungeheuer nur wenige Tage brauchte, um das liberale Israel zu verschlingen. Einen besonderen Fokus legte er dabei auf die anti-palästinensische Haltung der rechtsextremen Regierung und ihrer Akteur*innen. Er zeigte anhand diverser Aussagen, dass es diesen um die Vernichtung palästinensischen Lebens auf israelischem Staatsgebiet geht. Funke machte dies nicht nur an der Bombardierung des Gaza-Streifens fest, sondern verwies auch auf die Bewaffnung der Siedler in der West-Bank und die dort immer extremer werdende Gewalt.

Dass Funke dabei weniger auf die Hamas einging, lag vor allem an der Fokussierung auf mögliche Lösungen des Konflikts. Er stellte dabei auch fest: „Es gibt einen Weg zurück“, einen Weg, der die Bedürfnisse der Palästinenser*innen eben so wie die Sicherheit der Israelis berücksichtigt. Es brauche, da ist sich Funke sicher, eine Zwei-Staaten-Regelung, in der auch Israel Zugeständnisse gegenüber den Palästinenser*innen machen müsste. Eine wirkliche, dauerhafte Lösung dieses Konfliktes müsse beidseitig gewollt und von der Staatengemeinschaft unterstützt werden. Wir können indes den Betroffenen zuhören, den Stimmen der Versöhnung einen Platz geben und uns solidarisch mit den Opfern dieses Konfliktes zeigen – auf beiden Seiten. Es gehe eben nicht darum, Opfer zu zählen und herauszufinden, welche Konfliktpartei die schlimmere ist. Vielmehr gehe es darum, die Rechte der Menschen zu wahren und eine Kritik beider Parteien zu ermöglichen. Denn, so Funke: „Diese Regierung ist gefährlich und Hamas ist eine Terrororganisation.“

Wir danken allen Gästen und Diskussionsteilnehmer*innen, die ein solch schwieriges und emotionales Thema diskutierten und dabei unterschiedliche Ansichten respektieren, ohne den eigenen Kompass zu verlieren. Das hat uns sehr beeindruckt und kann – siehe oben – wirklich Mut machen.

Tag der Menschenrechte: „Meinung. Freiheit. Meinungsfreiheit?“

Dr. Yasmin Schulten-Jaspersund Hanna Püschel im Bochumer Musikfroum © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

Am 8.12.2023 fand die diesjährige Veranstaltung zum Internationalen Tag der Menschenrechte mit dem Titel „Meinung. Freiheit. Meinungsfreiheit?“ statt. Die Veranstaltung wurde gemeinsam von Amnesty International Bochum, der Volkshochschule Bochum, der Stadtbücherei Bochum, dem Fritz Bauer Forum, der Musikschule und dem Kinder- und Jugendring Bochum organisiert und durch das Programm „Demokratie leben!“ gefördert.

In den gut gefüllten kleinen Saal des Anneliese-Brost-Musikforums kamen etwa 45 Besucher*innen zu den interessanten Vorträgen von Dr. Yasmin Schulten-Jaspers und Hanna Püschel zum Thema Meinungsfreiheit. In ihrem Vortrag ging Hanna Püschel zunächst darauf ein, was Meinungsfreiheit überhaupt bedeutet und was eine Meinung von einer Tatsache unterscheidet. Da Meinungsfreiheit der Persönlichkeitsentfaltung und dem demokratischen Prozess dient, funktioniert sie nur mit der Grundlage der Informationsfreiheit, unterstützt durch die Medienfreiheit. Anhand einiger aktueller Beispiele und juristischer Streitigkeiten verdeutlichte Hanna Püschel die Grenzen der Meinungsfreiheit, was vom Publikum in einer lebhaften Diskussion aufgegriffen wurde. Als kleines Zwischenfazit konnte festgestellt werden, dass das Grundgesetz Presse- und Meinungsfreiheit sehr gut regelt und die Bürger*innen schützt, ihnen aber auch die Möglichkeit gibt, diesbezüglich zu klagen.

Schulten-Jaspers ging im Anschluss schlaglichtartig auf den Stand der Meinungsfreiheit in verschiedenen Ländern weltweit ein, um diesen abschließend mit der Lage in Deutschland zu vergleichen. Ausgehend vom Ranking zur Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ entspann sich auch hier eine rege Diskussion. Dabei ließ sich feststellen, wie eng Demokratie und Pressefreiheit zusammenhängen und dass es um die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland im Vergleich zwar immer noch sehr gut bestellt ist, Journalist*innen im letzten Jahr aber zunehmend Angriffen ausgesetzt waren. Dabei ging sie auch auf die Auswirkungen ein, die dies für die Arbeit der Journalist*innen hat, zum Beispiel häufigere Arbeit im Team oder stellenweise sogar mit Begleitschutz.

Transorient Orchestra Community im Bochumer Musikforum © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

Zum Ende der Veranstaltung wurden der digitale Raum und die sozialen Medien betrachtet, wo Hassrede immer mehr zunimmt. In der Abschlussdiskussion ging es vor allem um den Begriff des „unabhängigen Journalismus“ und um Perspektiven. Zum Schluss äußerten die beiden Referentinnen ihre eigenen Wünsche für die Zukunft: Eine bessere Moderation der Hassrede im digitalen Raum sowie eine bessere Ausbildung junger Menschen in Sachen Nachrichten- und Medienkompetenz.

Nach einer kurzen Pause und einer kleinen Stärkung durch das bereitgestellte Catering ging es im zweiten Teil des Abends weiter mit dem Konzert der „Transorient Orchestra Community“. Gemeinsam mit Gästen aus der globalen Musikwelt ließen sie den transkulturellen Soundtrack der Metropole Ruhr erklingen und trafen auf ein begeistertes Publikum. Begleitet wurde die Veranstaltung außerdem von einer Ausstellung zu der Comic-Anthologie „Schau hin! – Rassismus(erfahrungen) in Bildern“, eine Zusammenarbeit zwischen dem Bahnhof Langendreer, der Stabsstelle Integration Bochum und der Stadtbücherei Bochum. Die Sammlung von Kurzgeschichten beleuchtet verschiedene Aspekte von Rassismus, angefangen von Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe bis hin zu Alltagsrassismus, antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus und lag kostenlos zur Mitnahme aus.

Wir freuen uns, dass auch die diesjährige Veranstaltung zum Internationalen Tag der Menschenrechte auf so großen Anklang gestoßen ist und blicken zurück auf einen äußerst informativen und bereichernden Abend.

Rückblick auf die Veranstaltungsreihe „MEMORIA VIVA | LATEINAMERIKA IM AUFBRUCH“

Veranstaltungsprogramm der Reihe “MEMORIA VIVA. Lateinamerika im Aufbruch” © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

MEMORIA VIVA – Lebendige Erinnerung, unter diesem Motto fanden, beginnend mit dem Vortrag von Überlebenden des Putsches in Chile 1973, diverse Veranstaltungen zu Menschenrechten und zur Erinnerungskultur in Lateinamerika statt. Im Zentrum dieser intensiven Auseinandersetzung standen die überlebenden und widerständigen Menschen die auch heute, Jahrzehnte nach dem Unrecht, das Gedenken an die Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufrechterhalten.

Start der Veranstaltungsreihe war, wie gesagt, eine Veranstaltung mit fünf Überlebenden des Putsches in Chile, die vor einem gespannten Publikum erzählten, wie sie den Tag des Putsches erlebt hatten. Sie eint ihre Zeugenschaft des brutalen Militärputsches, der zum Sturz der Regierung Dr. Salvador Allendes führte und dramatischen Einfluss auf ihre Lebenswege hatte. Eine bewegende Veranstaltung, die uns nochmals die Bedeutung der Zeugenschaft von Menschenrechtsverletzungen vor Augen führte.

Der in Berlin lebende Autor Günther Wessel stellte uns sein Buch „Salvador Allende. Eine chilenische Geschichte“ vor und gab damit einen tiefen Einblick in die letzten Stunden der Regierung Allende. Am Ende stand, was Fritz Bauer als „Aufwand unseres Mitgefühls, das Kämpfen und auch ein Fallen für eine humanistische Welt“ beschrieb: Der Suizid Salvador Allendes, der endgültig und für viele Jahre das Ende eines demokratischen Chiles bedeutete. Die Geschichte Chiles, der Sturz Allendes und die Militärdiktatur unter Führung des Generals Pinochet, der die demokratische Regierung verraten hatte, spielten für die Veranstaltungsreihe aus Anlass des 50. Jahrestag des Putsches in Kooperation mit dem Bochumer Bündnis „Erinnerung und Solidarität“ eine zentrale Rolle.

Wir wollten aber auch andere lateinamerikanische Länder und den Widerstand gegen die dortigen Menschenrechtsverletzungen zum Thema machen, darunter Argentinien, Kolumbien, Mexiko und Peru.

„Verschwunden und ermordet. Europäische Opfer des Haft- und Folterlagers El Vesubio in Argentinien“ ist ein Buch, dass zehn Lebensgeschichten von europäischen Männern und Frauen erzählt, die für ihre Überzeugung und ihren Glauben an eine gerechtere, bessere Welt durch die argentinische Militärdiktatur ermordet wurden. Unter ihnen auch das bekannteste deutsche Opfer, die Studentin Elisabeth Käsemann. Zwei der Geschichten stellte die Historikerin und Geschäftsführerin der Elisabeth Käsemann Stiftung, Dr. Dorothee Weitbrecht, im Rahmen einer Veranstaltung vor. Weitbrecht, die sich viel mit der argentinischen Erinnerungskultur befasst, ging dabei nicht nur auf die Verbrechen ein, die in El Vesubio begangen wurden, sondern zeigte auch viele Unterschiede zwischen der deutschen und der argentinischen Erinnerungskultur auf. das machte auch der Film „…und dass du zwei Tage schweigst unter der Folter!“ deutlich, der sich ebenfalls mit der Geschichte Käsemanns befasst. Dorothee Weitbrecht, dieses Mal per Video in die Fritz Bauer Bibliothek zugeschaltet, gab hierzu einen sehr persönlichen Einblick in die Erinnerung an ihre Tante und die Aufarbeitung des Verbrechens.

Eine juristische Laufbahn „(…) um der systematischen Straflosigkeit der Verbrechen ein Ende zu setzen.“ So ließe sich die Arbeit des chilenischen Juristen und heutigen Präsidenten der chilenischen Menschenrechtskommission, Carlos Margotta, beschreiben. Er verteidigte unzählige Überlebende der Verbrechen der chilenischen Diktatur und strengte wichtige Prozesse gegen die Täter an. Sein Engagement für Menschenrechte und die Bedeutung der juristischen Verurteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdeutlichten uns, zumal im Hinblick auf die Auseinandersetzungen um eine neue Verfassung in Chile seit 2019, dass Erinnerung an Menschenrechtsverletzungen auch in einer Demokratie bedeutet, Opposition und Widerstand zu leisten. Dabei ist es vor allem Margottas Betonung der Bedeutung juristisch festgestellten Unrechts (im Sinne von Wiederherstellung des Rechts), die an Fritz Bauer erinnert und die in Zukunft stärker in unsere Arbeit einfließen wird.

Jorge Montealegre in der Fritz Bauer Bibliothek © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

Aber wie lässt sich in einer Diktatur Widerstand leisten, vor allem in Gefangenschaft? Eine sehr persönliche Antwort auf diese Frage gibt der Kommunikationswissenschaftler und Auer Jorge Montealegre in seinem Buch „Nationalstadion 1973. Autobiografischer Essay“, welches wir ihm Rahmen der Veranstaltungsreihe in deutscher Erstausgabe vorstellten. Montealegre stellt in seiner Erzählung ausdrücklich das Überleben und nicht den erlebten Horror und die Gewalt in den Mittelpunkt. Er zeigt dabei, was Menschen selbst unter extremen Bedingungen befähigen kann, human zu handeln und hebt dabei die Bedeutung von Humor hervor, der sich durch sein Buch zieht. Humor, so Montealegre, bewahre die eigene Menschlichkeit und diese ist es, die autoritäre Regime ihren Opfern abspreche. Sie fehlt den Täter*innen in ihrem Denken und Handeln und sie zu bewahren ist gerade deshalb in der Diktatur eine Form des Widerstands.

„Am Ende wartet das Vergessen. Eine Geschichte aus Kolumbien“, so lautet der Titel des Buches des preisgekrönten kolumbianischen Schriftstellers Héctor Abad Faciolince über einen der bedeutendsten Ärzte und Menschenrechtskämpfer Lateinamerikas. Die tief empfundene Liebe des Autors zu seinem Vater Héctor Abad Gomez ist es, die sich in der Erzählung über seine Kindheit genauso deutlich zeigt wie die Vielstimmigkeit der Erinnerungen seiner Familie. Auf der anderen Seite wird aber auch deutlich, dass Abad erst als jungem Erwachsenen die Gefahren für ihn und seine Familie bewusst wurden, die dadurch entstanden, dass sein Vater die Verbrechen der kolumbianischen Paramilitärs in Radio und Zeitung beim Namen nannte und vor allem im Gesundheitsbereich für gerechtere und bessere Bedingungen öffentlich eintrat.

Der Workshop des Historikers und Journalisten Joachim Jachnow leuchtete in der Folge den historisch-politischen Hintergrund des Buches von Héctor Abad und der Geschichte seines berühmten Vaters aus. Landraub, Flucht, Enteignung und die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung sind hier nur einige Teile der „Gewaltgeschichte seit Kolonialzeiten“ in Kolumbien. Während Héctor Abad in der Erinnerung an seinen Vater diesen Kontext nahezu ausklammert und eine coming of age Geschichte schrieb, prägt diese Gewaltgeschichte das Land bis heute.

Einblick in die Veranstaltung © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

Im Rahmen einer Panel-Diskussion zwischen Max Lucks (MdB, Die Grünen), Vanesa Schaeffer Manrique (Vorständin der Informationsstelle Peru e.V., Freiburg) und Sara Leman (Amnesty International Ko-Gruppe Bochum) thematisierten wir transnationale rechte Bewegungen sowie die Bedrohung queerer Menschen und Frauen mit dem Fokus auf Peru. Peru hat sich nach der Amtsenthebung des linksgerichteten Präsidenten Pedro Castillo stark verändert, die Rechte von Minderheiten im Allgemeinen und die von queeren Menschen im Besonderen wurden vor allem während der Machtübernahme so stark eingeschränkt wie lange nicht mehr. Zeitgleich haben die sozialen Bewegungen in großen Städten wie Lima einen großen Zulauf, Aktivist*innen und NGOs können relativ frei agieren und das lässt Hoffnung schöpfen. Wenige Tage zuvor hatten uns bereits der peruanische Dokumentarfilmer Heeder Soto zusammen mit der Managerin von Saywafilms Kerstin Kastenholz im Rahmen eines Workshops über den Kampf eben dieser Aktivist*innen im Land für Klimagerechtigkeit und Freiheitsrechte aufgeklärt. Beeindruckend waren hier vor allem die Bemühungen aus der Gesellschaft heraus, eine Entwicklung die Hoffnung macht, auch wenn sie, wie Soto sagte, nur der Anfang einer Auseinandersetzung mit der Geschichte der Gewalt im Land sein kann.

Eine Erinnerungskultur, die mit einem aktiven Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit verbunden und einen sehr starken Gegenwartsbezug hat, stellte Yannik Holsten im Rahmen eines Workshops am Beispiel Uruguays vor. Mithilfe unterschiedlicher Interviews, die er in Uruguay mit Überlebenden der Diktatur führte, machte er auf einen wesentlichsten Unterschied zur deutschen Erinnerungskultur aufmerksam: die direkte Forderung nach Aufklärung gegenüber staatlicher Stellen. Aber auch darüber hinaus gibt es ganz praktische Unterschiede. So entstand beispielsweise das „Museo de la Memoria“ („Museum des Erinnerung“), welches sich durch ein Zusammendenken von Aktivismus und Musealisierung auszeichnet und in dem die Zivilgesellschaft maßgeblich über die Ausstellungsobjekte entscheidet. Welche Auswirkungen diese Form der Erinnerungskultur auch für die Überlebenden hat, beschreibt ein Zeitzeuge sehr ausdrücklich: „Die memoria ist etwas, das nicht in der Vergangenheit liegt, sondern in der Gegenwart und wir sind dabei, ihr eine Form zu geben. […] Die memoria erhellt uns die Gefahren der Gegenwart.“

Juan Garcés im Justizzentrum © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG

In der Veranstaltungsreihe „Memoria Viva“ haben wir viel über die Verletzungen von Menschenrechten durch Staaten und Staatsorgane gesprochen. Auch wenn die mexikanischen Regierungen hier nicht fehlerfrei sind, hat Mexiko ein noch größeres Problem – die Drogenkartelle. Zwar gehen diese nicht direkt gegen die Bevölkerung, sondern „lediglich“ gegen die eigene Konkurrenz vor, zivile Opfer wurden und werden aber immer wieder hingenommen. Dies zeigt nicht zuletzt das Beispiel der 43 entführten Studierenden, die bis heute verschwunden sind, wie der Literaturwissenschaftler Mathias Sasse in seinem Workshop erläuterte. Diesen sehr düsteren Eindruck von Mexiko kontrastierte Sasse, der lange Zeit in Mexiko gelebt hat, mit der Geschichte der mexikanischen Aktivistin Gabriela Brimmer, deren Lebensgeschichte
ebenfalls in der Buchreihe „Fritz Bauer Bibliothek“ zu finden ist

Die letzte Veranstaltung der Reihe „Memoria Viva. Lateinamerika im Aufbruch“ war der Vortrag mit anschließender Diskussion des spanischen Juristen Dr. Juan Garcés am 30. November im Bochumer Justizzentrum. Garcés zeigte hier anhand einschlägiger Dokumente, wie die Regierung der USA noch vor dem Wahlsieg Salvador Allendes einen Putsch plante und das Land zu destabilisieren versuchte. Er verdeutlichte die Spirale der Gewalt, die durch die amerikanische Regierung unter Nixon in Gang gesetzt wurde und die in der Militärdiktatur Pinochets endete. Wie lässt sich ein solches Verbrechen aufarbeiten, wie lassen sich die gravierenden Menschenrechtsverletzungen vor Gericht bringen? Auch darauf fand Juan Garcés in seinem Vortrag eine Antwort. Er beschrieb, wie er über mehrere Jahre zusammen mit Überlebenden eine Anklage vorbereitete und wie es schlussendlich zu Pinochets Verhaftung kam. Garcés Engagement zeigt eindrücklich, was ein einzelner Anwalt leisten kann, der die politischen Entwicklung aufmerksam beobachtet, geltendes Rechts anwendet und die Chance des Zufall gelten lässt, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu bringen.

2024

Auch im kommenden Jahr gibt es zahlreiche spannende Veranstaltungen, die hier zu finden sind. Am 18. Januar befassen wir uns weiter mit dem eskalierten Konflikt zwischen Israel und der Hamas. Dafür haben wir den Historiker und Antisemitismusforscher Prof. Dr. Moshe Zimmermann eingeladen. Außerdem haben wir, zusammen mit dem IPPNW Bochum, Veranstaltungen zum Atomwaffenverbot geplant und befassen uns im Februar mit der Geschichte schwarzer Menschen in Gesellschaft und Aktivismus. Darüber hinaus werden wir über die Fortschritte des Fritz Bauer Forums, auch bezogen auf den Baufortschritt, infiormieren.

Kommende Veranstaltungen:

18. Januar, 17:00 – 19:30 Uhr: Moshe Zimmermann | Solidarität und Staatsräson, Bochumer Justizzentrum. Weitere Infos hier.

26. Januar, 18:30 – 20:00 Uhr: Atomwaffen sind verboten – hilft uns das?, Fritz Bauer Bibliothek. Weitere Infos hier.

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